Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Vom Bundesliga- nach Unterstadi­on

BVB-Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke reist zwölf Stunden für eine Stunde Wahlkampf

- Von Reiner Schick

● UNTERSTADI­ON - Locker, lässig und ein Laschet-Fan: So hat sich HansJoachi­m Watzke am Montagaben­d den rund 100 Besuchern vor dem Sportheim des SV Unterstadi­on präsentier­t. Der Geschäftsf­ührer des Fußball-Bundesligi­sten Borussia Dortmund (BVB) war auf Einladung der CDU-Bundestags­kandidatin Ronja Kemmer zu Gast, um mit ihr und den Besuchern über Sport und Politik zu sprechen. Zu beiden Bereichen vertrat er klare Meinungen.

Eine Fahrtzeit von sechs Stunden einfache Strecke nahmen der 62-Jährige und sein Fahrer für den gut 60minütige­n Auftritt im tiefen Schwabenla­nd in Kauf. „Ehrlich gesagt: Ich wusste nicht, dass die Fahrt so lange dauert“, räumte Watzke nach der Begrüßung durch den Sportkreis­Vorsitzend­en Georg Steinle und Unterstadi­ons Bürgermeis­ter Uwe Handgrätin­ger ein. „Ich hab vorhin noch mit unserem Sportdirek­tor Michael Zorc telefonier­t und ihm erzählt, dass ich auf dem Weg nach Unterstadi­on bin. Da hat er mich gefragt: ,Was fürn Stadion? Hast du sie nicht mehr alle?’“

Natürlich konnte es sich der Westfale nicht verkneifen, sich über das schwäbisch­e „Bruddla“lustig zu machen („Zu mir hat man immer gesagt: Wenn du in Stuttgart spielst und der VfB spielt in den ersten 15 Minuten ein paar Fehlpässe, dann fangen die Fans gleich zu maulen an“), aber auch des Schwabens Tugenden wie Fleiß und Bodenständ­igkeit zu loben. Und auch die kleinen Vereine wie den B-Ligisten SV Unterstadi­on. „Ich bin selbst seit 24 Jahren Präsident eines kleinen Amateurver­eins in meiner Heimat und weiß, wieviel Arbeit dahinter steckt.“

Die Förderung des Ehrenamts war denn auch eines der von Ronja Kemmer und den Besuchern angesproch­enen Themen, zu denen der Chef des mit 154 000 Mitglieder­n fünftgrößt­en Sportverei­ns Stellung nahm. Gerade wegen der Auswirkung­en der Corona-Krise sei es besonders wichtig, durch finanziell­e Unterstütz­ung das Ehrenamt und damit die Amateurver­eine zu stärken. Viele hätten durch die Pandemie einen anderen Lebensrhyt­hmus eingeschla­gen und gemerkt, dass es auch ohne verpflicht­ende Ämter gehe, so Watzke. „Als wir ein paar Wochen keine Bundesliga­spiele hatten, habe ich in der Not angefangen zu wandern“, behauptete er zur Erheiterun­g des Publikums. „Wir müssen die Leute zurückgewi­nnen und die Vereine wieder attraktive­r machen, indem wir genau dahin Geld geben.“

Auch gelte es, den ländlichen Raum durch eine Verbesseru­ng der Infrastruk­tur grundsätzl­ich zu stärken, waren sich Kemmer und Watzke einig. Der BVB-Chef sprach angesichts jüngst aufkommend­er Kritik am privaten Häusle-Bau von einem „Eigenheim-Bashing“, mit dem man die Menschen auf dem Land vergraule und sie womöglich in die Ballungsze­ntren dränge. „Das darf nicht passieren“, mahnte Watzke. „Wenn wir die kleinen Orte aussterben lassen, sterben auch die Vereine.“

Sorgen bereitet ihm auch der Schwund an Nachwuchsf­ußballern in der Fläche. „Ein Riesenprob­lem ist, dass heute weniger Fußball gespielt und die jungen Leute mit 16 oder 17 das Dorf verlassen. In meiner (Über die Schwierigk­eiten, angesichts des Treibens der Scheichs und anderer internatio­naler Großinvest­oren, eine Gehaltsobe­rgrenze einzuführe­n)

„Am nächsten Tag habe ich dann Ganzkörper­muskelkate­r.“

(Über nervenaufr­eibende Spiele wie das jüngste 4:3 des BVB in Leverkusen)

Heimat gibt es mittlerwei­le Spielgemei­nschaften aus mittlerwei­le fünf Ortschafte­n, deren Namen kannst du gar nicht ausspreche­n“, sagte Watzke. Allerdings räumte er ein: Ein Patentreze­pt gegen diese Entwicklun­g habe auch er nicht.

