Die hässliche Seite von Facebook
Weltweite Störung bei dem Netzwerk und seinen Tochterplattformen ist nur eine Krise von vielen
BERLIN - Seit Jahren arbeiten sich Kritiker an Facebook ab – wegen der Strategien, Steuern zu vermeiden, wegen des schleppenden Vorgehens gegen Hasskommentare, wegen der Marktmacht, wegen des undurchsichtigen Umgangs mit Nutzerdaten, wegen des selbstherrlichen Auftretens. In den USA läuft ein Verfahren zur Zerschlagung. Bisher perlte alles an Facebook ab. In den vergangenen Monaten kamen bedenkliche Einzelheiten über das Innenleben des Konzerns an die Öffentlichkeit, zum einen über ein Enthüllungsbuch, zum anderen über eine Whistleblowerin. Bisher lief zumindest die Technik stabil – bis Montag.
Was genau ist passiert?
Von sechs Uhr an am Montagabend waren Facebook und die konzerneigenen Dienste Instagram sowie WhatsApp weltweit fast sechs Stunden lang nicht erreichbar. Nicht nur das: Selbst das interne, internetbasierte Facebook-System war nicht nutzbar, Zugangskarten der Mitarbeiter funktionierten nicht, auf Rechner konnte nicht zugegriffen werden. Es war eine der größten Pannen in der Geschichte des Unternehmens. Facebook zufolge haben die eigenen Techniker Fehler gemacht. Grund seien „fehlerhafte Einstellungen an den Routern, die den Verkehr zwischen den Datencentern steuern“. Das habe einen Dominoeffekt gehabt, der das System zum Stehen gebracht habe. Die US-Internetsicherheitsfirma Cloudflare vermutet, dass Facebook im Zuge eines Systemupdates – sehr vereinfacht gesagt – dem Navigationssystem des Internets mitteilte, es gebe keinen Weg zu Facebook mehr. Das Unternehmen hatte sich praktisch abgemeldet. Deshalb dauerte die Reparatur auch so lange.
Sind Daten von Kunden betroffen?
Facebook zufolge sind keine Daten von Kunden, etwa Nachrichten und Fotos, verschwunden oder nicht mehr erreichbar.
War das Internet selbst betroffen?
Nein. Facebook nutzt mit seinen Diensten die Netze der regionalen Anbieter, in Deutschland etwa das der Deutschen Telekom und von Vodafone. Die Netze liefen stabil.
Kann eine solche Panne wieder geschehen?
Bei Facebook werden sie darauf achten, dass genau dieser Fehler nicht wieder auftritt. Zu viel hängt an den Angeboten. Andere Fehler sind nicht ausgeschlossen. Das System ist teils so kompliziert, dass eine kleine Änderung unabsehbare Folgen haben kann.
Mit welchen Vorwürfen sieht sich der Konzern sonst konfrontiert?
Ein viel größeres Problem für Facebook als die Panne vom Montag sind die internen Einzelheiten, die seit Wochen aus dem Unternehmen bekannt werden. Sie zeichnen das Bild eines gierigen Konzerns, der Profit über alles stellt, vor allem über Sicherheit. Eine ehemalige Mitarbeiterin, Frances Haugen, berichtete jetzt detailliert im US-Fernsehen darüber, was sie erlebt hat. Ihrer Ansicht nach kommt Facebook trotz gegenteiliger Aussagen nicht damit voran, gegen Hass und Fehlinformationen (Fake News) vorzugehen. Die Kontrolle des Unternehmens hält sie für mangelhaft, selbst das erst 2020 eingesetzte Regulatory Board. Sie fordert die US-Parlamentarier auf, gegen den Konzern strenger durchzugreifen. Am Dienstagabend (Ortszeit) wollte sie den Senatoren in Washington Fragen beantworten. Dabei geht es vor allem um den Foto- und Videodienst Instagram.
Worum geht es genau?
Haugen zufolge ist Facebook egal, welche Folgen die Inhalte, die viele Menschen bei Facebook und Instagram veröffentlichen, auf andere haben. So weiß Facebook demnach aus einer eigenen Studie, dass Inhalte bei Instagram das Wohlergehen von Kindern beeinträchtigen, steuerte aber nicht gegen. In der internen Untersuchung,
über die das „Wall Street Journal“berichtete, schätzten die Autoren, dass 32 Prozent der jungen Mädchen wegen Instagram noch unzufriedener mit ihrem Körper waren als ohnehin schon. Die Folge können Essstörungen und Depressionen sein.
Welche weiteren Vorwürfe gibt es?
2018 änderte Facebook den Algorithmus, der den zentralen Nachrichtenfluss auf der Seite steuert, also das, was dem Nutzer als besonders interessant angezeigt wird. Das Unternehmen wertet dabei jetzt Geschichten als wichtiger, die besonders viele Reaktionen hervorrufen. „Es ist einfacher Menschen mit Wut anzustacheln als mit anderen Gefühlen“, sagte Haugen. „Facebook hat festgestellt: Wenn der Algorithmus sicherer ist, verbringen die Menschen weniger Zeit im sozialen Netzwerk und klicken weniger auf Anzeigen, Facebook verdient also weniger Geld.“
Wer ist die Whistleblowerin? Haugen startete 2019 bei Facebook als Produktmanagerin im Integritätsteam. Bei Facebook sollte sie unter anderem gegen Manipulationen bei Wahlen vorgehen. Sie hatte deshalb Zugang zu brisantem Material. Die 37-Jährige arbeitete vorher rund zehn Jahre in der Technologiebranche, unter anderem für Google und den Fotodienst Pinterest. Im Mai hat sie das Unternehmen verlassen. Als Whistleblowerin gewährt der Staat ihr besonderen Schutz.
Was sagt Facebook?
Der Konzern spricht von grober Fehlinterpretation und verwahrt sich gegen die Darstellungen.
Warum ist Facebook wichtig? Weltweit nutzen 2,85 Milliarden Menschen Dienste von Facebook, das gleichnamige soziale Netzwerk, den vor allem bei Jüngeren beliebten Bilder- und Videodienst Instagram sowie den Nachrichtenservice WhatsApp. Facebook verdient sein Geld vor allem mit Werbung. Der Konzern wies allein im 2. Quartal einen Gewinn von 10,4 Milliarden Dollar (rund neun Milliarden Euro) aus, bei einem Umsatz von 29 Milliarden Dollar. Das 2004 gegründete Unternehmen gehört zu den größten börsennotierten US-Konzernen mit einem Marktwert von rund 920 Milliarden Dollar. Chef ist Mark Zuckerberg. Weil so viele Menschen die Angebote nutzen, ist Facebook für viele Unternehmen als Werbeträger wichtig.