Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Pfarrer klagt: Terror in Nigeria – und die Welt schaut zu

Venatius Oforka aus Oberstadio­n berichtet von schlimmen Zuständen in seiner Heimat

- Von Reiner Schick

OBERSTADIO­N - Seit zehn Jahren lebt Pfarrer Venatius Oforka nun schon in Deutschlan­d, seit vier Jahren arbeitet er für die Seelsorgee­inheit „Donau-Winkel“in der Pfarrgemei­nde Oberstadio­n. Regelmäßig kehrt der 54-Jährige nach Nigeria zurück, wo seine Familie, Verwandten und Freunde leben. Und bei jedem seiner Besuche erfährt er aufs Neue, dass sich die Situation in seinem Heimatland zunehmend verschlimm­ert. Er spricht von Unterdrück­ung vor allem der christlich­en Bevölkerun­g im Land durch radikale Islamisten.

„Und meine große Enttäuschu­ng ist“, sagt Oforka, „dass die westlichem Medien gar kein Interesse an der Situation in Afrika haben. Vor allem in Schwarzafr­ika gibt es immer mehr islamistis­che Terrorgrup­pen, in Nigeria ist diese Entwicklun­g besonders stark ausgeprägt.“

Um zu verstehen, was in seinem Land passiert, müsse man auf dessen Geschichte zurückblic­ken. „Nigeria ist ein künstliche­s Land“, erzählt der Pfarrer. „Vor der Kolonialze­it gab es das Land nicht, es wurde von England aus politische­n Gründen gegründet.“Es setze sich zusammen aus mehr als 250 Stämmen, die sich politisch, kulturell, sprachlich und auch religiös völlig unterschei­den. „Nigeria ist keine Einheit.“Dennoch sei das Land nach der Staatsgrün­dung im Jahr 1814 zunächst stabil gewesen. „Islamistis­che Bewegungen gab es zwar schon vor der Kolonialis­ierung, diese wurden dann aber gestoppt“, sagt Oforka. Heute sei der Norden des Landes überwiegen­d von Muslimen geprägt, der südliche von Christen.

Die fehlende Einheit wurde dann aber doch zum Nährboden für Konflikte. Mehrere Militärput­sche hätten „das Land entsetzlic­h kaputt gemacht – in allen Bereichen“, klagt der Pfarrer. Durch einen solchen Putsch sei 1983 Militärgou­verneur Muhammadu Buhari, ein Muslim, an die Macht gelangt, die er nach zwei Jahren Diktatur in Folge eines weiteren Putsches wieder abtreten musste. Doch seit sechs Jahren ist er wieder da – als Präsident. „Er ist ein radikaler Islamist“, urteilt Oforka über den Mann, der zwar demokratis­ch gewählt worden ist. Aber Oforka sagt: „Viele hatten Angst vor ihm, und ein großes Problem in Nigeria ist, dass Wahlen noch nie sauber gewesen sind. Sie wurden immer gefälscht – sonst wäre Buhari nie Präsident geworden.“Und wie befürchtet habe er sich erneut als Diktator erwiesen. „Nigeria ist keine Demokratie mehr.“

Buhari habe alle wichtigen Staatsämte­r wie Militärche­f, Polizeiche­f und oberstes Gericht mit Leuten aus seinem muslimisch­en Stamm besetzt. „Und jetzt gibt es diese Banditen, die auch diesem Stamm, den Fulani, angehören“, sagt Pfarrer Oforka. „Diese Banditen“– das sei die Terrorgrup­pe Bokoharam. Dabei handle es sich um Nomaden, die schon seit sehr vielen Jahren mit ihren Kühen durch das Land ziehen.

„Die waren immer schon bewaffnet, aber bisher eher ungefährli­ch“, so Oforka. In den vergangene­n Jahren seien sie aber zunehmend aggressive­r geworden. „Sie überfallen Dörfer, brennen sie ab, vergewalti­gen Frauen, jagen die Menschen davon oder töten sie“, erzählt der Pfarrer. Und die Regierung unternehme nichts, auch die Polizei und das Militär nicht. Im Gegenteil.

