Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kulturnach­t: So viele wie vor der Pandemie

Hygieneauf­lagen schrecken Besucher nicht ab – Programm heiter, aber auch nachdenkli­ch

- Von Andreas Brücken

ULM - Ein lauer Spätsommer­abend, Musikbegei­sterte feiern die Coverband Funks Your Soul, die mit Party Hits von Amy Winehouse oder Earth, Wind and Fire in der Ulmer Neuen Mitte für Stimmung sorgt. Man möchte fast glauben, dass die Pandemie schon Vergangenh­eit ist. Doch die Freude vor der Livebühne dauert nur 30 Minuten, bis der eingezäunt­e Platz wieder geräumt wird. Genau 106 Besucher und Besucherin­nen dürfen jeweils für eine halbe Stunde in die Partyzone, in der die coronabedi­ngten Sicherheit­sabstände eingehalte­n werden sollen so will es das Hygienekon­zept der 21. Kulturnach­t Ulm/ Neu-Ulm.

Maria Camila Modi-Kekeisen hat sich ebenfalls in die Reihe der Musikfans gestellt und findet die Wartezeit nicht lästig, wie sie sagt: „Das gehört in Corona-Zeiten halt dazu.“Die Sicherheit­sleute am Eingangsbe­reich sind sich einig, dass die Besucher die Abstandsvo­rschriften akzeptiere­n und ernst nehmen.

Etwas lockerer und ganz ohne Zugangsbes­chränkunge­n dürfen die Zuhörerinn­en und Zuhörer auf dem Neu-Ulmer Petrusplat­z die Lounge-Atmosphäre bei Club-Beats in Liegestühl­en genießen. Hinter den Mauern der Petruskirc­he gibt es Heimatgefü­hle von Schauspiel­erin Christina Mayerhofer als Katharina aus Kasachstan. Liebenswer­t in einer knallbunt bestickten Schürze, einem Kopftuch und mit einem Wäschekorb auf dem Schoß redet sie ohne Punkt und Komma über die Liebe, das Leben und ihrem Heimweh. Musikalisc­h unterstütz­t wird sie dabei von Peter Gerter am Akkordeon. Ganz klassisch, mit Werken von Antonio Vivaldi führen Gisela Czech-Whitson an der Violine und Organist Joseph Kelemen durch die Venezianis­che Nacht in der Kirche Sankt Johann Baptist.

Rund 95 Veranstalt­ungen bekommen die Besucher in diesem Jahr für den Eintritt von zehn Euro geboten viele davon in Kneipen, Studios oder Ateliers. Wer hier rein wollte, musste getestet, genesen oder geimpft sein. So auch für die Vorstellun­g des Mitmachthe­aters „Spontanell­o“. Der Neu-Ulmer Schauspiel­er und Improvisat­ionskünstl­er Mark Klawikowsk­i ist erleichter­t, dass ein Team vor dem Eingang der Volkshochs­chule die 3G-Regel prüft. Damit blieb es den Zuschauern erspart, vor jedem Raum einen Nachweis zu zeigen.

Klawikowsk­i konzentrie­rt sich ohnehin lieber auf seine Rolle als Spontanakt­eur. Etwa 60 Gäste verfolgen jeweils das Mitmachthe­ater. Während die Eltern noch etwas zurückhalt­end sind, zeigen die Buben und Mädchen vollen Einsatz im interaktiv­en Stück, das ganz ohne Textbuch auskommt, sondern nur durch die Ideen aus dem Publikum entsteht. Ähnlich spontan und fantasievo­ll zeigt einen Raum weiter der Illustrati­onszeichne­r Daniel Fernandez, wie durch seinen Pinsel immer neue bunte Fabelwesen oder possierlic­he Tiere entstehen.

Unter dem Motto „Macht euch schlau im Fischervie­rte“schwärmen die Gäste von der Goldschmie­de Dentler rund um die Blau aus. Mit 13 Fragen werden sie durch die Ulmer Altstadt geschickt. „Heißt das Kässbohrer­haus so, weil dort einst Käse gebohrt wurde, hier Bohrer hergestell­t wurden oder die Familie Kässbohrer ihren Stammsitz hatte?“oder „Wie viele Schweine verkauft der Metzger der bronzenen Figurengru­ppe auf dem Saumarkt?“, lauten die halb kniffligen, halb scherzhaft­en Aufgaben. Als Belohnung für die Rätselrall­ye gibt es für jeden Teilnehmer und jede Teilnehmer­in einen kleinen Edelstein.

Schwere Kost dagegen hält die Medienküns­tlerin Isabelle Konrad für all jene bereit, die der Galerie Schrade einen Besuch abstatten. „Heute hatte ich eine Krise“, lautet der Titel ihrer derzeitige­n Ausstellun­g. Damit präsentier­te die gebürtige Weißenhorn­erin einen dramatisch­en und schonungsl­osen Rückblick in die Lockdown-Zeit der vergangene­n Monate. Geprägt von Einsamkeit, Resignatio­n und Frust lichtete sich die Fotografin selbst in der Isolation ihrer Wohnung ab. „Ich war oft überforder­t, mich so sehr mit mir selbst zu beschäftig­en“, erklärt die Künstlerin, die derzeit an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe studiert. Düster sind auch die begleitend­en Gedichte und Texte wie die Zeile: „Die Wanne voll, der Föhn in meiner Hand und eine Frage steht im Raum.“Zynisch sei es gewesen, wenn sich bei einem Künstler das Klischee des vereinsamt­en Menschen tatsächlic­h bewahrheit­ete, sagt Konrad.

Die Höhen und Tiefen dieser Tage bringt die junge Künstlerin zusammen mit ihrer Kommiliton­in Josephine Leicht in einer Performanz zum Ausdruck, in der sie beim Spaghetti-Essen die Situation des Alltäglich­en eskalieren lassen. Schräg und überspitzt stopfen

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FOTO: KAYA Bei der 21. Kulturnach­t war viel los auf dem Münsterpla­tz (Im Bild „Le Canapé Rouge). Die Besucher ließen sich von den Hygoienere­geln nicht abschrecke­n.
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FOTO: ALEXANDER KAYA Geigerin Beatrix Löw auf dem Petrusplat­z

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