„Es liegt wirklich eine harte Zeit hinter uns“
Oberstadions Bürgermeister Kevin Wiest über den Umgang der Gemeinde mit manchen Nackenschlägen im vergangenen halben Jahr
OBERSTADION - Das erste Halbjahr 2021 hielt für die Gemeinde Oberstadion einige Nackenschläge bereit. Wie man damit heute umgeht und was die aktuellen und kommenden Herausforderungen sind, erklärt Bürgermeister Kevin Wiest im Gespräch mit SZ-Redakteur Reiner Schick.
SZ: Herr Wiest, das erste Halbjahr 2021 war für die Gemeinde Oberstadion sicher ein besonders bitteres: Erst die mutmaßlich von der eigenen Mutter verübte Tötung zweier Kinder, dann die Überschwemmungen, die viele im Ort hart trafen. Wie gehen die Menschen im Ort heute mit diesen Ereignissen um?
Wiest: Es liegt wirklich eine harte Zeit hinter uns, wobei man die Tragweite beider Ereignisse sicher nicht vergleichen kann. Was den Tod der Kinder betrifft, so habe ich das Gefühl, dass für die Bürger mit dem Abschiedsgottesdienst ein Weg gefunden wurde, mit ihrer Trauer umzugehen. Natürlich beschäftigt die Menschen die Tragödie und die Frage, warum das passiert ist, nach wie vor. Zumal die Gerichtsverhandlung, die vielleicht Antworten geben kann, noch aussteht. Was ich aber als positiv empfinde: Man spekuliert in der Gemeinde nicht groß darüber, aus Respekt der betroffenen Familie gegenüber.
Ein sicher einschneidendes Erlebnis waren die Überschwemmungen Ende Juni, insbesondere die Auswirkungen des über 100-jährlichen Hochwassers. Die meisten von uns haben so etwas noch nie erlebt. Zum Glück wurde niemand verletzt, und wenn man auf die Flutkatastrophen in anderen Teilen Deutschlands blickt, hilft einem das, das Ausmaß hier einzuordnen. Dennoch hat es auch hier viele hart getroffen. Man ist jetzt am Abarbeiten, sowohl emotional – die Angst, dass so etwas wiederkommen kann, ist da – als auch, was das Aufräumen betrifft. Mir war es wichtig, den Betroffenen schnell Unterstützung zuteil werden zu lassen. Die von der Gemeinde kurz nach den Überschwemmungen organisierte Müllsammlung war ein wichtiger erster Step. Eine ganz tolle Sache war auch die von einem Bürger angestoßene Möbelspendenaktion in unserer Mehrzweckhalle. Einfach alle haben mit angepackt, um ihren Mitbürgern zu helfen. Das war wirklich eine großartige Gemeinschaftsleistung.
Was die schnelle Hilfe in den Hochwassernächten betrifft, möchte ich mich bei der Feuerwehr, dem DRK und dem THW bedanken, die professionelle Arbeit geleistet haben – sowohl technisch als auch menschlich. Wie verständnisvoll sie mit den Betroffenen vor Ort umgegangen sind, wie sie auf deren Nöte eingegangen sind, das verdient Respekt.
Sie haben unmittelbar darauf angekündigt, sich für die Verbesserung des Hochwasserschutzes einzusetzen und die Leute zu informieren, welche Möglichkeiten sie haben, sich auch selbst zu schützen. Was hat sich da bisher getan?
Es gab mehrere Treffen mit dem Landratsamt und dem Biberacher Ingenieurbüro Wassermüller. Dabei haben wir auch die Flussgebietsanalyse der Verwaltungsgemeinschaft Munderkingen aus dem Jahr 2016 nochmals erörtert. Das damalige Ergebnis war: Das Schadenspotenzial durch die örtlichen Bäche ist nicht sehr groß. Wir haben uns nun bei einer Rundfahrt verschiedene Problemstellen angeschaut und uns zusammen mit dem Ingenieurbüro auf ein Procedere geeinigt: Wir machen eine neue Flussgebietsuntersuchung mit neuen Berechnungen und erstellen außerdem eine Starkregengefahrenkarte, die uns nicht nur detaillierte Informationen über das individuelle Überflutungsrisiko bestimmter Grundstücke und Straßen gibt, sondern auch ganz konkrete Empfehlungen, wie die Situation verbessert werden kann.
