Gedenkstein erinnert an eine sehr dunkle Zeit
Erbachs Bürgermeister Achim Gaus und Dellmensingens Ortsvorsteher Reinhard Härle enthüllen Stein
DELLMENSINGEN (somm) - Am Tag der deutschen Einheit haben Erbachs Bürgermeister Achim Gaus und Dellmensingens Ortsvorsteher Reinhard Härle den Gedenkstein am Dellmensinger Schloss enthüllt. Dieser Stein ist dem Andenken von 128 jüdischen Männern und Frauen gewidmet, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus ganz Württemberg im Schloss leben mussten, das als sogenanntes Zwangsaltenheim betrieben wurde und bei dieser Personenzahl völlig überbelegt war. Nur vier Personen davon überlebten den Holocaust. Die Zwangsunterbringung geschah in den Monaten März bis August 1942 als eine Zwischenstation vor der Deportation in die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz. 17 Personen starben bereits in Dellmensingen in dem Zwangsaltenheim, sagte der Bürgermeister bei der Gedenkveranstaltung, die von mehr als 150 Personen besucht wurde.
Neben dem Bürgermeister und Ortsvorsteher sprachen bei der Enthüllung des Gedenksteins Erbachs katholischer Pfarrer Joachim Haas und Ulms Rabbiner Shneur Trebnik. Die Synagoge in Ulm möge ein Zeichen für die Zukunft sein, sagte der Rabbiner, der sich wünscht, dass das jüdische Leben in Ulm sichtbarer wird. Er erinnerte an den Brandanschlag vor einigen Monaten auf die Synagoge. Am Gedenkstein innezuhalten und sich zu fragen, was jeder einzelne tun könne, um das Leben des Nachbarn zu verbessern, der noch kein Bürger ist, sei wichtig, meinte Trebnik. Pfarrer Haas erinnerte an die Herkunft des Christentums aus dem Judentum. Jesus sei „ein Judenchrist“, betonte Haas. Er teilte an die Anwesenden einen Gebetstext
aus. Gemeinsam sprachen sie unter anderem, „gib uns die Kraft, Gegensätze anzuerkennen“.
Bürgermeister Gaus erinnerte, das Zwangsaltenheim sei ein dunkles Kapitel, das ans Licht geholt wird. Kontakt der Zwangsuntergebrachten mit den Einwohnern sei nicht erwünscht, gar verboten gewesen, sagte Gaus. Über zwei Anekdoten berichtete Ortsvorsteher Reinhard Härle. Ein Bewohner habe im Ort stets Honig gekauft und sich vor der Deportation verabschiedet. Eine Dorfbewohnerin warf zum Abschied einen Blumenstrauß auf den Lastwagen mit Deportierten. Bürgermeister Gaus würdigte den Einsatz von Ortsvorsteher Härle als Triebfeder im Ortschaftsrat, die Gedenkstätte jetzt zu verwirklichen. Den Anstoß gab die Herstellung einer Ausstellung des Laupheimer „Museums zur Geschichte
von Christen und Juden“über das Zwangsaltenheim. Diese Ausstellung ist nun in der Erbacher Stadtbücherei zu sehen.
Bereits vor etwa drei Jahrzehnten hatte Ratsmitglied Ernst Vetter in Dellmensingen eine Gedenktafel an dem Zwangsaltenheim angeregt, was damals teils auf erbitterten Widerstand gestoßen sei. Ernst Vetter besuchte nun die Gedenksteinenthüllung und lobte diese gegenüber der Schwäbischen Zeitung als würdige Veranstaltung. Dass Vetters Engagement nicht genannt wurde, kritisierte seine Tochter Susanne gegenüber den Medien. Er und seine Familie seien damals Anfeindungen ausgesetzt gewesen, räumte Ernst Vetter auf Nachfrage der SZ ein. Die Zeit sei noch nicht reif gewesen, zu viele Personen aus der Zeit des Nationalsozialismus lebten noch, meinte der
Dellmensinger Ortschafts- und Gemeinderat Hans Seemann auf spätere SZ-Nachfrage.
Der Bürgermeister sagte in seiner Ansprache: „Der Gedenkstein zwingt uns, sich mit dem schwierigen und erschütternden Teil der Geschichte zu beschäftigten.“Er meinte auch, dies sei in einem Dorf eine größere Herausforderung als in anonymen Städten. Jetzt werde dem Unrecht die angemessene Aufmerksamkeit gegeben. Rassismus und Antisemitismus gehörten nicht der Vergangenheit an. Gaus benannte Anschläge aus der jüngeren Vergangenheit. Hass gegen andere Menschen, sei nicht etwas, das nur weit weg geschieht, betonte Achim Gaus.
Das Mahnmal besteht aus zwei Steinen aus Fürstensteiner Granit aus dem Bayrischen Wald. Die Steine haben in etwa Grabsteingröße, wobei auf dem einem Stein die Informationen zum Zwangsaltenheim zu finden sind und auf dem anderen Stein ein Zitat genannt ist, das auf Bundespräsident Richard von Weizsäcker zurückgeht. Schmale längliche Steine an den Sockeln sollen Schienen darstellen und die Deportation via Eisenbahn symbolisieren. Die neue Eigentümerfamilie, das erwähnte der Bürgermeister auch, erfülle das Schloss durch die Sanierung mit neuem Leben.
Ortsvorsteher Härle begrüßte auch Gäste aus den USA. Während ihres Ulmbesuchs war Karen Carlson, die Enkelin von Albert Einsteins angeheiratetem Cousin, auf die Gedenksteinenthüllung aufmerksam und besuchte diese und auch die Ausstellung in der Mehrzweckhalle. Die Teilnahme sei jedoch „sehr bedrückend“, sagte die Chicagoerin gegenüber der SZ.