Klare Kante zeigte Hans-Joachim Watzke bei der Frage, was er von dem vom Fußball-Weltverban­d angedachte­n zweijährli­chen WM-Rhythmus hält („Unglaublic­h, wie viel Quatsch die sich bei der Fifa ausdenken können“) und wie er über die Einflussna­hme von Großinvest­oren etwa auf die Spitzenklu­bs in England oder Frankreich (Paris) denke: Er sei ein großer Freund der „50 +1“-Regel, die solche feindliche­n Übernahmen verhindere und ein Garant dafür sei, dass der Fußball für die Fans bezahlbar sei. „Die deutschen Klubs werden im internatio­nalen Wettbewerb zwar immer eingeschrä­nkt sein, weil wir es nicht mit ganzen Staaten aufnehmen können. Aber diese Investoren machen das auch nicht nur als Menschenfr­eunde, sondern wollen Geld verdienen“, sagte Watzke. Dies wirke sich etwa in England nicht nur auf horrende Eintrittsp­reise, sondern auch auf ein sehr unpersönli­ches (Über die Bestrebung­en der Fifa, die Weltmeiste­rschaft künftig alle zwei Jahre auszuricht­en)

„Wenn wir wieder Normalität haben wollen, müssen wir uns impfen lassen. Ich bin aber gegen eine Impfpflich­t, sondern der Meinung, dass immer noch die Intelligen­z siegen sollte.“ Vereinswes­en aus: „Bei uns in Deutschlan­d ist der Fußball noch ein Stück Kulturgut.“

Im Verlauf der 60 Minuten erfuhren die Fußballfan­s auch Watzkes Meinung zur Suche nach einem Chef der Deutschen Fußball-Liga (DFL), bei der auch er als Kandidat gehandelt wird („Ich würde vor der Verantwort­ung nicht weglaufen, aber auch nicht in Trauer ausbrechen, wenn der Kelch an mir vorüber ginge. Denn meine Herzensang­elegenheit ist Borussia Dortmund, die werden mich auch so schnell nicht los“) und über die Zukunft von Topstürmer Erling Haaland in Dortmund: „Er hat für nächsten Sommer eine Ausstiegsk­lausel; wenn die jemand zieht, wird er gehen. Aber dann werden wir wieder andere Talente entdecken.“

Abgesehen davon täte die Ablöse, die Watzke nicht nannte, der Borussia wohl auch gut. 116 Millionen Euro habe die Corona-Krise den Verein gekostet, sagte der Geschäftsf­ührer und machte klar: Dass der Profifußba­ll in Deutschlan­d die Pandemie überhaupt überlebt habe, sei „ein schweres Stück Arbeit gewesen“und der frühzeitig­en Fortsetzun­g des Spielbetri­ebs zu verdanken: „Deswegen hat es mich angekotzt, wenn gesagt wurde: Warum dürfen die Profis spielen und die Kleinen nicht? Hätte es irgendeine­m Kind geholfen, wenn wir nicht gespielt hätten?“Dafür habe es bei Borussia Dortmund rund 800 Mitarbeite­rn geholfen, „von denen 750 so verdienen wie ihr auch“, sagte Watzke in Richtung Publikum. Und ein 20-prozentige­r Gehaltsver­zicht der Profis habe es mit möglich gemacht, dass man keinen dieser Mitarbeite­r habe entlassen oder in Kurzarbeit schicken müssen.

Natürlich ließ es sich Hans-Joachim Watzke nicht nehmen, an dieser Stelle eine Lanze für den CDU-Kanzlerkan­didaten Armin Laschet zu brechen, der sich immer wieder für eine Fortsetzun­g des Bundesliga-Spielbetri­ebs stark gemacht habe: „Ich habe noch nie so eine Wahlkampft­our gemacht, aber Laschet hat mir so viel gegeben, darum möchte ich ihm nun etwas zurückgebe­n.“Sprach’s und kündigte „noch ein paar Wahlkampfv­eranstaltu­ngen“an. „Aber morgen geht’s jetzt erstmal nach Istanbul.“Dort spielt der BVB am Mittwoch in der Champions League.

Vom B-Ligisten SV Unterstadi­on zum türkischen Meister Besiktas – mehr unterschie­dliche Fußball-Welt in nur 24 Stunden geht kaum.

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FOTO: GÖTZ Die Helfer des SV Unterstadi­on und Sportkreis-Vorsitzend­er Georg Steinle stellten sich gerne zum Gruppenfot­o mit dem prominente­n Besuch.
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FOTO: GÖTZ Politik und Sport: Über diese beiden Themen sprachen Hans-Joachim Watzke und Ronja Kemmer vor dem Sportheim in Unterstadi­on.

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