Weiter im Sinkflug
Zum zweiten Mal in diesem Jahr verliert die Südwest-CDU massiv an Stimmen
●
STUTTGART - Mitten in der Wahlnacht, gegen 3 Uhr am frühen Montag, erreichte die CDU in BadenWürttemberg die bittere Nachricht: Fast 600 000 Stimmen haben die einst so stolzen Christdemokraten im Vergleich zur letzten Bundestagswahl verloren. Zwar hatte kurz zuvor Josef Rief das letzte offene Direktmandat im Land für die CDU im Wahlkreis Biberach verteidigt. Doch auch er erlitt starke Verluste. Nach der desaströsen Niederlage bei der Landtagswahl setzt sich der Abwärtstrend für die CDU im Südwesten damit fort. Jetzt ringt die Partei um ihre künftige Aufstellung.
Nach Auszählung aller Wahlkreise am frühen Montagmorgen lag die Landes-CDU bei 24,8 Prozent – 9,6 Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren. Die Südwest-SPD steigert sich nach dem vorläufigen Ergebnis um 5,2 Punkte und landet bei 21,6 Prozent. Die Grünen im Land schaffen mit 17,2 Prozent ihr bestes Ergebnis jemals. Die FDP legt auf 15,3 Prozent zu, nach 12,7 Prozent vor vier Jahren. Die AfD büßt 2,6 Punkte ein und landet bei 9,6 Prozent. Die Linke verliert 3,1 Punkte und liegt nur noch bei 3,3 Prozent. Die Stimmberechtigten im Südwesten waren ziemlich exakt so wahlfreudig wie vor vier Jahren. Erneut hatten 77,8 Prozent ihr Votum abgegeben. Die Wahlbeteiligung lag nur einen halben Prozentpunkt hinter der von 2017.
Die CDU hält SPD und Grüne im Südwesten damit auf Distanz. Aber: Der Südwest-Landesverband verliert noch stärker als die Bundespartei und liegt auch nur knapp über dem Ergebnis der Union insgesamt. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel von der Universität Konstanz sieht im Abschneiden der CDU bei der Bundestagswahl in Baden-Württemberg gar eine „katastrophale Wahlniederlage“. Beim Ergebnis der Union habe klar die Schwäche der Bundespartei durchgeschlagen, sagte er der dpa.
Auch innerhalb des Landesverbands gibt es selbstkritische Stimmen. „Es ist jetzt notwendig, in und mit der Partei einen Erneuerungsprozess zu starten. Beispiel Klimaschutz, für das ich zuständig bin“, sagt etwa Andreas Jung, Abgeordneter aus Konstanz. „Wir haben viele Maßnahmen vorgelegt, aber es gibt immer noch Zweifel, ob wir das konsequent machen werden. Wir haben den Klimaschutz nicht immer so konsequent vorangetrieben, das ist eine Flanke, die wir schließen müssen.“
Inge Gräßle, bis 2019 Europaabgeordnete und nun direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Backnang-Schwäbisch Gmünd, sieht die Verantwortung auch im Landesverband selbst. „Die CDU in BadenWürttemberg trägt nicht mehr als andere zum gemeinsamen Ergebnis bei“, sagt sie. „Ich glaube, dass wir uns nach allen Seiten optimieren müssen und die sozialen Fragen dringend beantworten müssen.“
Aus Sicht des Sozialflügels muss sich der Landesverband dafür inhaltlich, aber auch personell neu aufstellen. Die hohen Verluste seien nicht verwunderlich, sagt Christian Bäumler, Landeschef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), der dpa. „Die CDU hat nicht begriffen, dass man ohne das Thema soziale Gerechtigkeit keine Wahlen gewinnen kann.“
Es sei ein Fehler gewesen, den CDU-Wirtschaftsexperten Friedrich Merz in Baden-Württemberg so in den Vordergrund des Wahlkampfs zu stellen. „Eine Partei, die auf Friedrich Merz setzt, muss Stimmenverluste erleben“, sagt der Sozialpolitiker Bäumler. Die CDU habe sich wie der „verlängerte Arm“der Arbeitgeberverbände und der Industrie aufgeführt. „Wenn die CDU meint, nur eine aufgeblasene FDP zu sein, dann kommen wir nicht voran.“
Es ist jedoch kein Geheimnis, dass innerhalb der CDU-Basis in BadenWürttemberg sehr viele zunächst Friedrich Merz als Parteivorsitzenden und später Markus Söder (CSU) als Kanzlerkandidaten favorisiert hatten. Strobl hingegen hatte sich klar zu Armin Laschet positioniert – und sich damit nicht nur Freunde an der Basis gemacht.
Laut Politikwissenschaftler Seibel komme es für die Union nun vor allem darauf an, wie sich die Partei intern in Bezug auf eine mögliche Kanzlerschaft von Armin Laschet verhalte. Viele hätten Laschet nur unterstützt, um ihn als Parteivorsitzenden nicht zu demontieren. „Nun kommt die Stunde der Wahrheit“, so Seibel. Doch auch mit Blick auf die Südwest-CDU müsse es nun einen Neubeginn geben. Landeschef Strobl sieht Seibel durch das CDU-Ergebnis in Baden-Württemberg klar geschwächt.
Ganz so weit wollen viele in der CDU dann doch nicht gehen. „Im Land kann ich keine Änderungen erkennen, halte ich auch nicht für notwendig“, sagt etwa Lothar Riebsamen, scheidender Abgeordneter aus dem Wahlkreis Bodensee.
Auch Manuel Hagel, Fraktionsvorsitzender der CDU im badenwürttembergischen Landtag, macht deutlich, wo das Wahlergebnis aus seiner Sicht aufgearbeitet werden muss: in Berlin. „Klar ist, ein ,Weiter so’ kann es nicht geben“, sagt er. „Das Wahlergebnis muss jetzt in Berlin ehrlich und transparent aufgearbeitet werden – auch da, wo es wehtut. Die Bundes-CDU braucht einen konzeptionellen und personellen Aufbruch.“
Landeschef Thomas Strobl verspricht, das Wahlergebnis aufzuarbeiten. „Das Ergebnis für die Union stimmt uns freilich nicht zufrieden, es liegt hinter unserem Anspruch. Das ist bitter – da gibt es kein Vertun“, sagt er. Immerhin habe man Rot-Rot-Grün verhindert und einen engagierten Schlussspurt hingelegt. „Aber am Ende hat es leider nicht für Platz eins gereicht. Da gehen wir auch nicht einfach zur Tagesordnung über. Wir schauen uns das Ergebnis ganz genau an, analysieren es – und dafür nehmen wir uns auch die Zeit, die wir brauchen.“
Trotzdem könnte es schon in wenigen Wochen auch für Strobl spannend werden. Am 13. November steht der Landesparteitag mit Vorstandswahlen an und der Landeschef wird sich spätestens dann zu den massiven Stimmverlusten bei der Bundestagswahl wie auch bei der Landtagswahl im März erklären müssen. „Ich hoffe, dass dieser Landesparteitag gut vorbereitet wird“, sagt Inge Gräßle. „Wir müssen über beide Wahlniederlagen diskutieren und es ist wichtig, offen zu machen, wie wir uns aufstellen müssen, damit das die letzte Niederlage war.“