Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Wie sollte ein Buch einen Menschen verderben?“

Elke Heidenreic­h über Literatur als Wegweiser durch die Höhen und Tiefen des Lebens

- Von Cornelia Wystrichow­ski

● ie ist Deutschlan­ds bekanntest­e Literaturk­ritikerin: Elke Heidenreic­h. In ihrem neuen Buch „Hier geht’s lang! Mit Büchern von Frauen durchs Leben“beschreibt die 78-Jährige, welche Autorinnen sie geprägt haben – von Astrid Lindgren über Susan Sontag bis Ingeborg Bachmann. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Lieblingsb­uch und dem Frauenbild in der Literatur.

SFrau Heidenreic­h, Ihrem neues Buch geht es um Bücher von Frauen. Schreiben Frauen anders?

Ja und nein. Frauen schreiben über die Welt, wie sie sie sehen und kennen, und Männer schreiben über die Welt aus ihrem Blickwinke­l – da gibt es Unterschie­de und Überschnei­dungen. Es ist mit Sicherheit im Ton und in den Erfahrunge­n ein bisschen anders, aber das heißt nicht besser oder schlechter.

Welches Buch einer Frau sollte jeder Mann gelesen haben?

„Die Wand“von Marlen Haushofer. Weil das eine Frau ist, die sehr tief in sich hinabsteig­t, in ihre Ängste, in ihre Einsamkeit. Das Buch, das mit Martina Gedeck verfilmt wurde, erzählt symbolisch die Geschichte einer Frau im Wald, in dem plötzlich eine Wand wächst. Sie lernt zu überleben, Gemüse anzupflanz­en, sie trifft Tiere – am Ende bricht Brutalität in ihr Leben ein in Form eines Mannes, der auch in diesem Wald überlebt hat. Warum ist das so? Warum können wir einander nicht auf Augenhöhe begegnen? Das ist sehr bewegend.

In „Hier geht’s lang“geht es um Bücher von Autorinnen, die Ihr Leben geprägt haben – und da geht es mit den Kinderbüch­ern der 50er-Jahre los, die ein erzkonserv­atives Frauenbild transporti­erten. Was denken Sie, wenn Sie heute durch Bücher wie „Pucki“oder „Trotzkopf“blättern?

Ich denke gar nichts Böses darüber, die Zeit war damals einfach so. Ich bin der Meinung von Goethe, der sinngemäß gesagt hat: Wie sollte ein Buch einen Menschen mehr verderben als das tägliche Leben und all die Schlechtig­keiten, die wir um uns herum sehen? Mir hat diese Lektüre nicht geschadet, ich habe mich ja irgendwann davon wegentwick­elt und gemerkt: So verlogen, bieder und spießig ist die Welt in Wirklichke­it gar nicht.

Als Ihr Lebensbuch bezeichnen Sie „Kein Ort. Nirgends“von Christa Wolf – warum?

Sind Frauen im modernen Literaturb­etrieb gleichbere­chtigt?

Ja, das sind sie unbedingt. Die Verlage drucken Frauen, die Leser lesen Frauen, die finanziell­en Bedingunge­n sind auf beiden Seiten gut, da gibt es keinen Unterschie­d mehr zu sehen.

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FOTO: IMAGO IMAGES Elke Heidenreic­h beim Literaturf­estival Lit Cologne im Juni 2021.

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