Entscheidende Minuten
Land will Hilfsfristen im Rettungsdienst verkürzen – Kritikern geht das nicht weit genug
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STUTTGART - Zehn bis höchstens 15 Minuten hat der Rettungsdienst im Notfall Zeit. Innerhalb dieser Frist sollten Notfallsanitäter und -ärzte vor Ort sein, wenn ein Notruf eingegangen ist. Das Land Baden-Württemberg will seine Notfallrettung verbessern und die Hilfsfrist für den Rettungsdienst auf zwölf Minuten verkürzen. Doch Kritikern gehen die Pläne nicht weit genug. Denn: Das Land setzt vor allem auf Freiwilligkeit.
Worum geht es genau?
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Das Rettungsdienstgesetz sieht in Baden-Württemberg für den bodengebundenen Rettungsdienst eine Hilfsfrist von „zehn bis höchstens 15 Minuten“vor. Bislang orientierte man sich jedoch meistens an den 15 Minuten. Das Land will deshalb nachsteuern und Rettungswachen fortan so planen, dass eine Hilfsfrist von zwölf Minuten eingehalten werden kann.
Im gleichen Zug will sich das Land von der doppelten Hilfsfrist trennen. Hierbei muss die Hilfsfrist sowohl vom Rettungswagen als auch vom Notarzt eingehalten werden. Diese baden-württembergische Besonderheit sorgt seit Jahren für Debatten, weil dadurch die Fristen seltener eingehalten werden können. Ersatzlos wegfallen soll die notärztliche Hilfsfrist laut Innenministerium zwar nicht. Was stattdessen vorgesehen wird, ist jedoch offenbar noch nicht ganz klar. Vonseiten des Innenministeriums heißt es lediglich, es gebe Überlegungen, Notärzte künftig gezielter einzusetzen.
Wie groß ist der Reformbedarf?
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Grundsätzlich hat die medizinische Notfall-Versorgung in Baden-Württemberg ein hohes Niveau. Im Regierungsbezirk Tübingen war im Jahr 2019 in fast 95 Prozent der Notfälle innerhalb von 15 Minuten ein Rettungswagen am Einsatzort. Gleiches gilt für den Landkreis Tuttlingen und den Ostalbkreis. Eine Datenanalyse von SWR und „Schwäbischer Zeitung“offenbarte jedoch etwa im Jahr 2019 große regionale Unterschiede. So wird die gesetzlich vorgegebene Frist von maximal 15 Minuten vor allem in ländlichen Regionen häufig überschritten.
Soll es eine Gesetzesänderung geben? ●
Nein. An der Formulierung im Gesetz soll festgehalten werden. Die Selbstverwaltung, also Kassen und Rettungsdienste, sollen sich stattbeim dessen freiwillig zur Einhaltung der strengeren Hilfsfrist verpflichten. „Da sich die neu vorgesehene Regelung innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Zeitrahmens von zehn bis 15 Minuten hält, stellt dies keinen Widerspruch dar, der eine Angleichung des gesetzlichen Rahmens erforderlich machen würde“, heißt es in einer Antwort von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) auf eine FDP-Anfrage.
Ab wann soll die neue Regelung ● gelten?
Das ist noch nicht ganz klar. „Sobald der Abstimmungsprozess mit der Selbstverwaltung beendet ist, wird das Innenministerium die Veröffentlichung des neuen Rettungsdienstplanes veranlassen“, schreibt Strobl. Fest steht aber: Für bereits bestehende Rettungswachen soll sich nichts ändern. Die neue 12-Minuten-Frist soll nur für neue Wachen gelten.
Was sagen Kassen und Rettungsdienste? ●
„Als Hilfsorganisation begrüßen wir alle Schritte, die eine schnellere Versorgung ermöglichen“, sagt etwa Udo Bangerter, Sprecher des DRKLandesverbands. Die Finanzierung müsse jedoch sichergestellt sein. „Darüber hinaus sind mit zusätzlichen Standorten unmittelbar auch mehr Rettungswagen verbunden. Daraus resultiert ein Mehrbedarf Personal.“Jeder neue 24/7Rettungswagen bedeute rund zwölf zusätzliche Mitarbeiter.
Der Geschäftsführer der BarmerLandesvertretung in Baden-Württemberg, Winfried Plötze, begrüßt die Reform des Rettungsdienstes und spricht sich vor allem für die Abschaffung der doppelten Hilfsfrist aus. „Bis zum Jahr 2022 werden hierzulande die Notfallsanitäter ausgebildet. Sie sind besser qualifiziert als die Rettungsassistenten und können die Patienten bis zum Eintreffen des Notarztes medizinisch versorgen. Das macht die doppelte Hilfsfrist auf lange Sicht überflüssig“, sagt Plötze.
Warum gibt es Kritik?
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„Es sind erhebliche Zweifel angebracht, ob sich die Versorgung von Patienten durch die geplante Änderung des Rettungsdienstplans tatsächlich verbessert“, sagt Nico Weinmann, Sprecher der FDP-Landtagsfraktion für Bevölkerungsschutz. „Wenn es Innenminister Strobl ernst mit der Verkürzung der Hilfsfrist auf zwölf Minuten ist, dann muss er das gesetzlich verankern.“Ansonsten werde sich in der Praxis in absehbarer Zeit nicht viel ändern, weil das Gesetz immer noch von einer Hilfsfrist von 15 Minuten ausgehe.
„Letztlich räumt Innenminister Strobl mehr oder weniger ein, dass vielerorts unter den bisherigen Bedingungen die Einhaltung einer 12minütigen Hilfsfrist nicht möglich ist. Denn dazu braucht es mehr Rettungswachen, die nach den Worten des Innenministers aber erst ‚nach und nach‘ beziehungsweise ‚langfristig‘ entstehen sollen“, sagt Weinmann weiter. „Diese vage Ankündigung ist ambitionslos und angesichts der großen Defizite im Rettungsdienst nicht hinnehmbar.“Dass die Hilfsfrist für Notärzte ganz gestrichen werden soll, stößt bei der FDP ebenfalls auf wenig Verständnis. „Das kann man erst machen, wenn die Alternativen wirklich funktionieren, was bislang nicht der Fall ist.“
Ähnlich sieht das Notfallsanitäter Riccardo Lardino. Er ist Sprecher des Vereins „InsideTeam e.V.“, in dem sich erfahrene Feuerwehrleute und Notfallsanitäter zusammengeschlossen haben. Für Lardino geht das Vorhaben des Innenministers schlicht nicht weit genug. „Die Hilfsfrist muss in Zukunft hinsichtlich des der Einhaltung einen viel „höheren Stellenwert erlangen“, sagt er. Und: „Bei einer Reanimation zum Beispiel sinkt die Überlebenschance pro Minute um circa zehn Prozent, wenn nicht mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung begonnen wird. Und insbesondere bei einem Schlaganfall oder bei einem schwer verletzten Patienten ist die Zeit einer der wichtigsten Faktoren.“