Baerbock auf dem Münsterplatz
Kanzlerkandidatin der Grünen wirbt in Ulm vor rund 2000 Menschen um jede Stimme
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ULM - Es sei kein Dreikampf mehr, sondern ein Duell. So ist der Wettstreit ums Kanzleramt zuletzt beschrieben worden, weil die Grünen in den Umfragen den Anschluss verloren haben. Auch Annalena Baerbock spricht in Ulm von einem Duell statt von einem Triell. Die Grüne Kanzlerkandidatin argumentiert aber anders: Die Wählerinnen und Wähler könnten sich zwischen „Aufbruch“und „Weiter so“entscheiden. Von den knapp 2000 Menschen auf dem Münsterplatz kommt viel Beifall, doch am Ende muss sich die Grüne Kandidatin auch kritische Fragen anhören. Ihre Konkurrenten, Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU) machen einen Bogen um die Stadt.
Die Grünen-Kandidatin kommt aus Augsburg und reist weiter nach Stuttgart. In Ulm spricht sie nicht nur vor rund 2000 Menschen auf dem Münsterplatz, sondern auch in der Neuen Synagoge mit Rabbiner Shneur Trebnik. Seine Gemeinde und das Gotteshaus lobt sie als beispielhaft für die Republik. Man sehe das daran, wie selbstverständlich die jüdische Gemeinde zur Stadtgesellschaft gehöre, an Trebniks Engagement als Polizeirabbiner und auch daran, wie sehr die Menschen nach dem Brandanschlag auf die Synagoge zusammengestanden hätten.
Vor allem aber hat Annalena Baerbock politische Botschaften dabei. Es geht um soziale Fragen, um die Umwelt, um Europa, um Außenpolitik. Sie warnt eindringlich vor den Klimaveränderungen.
Wenn die Politik jetzt nicht aktiv werde, könnten junge Menschen in 20 Jahren im September nicht mehr mittags auf die Straße gehen, weil es dann schlicht zu heiß sein werde. Die Große Koalition habe immer nur geredet, aber nie gehandelt. Damit spielt die Kandidatin auch einen Vorwurf zurück: Den, dass sie keine Regierungserfahrung habe. Ihre Mitbewerber, ruft Baerbock, hätten diese Verantwortung gehabt. Doch getan hätten sie nichts.
Das Gleiche erkennt Baerbock auch beim Ende des Afghanistan-Einsatzes. Als es darum gegangen sei, Ortskräfte und Frauenrechtlerinnen zu retten, hätten sich Union und SPD im Bundestag weggeduckt: „Innenpolitische Ängste, vielleicht die Angst vor weniger Stimmen bei der Bundestagswahl, haben dazu geführt, dass diese Menschen in Afghanistan festsitzen“, kritisiert Baerbock. Das Land sei seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Immer wieder redet sie über den Aufbruch, den die Grünen möglich machten. „So, wie die Menschen in der Pandemie über sich hinaus gewachsen sind, muss auch die Politik über sich hinaus wachsen“, fordert sie. Das gehe am besten in einer Grün geführten Regierung, es komme auf jede Stimme an. Annalena Baerbock spricht viel über die Jungen. Über die Zukunft,
aber auch über das Jetzt. Ja, Bildung sei Ländersache. Aber Kinder in armen Bundesländern seien noch einmal mehr benachteiligt. „Ich will das nicht mehr“, ruft Baerbock. Der Bund müsse sich stärker einbringen, damit Schulen schöne Orte werden könnten. Die Grüne Kanzlerkandidatin prangert die Pläne von CDU und CSU an, den Solidaritätszuschlag auch für die am besten Verdienenden abzuschaffen und erneuert ihren Vorschlag, dieses Geld für eine Kindergrundsicherung auszugeben.
Für Kinder und Jugendliche kämpft auch Ekin Deligöz. Die Kandidatin des Wahlkreises Neu-Ulm ist Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion. In Ulm prangert sie an, dass zu viele Familien unter dem Existenzminimum leben. Die Politik müsse handeln und das ändern. Das Gleiche gelte für die Benachteiligungen von Zugewanderten und anderen Bevölkerungsgruppen. Der Ulmer Abgeordnete und Grünen-Direktkandidat Marcel Emmerich fordert mehr Einsatz und mehr Geld für eine wehrhafte Demokratie, um Hass und Morde zu verhindern. Die beiden Kandidaten bekommen viel Beifall, doch als Annalena Baerbock die mit Sonnenblumen geschmückte grüne Bühne betritt, brandet Jubel auf. Als sie sich am Ende den Fragen der Besucherinnen und Besucher stellt, wird dennoch Kritik laut.
Ein Mann schimpft über das teurer gewordene Anwohnerparken in Ulm, Baerbock reicht die Frage unkommentiert an Marcel Emmerich weiter. Eine junge Frau fragt, warum das
Land nicht früher klimaneutral werden könne als es die Grünen vorschlagen. Eine andere kritisiert, dass das neu eröffnete Berliner Museum Humboldt-Forum den deutschen Kolonialismus beschönige und dabei auch noch Steuergeld kassiere. Und vom Rand schimpft eine Frau über die Corona-Politik, über die Maskenpflicht und die Ausgrenzung Ungeimpfter. Auch das gehöre dazu, sagt Baerbock: „Manchmal sind da auch Leute mit Trillerpfeifen.“
Am Ende drängen sich vor allem junge Menschen nach vorne. Für ein Foto, ein Autogramm oder ein kurzes Gespräch mit Annalena Baerbock. Die verlässt den Platz unter großem Beifall - und mit einer Schramme. Genauer gesagt: ihr Bus. Der grüne Setra-Bus, in Neu-Ulm gefertigt und auf dem Dach mit Solarpanels versehen, touchiert bei der Abfahrt eine Ampel. Polizisten, die zuvor den Platz gesichert hatten, nehmen den Unfall auf. Das Gefährt steht schon vorher im Mittelpunkt: Baerbock muss erklären, warum sie einen Diesel fährt und kein E-Fahrzeug oder die Öffentlichen nutzt. Anders sei eine solche Deutschlandtour nicht möglich, argumentiert die 40-Jährige. Anders als ihre Mitbewerber wolle sie mit den Menschen ins Gespräch kommen und dazu müsse sie viel reisen, sagt Baerbock und preist den Hersteller Evobus. Der Bus sei hervorragend, effizient und man könne darin sogar nachts um halb drei ein Rührei kochen. In Ulm aber, sagt sie am Ende vor Journalistinnen und Journalisten, sei hoffentlich noch Zeit für Maultaschen.