Das Ganze braucht aber Zeit und kostet viel Geld. Ein erster Schritt war im Gemeinderat die Beauftragung des Ingenieurbüros mit der Vorbereitung des Antrags auf Zuschüsse für die Konzeption, den wir noch dieses Jahr stellen wollen. Das ist wichtig, denn so ein Konzept kostet zwischen 150 000 und 200 000 Euro, 70 Prozent davon können bezuschusst werden. Der weitere Zeitplan sieht dann vor: Die Erstellung des Konzepts mit einem Maßnahmenkatalog, der sicher nicht vor 2023 fertig sein wird. Danach muss für die Maßnahmen selbst wieder ein Antrag auf eine 70-Prozent-Förderung gestellt werden, so dass wir im Optimalfall im Jahr 2025 mit den Baumaßnahmen beginnen können. Schneller geht es leider nicht.
Wie sieht es mit der vielfach angesprochenen Kooperation mit benachbarten Gemeinden aus?
Eine Analyse und eine Starkregengefahrenkarte muss jede Gemeinde für sich selbst anhand der jeweils eigenen Gegebenheiten machen. Sonst gibt es keine Zuschüsse. Die Maßnahmen selbst können dann interkommunal verwirklicht werden. Was auch sinnvoll wäre, denn alleine der Bau eines Regenrückhaltebeckens kostet rund eine halbe Million Euro.
Gibt es auch Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden können?
Ja. Wir haben uns in Folge des Hochwassers viele Gedanken gemacht, wie und wo sich schnell etwas verbessern lässt, und haben an elf Stellen im Ortsgebiet Punkte gefunden, die wir angehen wollen. So haben wir jüngst im Gemeinderat über den möglichen Abriss einer Brücke in Moosbeuren diskutiert, an der sich zuletzt viel Wasser gestaut hatte, das dann vier Grundstücke und Häuser geflutet hat. Ob das tatsächlich beschlossen wird, wird man sehen. Die Diskussion war jedenfalls durchaus kontrovers und emotional. Bereits begonnen wurde derweil eine kleinere Sofortmaßnahme, nämlich im Zuge der Renaturierung des Stehenbachs in Mundeldingen die Verbreiterung des Flussbetts auf mehreren hundert Metern Länge.
Und wie sieht es mit der Infoveranstaltung für Hauseigentümer aus?
Die ist für den Herbst zusammen mit einer Fachfirma, dem Landratsamt und einem Ingenieurbüro geplant. Darüber hinaus hat unsere Feuerwehr mehr als 600 Sandsäcke beschafft, die von den Hausbesitzern erworben werden und abgeholt werser, den konnten. Das haben viele gemacht.
Welche weiteren Projekte stehen aktuell im Blickpunkt?
