Warum noch immer viele Beschäftigte in Kurzarbeit sind
Besonders die Industriebetriebe sind wegen Materialmangels auf die Maßnahme angewiesen – Lage im Gastgewerbe hingegen entspannt sich
BERLIN - Wegen des Materialmangels muss die Industrie immer mehr Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Im September stieg die Zahl der Betroffenen gegenüber August um fast 40 Prozent auf 259 000, so die neueste Schätzung des Münchner ifo-Instituts. „Insbesondere die Autobranche und die Metallerzeugung haben die Kurzarbeit erhöht, offenbar wegen der Lieferprobleme bei Vorprodukten“, sagte der ifo-Umfrageexperte Stefan Sauer. In allen anderen Bereichen dagegen führte die Entspannung der Corona-Einschränkungen zu einem deutlichen Rückgang der Kurzarbeit, bei wirtschaftsnahen Dienstleistern um ein Viertel auf 254 000. Insgesamt waren im September noch 610 000 Menschen in Kurzarbeit, zwölf Prozent weniger als im Monat zuvor. Das waren 1,8 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Auf dem Höhepunkt des Corona-Lockdowns im April 2020 gab es mit sechs Millionen zehnmal so viele Kurzarbeiter.
Wer ist in der Industrie am stärksten betroffen?
Die Autoindustrie samt Zulieferern stand mit 34 300 Kurzarbeitern an erster Stelle. Das waren vier Prozent aller Arbeitnehmer der Branche. Im Juli waren es erst 21 000. Dagegen verbesserte sich die Lage im Chemieund Pharmabereich deutlich, wo die Zahl der Kurzarbeiter um über ein Viertel auf 18 900 zurückging. Verschlechtert hat sich die Lage unter anderem bei Herstellern von Metallerzeugnissen.
Wie ist die Lage im Gastgewerbe? Diese besonders stark von der Pandemie betroffene Branche arbeite sich aus der Krise heraus, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands Dehoga, Ingrid Hartges, unserer Zeitung. Im September gab es noch 58 000 Kurzarbeiter. Das waren 5,5 Prozent aller Beschäftigten des Gastgewerbes. Im August waren es noch 7,6 Prozent und im April 2020 auf dem Höhepunkt der Corona-Krise 666 000. Derzeit ist die Situation konträr: Während manche Betriebe klagen, nicht genug Mitarbeiter zu finden, weil zahlreiche in andere Branchen abgewandert sind, konnten andere noch nicht alle Mitarbeiter aus der Kurzarbeit holen. Im Gegensatz zu den Hotels und Restaurants in Ferienregionen sei die Lage in den Städten weiterhin angespannt, erklärt dies Hartges. Große Veranstaltungen, Messen und Kongresse fänden noch nicht oder nicht in gewohntem Umfang statt. Internationale Touristen fehlen, Geschäftsreisen laufen erst zögerlich wieder an. Zudem dürfen Clubs und Diskotheken erst seit wenigen Wochen wieder öffnen, teils mit strengen Auflagen.
Wie genau sind die Zahlen des ifo?
Die Forscher schätzen sie jeden Monat auf der Grundlage ihrer Konjunkturumfrage und von Daten der Bundesagentur für Arbeit. Denn diese kann die exakten Zahlen immer nur mit drei Monaten Verspätung nennen, weil die Betriebe so lange
Zeit haben, das Kurzarbeitergeld abzurechnen. Im Juli zahlte sie für 927 000 Arbeitnehmer konjunkturelles Kurzarbeitergeld. Für diesen Monat hatte das Ifo die Zahl der Betroffenen noch auf 1,06 Millionen hochgerechnet.
Wann wird Kurzarbeitergeld gezahlt?
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat gerade den erleichterten Zugang bis zum 31. Dezember verlängert. Eigentlich sollten die angesichts der Corona-Pandemie gelockerten Regeln Ende September auslaufen. Jetzt zahlen die Arbeitsagenturen
auch noch, wenn ein Betrieb nach dem 30. September Kurzarbeit einführt. Zudem bleibt die Schwelle, dass mindestens zehn Prozent der Mitarbeiter betroffen sein müssen; normalerweise liegt sie bei einem Drittel. Auch Leiharbeiter erhalten weiter die Hilfe, und die Arbeitgeber bekommen die Sozialversicherungsbeiträge bis zum Jahresende erstattet, wenn sie erst im Oktober und später Kurzarbeit beantragen.
Wie viel Kurzarbeitergeld wurde bisher ausgezahlt?
Rund 40 Milliarden Euro, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Davon konnten rund 26 Milliarden Euro aus der Rücklage finanziert werden, die über Jahre aus den Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gebildet wurden. Nur den Rest musste der Bund aus Steuermitteln zuschießen.
Wie geht es mit der Kurzarbeit weiter?
Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) rechnet 2021 im Jahresdurchschnitt mit knapp 1,73 Millionen Kurzarbeitern. Im Schnitt des nächsten Jahres dürften es nur noch 186 000 sein.