Die Hölle im Paradies
Der Vulkanausbruch auf La Palma zerstört Existenzen und lockt zugleich Schaulustige an
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MADRID/LA PALMA - Als der Vulkan im Gebirge Cumbre Vieja – auf deutsch: Alter Gipfel – einige Kilometer oberhalb ihres Hauses ausbrach, hatten sie nicht einmal Zeit, die Koffer zu packen. Johann und Ursula Schmit konnten nur mit der Kleidung fliehen, die sie am Leibe trugen. „Wir rannten schnell raus, mit einigen wichtigen Dokumenten, ein bisschen Geld, Ausweise und Brillen“, berichtet der 69-jährige Johann Schmit, der gebürtig aus Bayern stammt. Mit ihrem Mischlingshund Rocky sprangen die beiden Rentner, die seit Jahren im Südwesten der Kanareninsel La Palma leben und dort von einem sorgenfreien Ruhestand träumten, in ihr Auto und brachten sich in Sicherheit. Sie wissen nicht, ob sie ihr Haus jemals wiedersehen werden. „Das ist fürchterlich“, sagte Johann Schmit der Inselzeitung „La Provincia“.
Die beiden Deutschen sind nicht die einzigen ausländischen Residenten im Katastrophengebiet. Dieses bestand bisher aus einer Berglandschaft mit Kiefernwäldern, Weinplantagen und dazwischen verstreuten weißen Häusern, die einen fantastischen Ausblick auf den Atlantik boten. Diese Idylle zog etliche Aussteiger und Ruheständler an.
Eine dieser verschlafenen Bergsiedlungen heißt sinnigerweise El Paraíso, auf Deutsch: das Paradies. Doch das Paradies verwandelte sich in den vergangenen Tagen in eine Hölle. Die Lava, die mit mehr als 1000 Grad Temperatur aus dem Krater gequollen und dann den Hang herunter nach El Paraíso gekommen war, ließ einen Großteil des Ortes, in dem etwa 300 Menschen wohnten, unter einer meterhohen dampfenden Vulkanschicht verschwinden. Was nicht von der Lava begraben wurde, brannte lichterloh: Häuser, Viehställe, Palmen und Autos. Seit der Vulkan am Sonntag explodierte, spuckt er unaufhörlich Lava aus. Das „Monster“, wie die spanische TV-Moderatorin Susana Griso den Vulkan nannte, hat immer mehr feuerspeiende Münder. Gerade ist ein neuer Schlot aufgerissen, 900 Meter unterhalb der anderen Krater und gefährlich nahe an der Siedlung Tacande, deren 700 Einwohner deswegen ebenfalls fliehen mussten.
Immer mehr Lavazungen kriechen den Hang des Cumbre Vieja herunter und bewegen sich Richtung Meer. Die Bergkette ist vulkanischen Ursprungs und war in der Vergangenheit immer wieder Schauplatz von Eruptionen – zuletzt vor 50 Jahren. Mehr als 200 Gebäude wurden bisher zerstört, viele weitere könnten noch folgen, wenn nicht ein Wunder geschieht und die Lavawalze zum Stehen kommt.
Am Mittwoch erreichte die Lava das Dorf Todoque. Dort versuchten Soldaten und Feuerwehrmänner in einem Wettlauf mit der Zeit, einen großen Graben auszuheben, um die zähflüssigen Vulkanmassen in eine Schlucht am Dorfrand umzuleiten.
Menschen wurden bei diesem Vulkandrama bisher nicht getötet, weil die mehr als 6500 Bewohner, die unterhalb des Vulkans siedeln, rechtzeitig evakuiert werden konnten. Doch die Zerstörungen werden immer größer: Gebäude, Existenzen und Lebensträume werden vernichtet. Inselregierungschef Ángel Víctor Torres bezifferte die bisherigen Schäden auf über 400 Millionen Euro. An der Küste liegen riesige Bananenplantagen, die neben dem Tourismus die wichtigste Einnahmequelle der 84 000 Bewohner La Palmas darstellen.
Doch was für die Bewohner eine Katastrophe ist, wird für andere zum faszinierenden Naturspektakel. Wie die Inselbehörden mitteilten, lehnten nicht wenige jener Touristen, die wegen der heranrückenden Lava evakuiert werden mussten, das Angebot ab, auf der Nachbarinsel Teneriffa ihre Ferien fortzusetzen. „Viele wollten auf La Palma bleiben und den Vulkanausbruch miterleben“, sagt der Tourismusbeauftragte der Insel, Raúl Camacho. Allein im südwestlichen Ferienort Puerto Naos an der Küste, der demnächst ebenfalls von der Lava erreicht werden könnte, waren 500 Urlauber aus dem Ferienkomplex Sol evakuiert worden. Zusammen mit den Gästen anderer Unterkünfte waren insgesamt rund 1000 Urlauber in Sicherheit gebracht worden. Von ihnen wollten nur 350 Touristen per Fähre nach Teneriffa abreisen, berichtet Camacho. Die anderen wurden in Inselhotels im Norden und Osten La Palmas untergebracht, wo bisher keine Gefahr durch den Vulkan droht.
Diese Information deutet darauf hin, dass demnächst auf La Palma der Vulkantourismus zu einem lohnenden Geschäft werden könnte. Ähnlich wie es bereits auf Island nach dem Ausbruch des lavaspuckenden Vulkans Fagradalsfjall im Frühjahr geschah. Dafür spricht auch die Beobachtung, dass Flugzeuge und Fähren, die derzeit auf La Palma ankommen, nicht leer, sondern überraschend voll sind. Zudem ist es auf der Insel inzwischen nicht einfach, überhaupt noch ein Hotelzimmer zu bekommen. Und im Internet kursieren bereits Tipps für die besten Aussichtspunkte der Vulkan-Schaulustigen.