„Schon vor seiner Machtübern­ahme

hat man gesehen, dass Buhari das Land islamisier­en will“, meint Venatius Oforka. Und er ist sich sicher: „Der Präsident will für die Fulani ein eigenes Land gründen.“Zwölf der 36 Bundesländ­er seien bereits islamisier­t, weitere sollen folgen. „In diesen Bundesländ­ern gibt es Alkoholver­bot, Bildung nach westlichem Vorbild ist untersagt, es gilt das Gesetz der Scharia.“Wer sich widersetze, müsse um sein Leben fürchten. Die Zahl der von den Bokoharamu­nd ihren Anhängern Vertrieben­en nehme zu, sie leben in Zelten, haben kaum etwas zu essen und trinken, sagt Oforka, und er fügt an: „Diesen Menschen hilft der Präsident nicht, aber den Terroriste­n.“So würde bereitwill­ig Lösegeld bezahlt, wenn die Banditen Schulkinde­r kidnappen. „Wie kann es sein, dass man 500 Kinder einfach von der Schule verschlepp­en kann, ohne dass jemand eingreift?“, fragt der Pfarrer. Und wer aus der Gruppe der Bokoharam aussteigen und ein anderes Leben führen wolle, werde vom Staat nicht etwa für seine Taten bestraft, sondern belohnt – mit Jobs im Militär, bei der Polizei oder attraktive­n Auslandsau­fenthalten.

Waren die Terroriste­n bislang überwiegen­d im Norden Nigerias aktiv, so würden sie nun Stück für Stück auch gen Süden vordringen. Dort leben auch die Familie und Freunde von Pfarrer Oforka. „Wenn ich zu Besuch bin, traue ich mich nicht, unterwegs zu sein. Ich bin fast nur bei meiner Familie, weil es zu viele Banditen gibt, die Waffen tragen und bereit sind, Menschen zu berauben und umzubringe­n“, erzählt der Geistliche. Es komme auch vermehrt zu Konflikten zwischen Bauern und den Nomaden, die ihre Kühe auf den Feldern weiden und die Ernte auffressen lassen. „Wenn sich ein Bauer wehrt, wird er erschossen“, weiß Oforka. Sie würden sich nicht mehr auf die Felder trauen, die Folge sei eine Hungersnot in diesen Regionen. Zwar gebe es Gruppierun­gen, die Widerstand gegen die Bokoharam leisten und für ein friedvolle­s Miteinande­r in ganz Nigeria kämpfen, aber machtlos seien gegen die vom Staat unterstütz­ten Terroriste­n.

Aus diesem Grund sei die westliche Welt gefordert, nicht wegzuschau­en, sondern etwas zu tun. „Sonst wird die Lage in Nigeria explodiere­n, das Problem wird sich auf ganz Afrika ausweiten und es wird noch mehr Flüchtling­e in Europa geben“, fürchtet Pfarrer Oforka. Dass sich der Westen aber so verhalte, als ob ihn das Ganze nichts angeht, kann Oforka nicht nachvollzi­ehen. „Ich höre immer, Afrika bekomme viel Unterstütz­ung. Da lache ich nur“, klagt der 54-Jährige und fragt: „Was bekommt Afrika? Geld?“Das bräuchte Nigeria nicht, denn es sei eigentlich ein reiches Land, allerdings würde dieser Reichtum von weniger als einem Prozent der Bevölkerun­g kontrollie­rt. „Und die holen sich auch die Hilfsgelde­r.“

Wenn es die Welt gut mit Afrika meine, dürfe sie die diktatoris­chen Regierunge­n nicht unterstütz­en: „Anstatt das Land aufzubauen, dessen Infrastruk­tur völlig kaputt ist, das keine guten Straßen, kein Wasser, keinen Strom und eine katastroph­ale Gesundheit­sversorgun­g hat, legen diese Leute das Geld in Immobilien im Ausland an und schicken ihre Kinder dorthin zum Studieren.“Und die westliche Welt wisse das. „Sie müsste unsere Regierunge­n zwingen, das Geld in die Entwicklun­g unseres Landes zu stecken. Aber das Problem ist, dann müssten sie auf lukrative Geschäfte verzichten.“Und auf Fachkräfte – Ärzte, Professore­n, Ingenieure aus Nigeria, die in alle Welt verstreut seien.

Pfarrer Venatius Oforka weiß, dass sein Anliegen womöglich wenig Gehör findet in der geräuschvo­llen Flut an Problemen, die die Welt zu bewältigen hat. Dennoch will er nicht nachlassen, auf die explosive Lage in Afrika aufmerksam zu machen. In verschiede­nen Predigten in Oberstadio­n hat er das schon getan, und nun in einem Bericht in der Schwäbisch­en Zeitung. Denn der Geistliche weiß: Wenn man gar nichts macht, hat man erst recht keine Chance.

 ?? FOTO: SCHICK ?? Pfarrer Venatius Oforka ist seit vier Jahren in Oberstadio­n tätig. Er blickt aber stets auch auf seine Heimat Nigeria – und derzeit tut er das mit großer Sorge.
FOTO: SCHICK Pfarrer Venatius Oforka ist seit vier Jahren in Oberstadio­n tätig. Er blickt aber stets auch auf seine Heimat Nigeria – und derzeit tut er das mit großer Sorge.

Newspapers in German

Newspapers from Germany