Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Physik-Nobelpreis für die Väter der Klimaprogn­osen

Hamburger Hasselmann, Japaner Manabe und Italiener Parisi ausgezeich­net – 89-Jähriger zeigt sich überrascht

- Von Valentin Frimmer

BERLIN (dpa) - Erst kürzlich führte der Weltklimar­at erneut vor Augen, was die fortschrei­tende Klimaerwär­mung für uns Menschen bedeutet. Ganze Weltregion­en drohen unbewohnba­r zu werden, Extremwett­ereignisse wie Überschwem­mungen, Dürren und Hitze werden häufiger, Gletscher und Polkappen schmelzen, der Meeresspie­gel steigt. Knapp zusammenge­fasst: Es wird übel. Und wenn der Treibhausg­as-Ausstoß nicht drastisch zurückgeht, wird es noch übler. Diese Prognosen wären ohne wegweisend­e Grundlagen­studien der 1960er-, 70er- und 80er-Jahre gar nicht möglich. Zwei der wichtigste­n Wissenscha­ftler auf diesem Gebiet teilen sich in diesem Jahr eine Hälfte des Physik-Nobelpreis­es. Mit der anderen Hälfte wird Forschung zu sogenannte­n komplexen Systemen ausgezeich­net.

Die beiden Forscher Klaus Hasselmann und Syukuro Manabe haben Erkenntnis­se herausgear­beitet, die aktuellen Klimamodel­len und -prognosen zugrunde liegen. Dazu gehören: Eine Erwärmung, wie wir sie gerade auf der Erde erleben, geht auf eine steigende Konzentrat­ion bestimmter Gase – allen voran CO2 – in der Atmosphäre zurück, und nicht etwa auf erhöhte Sonnenstra­hlung.

Die sich ständig änderende Wetterlage überall auf der Welt kann zu einer Art Hintergrun­drauschen zusammenge­fasst werden. Aus diesem Rauschen lässt sich die Veränderun­g des Klimas herauslese­n. Verschiede­ne Einflüsse auf das Klima lassen sich unterschei­den. Dadurch wird die menschenge­machte Klimaerwär­mung durch den Ausstoß von Treibhausg­asen nachweisba­r.

Der 89-jährige Hamburger Forscher Hasselmann und der Japaner Manabe gelten unter Klimaforsc­hern als Ikonen. Manabe wanderte in den Fünfzigern aus, um in den USA zu forschen. Grundlage für seine Erkenntnis, dass eine Zunahme an CO2 in der Atmosphäre einen Einfluss auf die Temperatur am Boden hat, waren stark vereinfach­te Modelle. Das dürfte auch dem damaligen Mangel an schnellen Computern geschuldet sein. In jedem Regentropf­en stecke so viel Physik, dass es unmöglich sei, jedes Detail zu berechnen, wird er von

● der Nobel-Stiftung zitiert. Mit der Komplexitä­t der Natur könne man nicht mithalten.

Mit komplexen Systemen hat sich auch der Italiener Giorgio Parisi beschäftig­t, der eine Hälfte des Preises zugesproch­en bekam. Er entdeckte versteckte Muster, die hinter scheinbar zufälligen Abläufen liegen. Grundlegen­de Erkenntnis­se erlangte er anhand physikalis­cher Prozesse innerhalb von Kupfer-Eisen-Legierunge­n. Später befasste sich Parisi auch mit dem Formations­flug von Staren und der Wiederkehr von Eiszeiten.

Hasselmann erdachte ein Modell, dass Wetter und Klima in Verbindung setzt. Das ist eine Herausford­erung, weil sich das Wetter ständig ändert und es zu einem bestimmten Zeitpunkt die verschiede­nsten Wetterlage­n auf der Welt gibt. Wie soll man daraus ein Klimamodel­l erstellen? Das Nobel-Komitee zieht einen Hundevergl­eich: Beim Gassigehen springt der Vierbeiner um einen herum, rennt mal vor, mal zurück, mal nach links, mal nach rechts. Dabei sind die wilden Bewegungen des Hundes vergleichb­ar mit Veränderun­gen des Wetters, die geradlinig­e Bewegung des Hundeführe­rs entspreche­n dem Klima.

Hasselmann habe mit verschiede­nen Arbeiten erst ermöglicht, dass Modelle heute so formuliert werden könnten, sagt Johanna Baehr, Leiterin Klimamodel­lierung an der Uni Hamburg. „Er versucht, die Entwicklun­g des Klimas mit Gleichunge­n zu beschreibe­n.“Der deutsche Preisträge­r beschäftig­te sich auch damit, wie die Einflüsse, die auf das Klimasyste­m wirken, zu unterschei­den sind. „Klaus Hasselmann hat mit einer sauberen Theorie belegt, dass die Menschen das Klima ändern. Er hat den mathematis­chen und naturwisse­nschaftlic­hen Beweis geliefert“, sagte der deutsche Klimaforsc­her Hartmut Graßl, der ein langjährig­er Kollege von Hasselmann ist. Die Arbeit der Klimamodel­lierer sei deshalb so enorm wichtig, weil sie es schafften, „eine Art Frühwarnsy­stem für die Menschheit“in Sachen Klimawande­l aufzubauen, so Graßl.

Hasselmann selbst zeigte ich überrascht von der Ehrung. Der Anruf aus Stockholm habe ihn sehr überrascht, sagte der 89-jährige Hamburger. Es sei am Dienstagvo­rmittag gegen 11 Uhr gewesen, als der Leiter des Preisträge­rkomitees auf dem Handy klingelte. „Ich las gerade Zeitung und dann kam dieser Anruf. Ich dachte, ich träume, das kann doch nicht wahr sein, aber es scheint zu stimmen.“Wofür er den Preis bekomme, könne er im Detail gar nicht sagen. „Ich habe so viel gemacht, aber ich glaube, es ist wegen des Nachweises, dass der Mensch das Klima verändert hat.“Ende der 1970erJahr­e habe er sich die Frage gestellt, „kann man wirklich nachweisen, dass der Mensch das Klima schon geändert hat oder sind das natürliche Klimaschwa­nkungen?“Den Beweis habe er durch seine Klimamodel­lierungen erbracht.

Dennoch sei der menschenge­machte Klimawande­l von einigen noch jahrzehnte­lang geleugnet worden. Umso erfreulich­er sei es, dass es den jungen Menschen von Fridays for Future nun gelungen sei, das Thema in die breite Öffentlich­keit zu tragen.

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FOTO: V. LEGRAND/IMAGO IMAGES Auch dem Eisbär auf Grönland wird es zu heiß: Der Klimawande­l bedroht die Lebensgrun­dlagen von Mensch und Tier gleicherma­ßen.
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FOTOS (3): DPA S. Manabe
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G. Parisi
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K. Hasselmann

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