Nachdem wir in den letzten Jahren mehr als eine Million Euro an Eigenanteil für den Breitbandausbau ausgegeben und 90 Prozent der Häuser ans Glasfasernetz und auch die Schule digitalisiert angeschlossen haben, müssen wir in den nächsten beiden Jahren unseren Haushalt konsolidieren und nur die absolut notwendigen Maßnahmen vorantreiben. Das war aber allen Beteiligten von Anfang an klar. Dazu gehört die bereits begonnene Erschließung des Baugebiets „Ortsmitte Erweiterung II“mit sieben Bauplätzen, auf die wir 57 Bewerber haben. Wir sind gerade dabei, das Vergabeverfahren über die Plattform Baupilot abzuwickeln. Drei Bauplätze werden wir mit Vierfamilienhäusern bebauen, weil wir auch Wohnungen für Menschen brauchen, die sich kein eigenes Häusle leisten können oder wollen. Aus diesem Grund haben wir vor zwei Jahren auch in Moosbeuren ein Grundstück an einen Investor verkauft, der dort ein Zehn-FamilienHaus errichten will. Drei Interessenten gibt es nun für den Bau der Vierfamilienhäuser in Oberstadion, das Bieterverfahren läuft. Parallel dazu planen wir zwei neue kleine Baugebiete mit jeweils fünf bis sechs Plätzen, und wir wollen das Gewerbegebiet erweitern und sind hierzu mit den Grundstückseigentümern im Gespräch. Die Schaffung von barrierefreien Bushaltestellen steht auf der Agenda, und was mir sehr wichtig ist: die Anpassung der Vereinsförderung. Da gibt es bisher keine klaren Richtlinien. Wir sind dabei, diese möglichst fair zu gestalten und wollen sie dieses Jahr noch beschließen. Auch möchten wir unsere Sirene auf dem Dach auf digitale Technik umrüsten, das kann auch zum Hochwasserschutz beitragen, weil wir so die Bevölkerung im Bedarfsfall noch effektiver warnen können. Außerdem bräuchten wir einen Radweg von Hundersingen nach Bettighofen. Das ist schon lange ein Thema, leider gibt es Probleme mit dem Grunderwerb. Aber ich möchte das nicht hinten runterfallen lassen, sondern neu aufrollen.
Was macht den Reiz Oberstadions aus?
Beeindruckend war für mich zuletzt der Zusammenhalt beim Hochwasjeder hat dem anderen geholfen. Unsere Vereine sind sehr aktiv, das sieht man zurzeit auch beim Ferienprogramm, das sie mittragen. Und wir haben eine wahnsinnig gute Infrastruktur für eine Gemeinde mit 1700 Einwohnern: eine Kita, die wir bei Bedarf um eine weitere Kleinkindgruppe in den Schulräumen erweitern können, die Schule, einen Arzt, Zahnarzt, eine Postagentur, Bäcker, Metzger, eine Tankstelle, einen Raiffeisenmarkt, zwei Banken, mehrere Friseure und eine Fußpflege. Und natürlich ein tolles Krippenmuseum. Erwähnen möchte ich auch die moderne, digitalisierte Verwaltung mit Gemeinde-App inklusive Terminvereinbarungstool, als besondere Dienstleistung haben wir einmal im Monat das Rathaus auch am Samstag offen. Auch unser Gemeinderat ist jederzeit für neue Ansätze offen, zum Beispiel beziehen wir 100 Prozent Grünstrom aus Wasserkraft, legen wie gesagt Wert auf den Bau von Mehrfamilienhäusern oder haben teilweise Mühlhausen mit LED-Lampen ausgestattet.
Wie ist Oberstadion bisher durch die Pandemie gekommen?
Für die Mitarbeiter im Rathaus war es schon ein erheblicher Aufwand, wobei die ganze Verwaltung dank eines guten Teams erfolgreiches Krisenmanagement bewiesen hat. Zum Glück hatten wir nicht so viele Corona-Fälle. Wir hatten einen größeren Ausbruch im Kindergarten und in einer Schulklasse, den wir aber auch dadurch gut bewältigt haben, dass das DRK sofort eine größere Testaktion organisiert hat.
Was wünschen Sie sich und Ihren Bürgern für die Zukunft?
Den Bürgern wünsche ich, dass sie endlich mal zur Ruhe kommen und wieder ein normaleres Leben führen können. Der Kommune wünsche ich, dass unser Bemühen zum Erfolg führt, einen Nachfolger für unseren Arzt zu finden, der in zwei bis drei Jahren aufhören will. Wir würden den oder die Nachfolgerin auch nach Leibeskräften unterstützen, etwa durch eine finanzielle Förderung für die Erstausstattung, mit einem Kinderbetreuungsplatz oder bei der Bauplatzsuche. Ansonsten würde ich sagen: Es ist schön, einfach auch mal den Status quo zu sichern. Wir haben eine tolle Struktur und ein wunderbares Vereinsleben. Man sollte das, was man hat, nicht aus den Augen verlieren.