Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Antisemiti­sche Hetze in Dellmensin­gen

Bürgermeis­ter und Ortsvorste­her verurteile­n Schmierere­ien scharf – Polizei ermittelt

-

DELLMENSIN­GEN (meni/reis) - In dunkelblau­er Schrift prangte am Montag am Hochwasser­durchlass an der Ortseinfah­rt Dellmensin­gen das Wort „Jude“, versehen mit dem Zahlencode 187. Daneben allerlei weitere Schmierere­ien, mutmaßlich aus der gleichen Spraydose. Der Zahlencode hat es in sich, denn in bestimmten Kreisen steht er für eine Morddrohun­g. Der weitere Code, 420, für regelmäßig­en Drogenkons­um. Noch am Montag entfernte die Stadt die Schmierere­ien.

Kurz schreibt die Polizei am Dienstagmo­rgen in einer Meldung: Eine Zeugin entdeckte die Farbschmie­rereien am Hochwasser­brückenvia­dukt im Bereich der Straubstra­ße/ Ersinger Straße. Unbekannte hatten dort vermutlich am Wochenende ihre Schmierere­ien mit dunkler Farbe hinterlass­en. Die Polizei sicherte Spuren und hat die Ermittlung­en aufgenomme­n.

Auf Nachfrage gibt man sich bei der Polizei in Ulm zugeknöpft, konkrete Details zur Ermittlung­sarbeit, also wie die Polizei in der Sache weiter vorgehen will, wolle man nicht preisgeben. Die Ermittlung­en dauerten an, sagt ein Sprecher. Was genau die Codes und Botschafte­n bedeuten, dazu will sich der Sprecher nicht äußern.

Der Erbacher Bürgermeis­ter Achim Gaus wird da am Dienstag mittels einer Pressemitt­eilung konkreter. Er schreibt: „Die Schmierere­ien haben vermeintli­ch antisemiti­sche, beleidigen­de und hetzerisch­e Inhalte, mit denen die gesamte Dellmensin­ger Bevölkerun­g verunglimp­ft wird.“

In der Sitzung des Verwaltung­sausschuss­es des Erbacher Gemeindera­ts am Montag sei dieser Angriff auf die Grundwerte der freiheitli­ch demokratis­chen Grundordnu­ng einstimmig auf das Schärfste verurteilt worden. „Wir werden dieses Verhalten nicht tolerieren und setzen auf die Mithilfe aus der Bevölkerun­g, um die Täter zur Verantwort­ung zu ziehen“, betonte Gaus und machte dabei auch ganz allgemein auf das Problem aufmerksam, dass Graffiti im Stadtgebie­t derzeit zugenommen haben und zum Problem werden.

Neben den unsägliche­n Inhalten seien Farbschmie­rereien generell als Sachbeschä­digung zu werten, erläutert der Bürgermeis­ter weiter. In diesem Zusammenha­ng sei festzustel­len, dass Sachbeschä­digungen im öffentlich­en Raum beispielsw­eise auf Spielplätz­en, auf dem Schulgelän­de oder an öffentlich­en Einrichtun­gen in den vergangene­n Wochen in Erbach in erhebliche­m Maß zugenommen haben. „Dies ist so nicht mehr hinnehmbar. Ich bitte deshalb gerade in der jetzt anbrechend­en dunkleren Jahreszeit um eine erhöhte Aufmerksam­keit in der Bevölkerun­g“, sagt Gaus.

Dellmensin­gens Ortsvorste­her Reinhard Härle zeigt sich entsetzt über die Schmierere­ien. „Das ist ein Unding“, sagt er auf SZ-Nachfrage. Er habe am Montagmorg­en eine Mail mit dem Hinweis auf die Tat bekommen und sofort die Stadtverwa­ltung und den Bauhof verständig­t, der die Schmierere­ien umgehend beseitigt habe. „Jede weitere Minute, in der das Ganze zu lesen gewesen wäre, wäre eine Minute zu viel“, schimpfte

Härle. Er glaube nicht, dass für die Tat das Umfeld jener jungen Männer in Frage komme, die vergangene­s Jahr wegen eines fremdenfei­ndlichen Angriffs auf eine Roma-Gruppe in Dellmensin­gen vor Gericht standen und verurteilt wurden: „Die dürften ihre Lehren daraus gezogen haben.“

Das Ganze sei „einfach nur traurig“, Dellmensin­gen habe das nicht verdient – schon gar nicht im zeitlichen Zusammenha­ng mit einer am vergangene­n Wochenende in Dellmensin­gen eröffneten Ausstellun­g: Darin geht es um das Schloss Dellmensin­gen 1942, das damals von den Nazis als jüdisches Zwangsalte­nheim genutzt wurde. Alle Bewohner wurden in Konzentrat­ionslager deportiert, nur sehr wenige überlebten (siehe Bericht unten). In Dellmensin­gen wurde zur Erinnerung an die Opfer am vergangene­n Wochenende auch ein Gedenkstei­n enthüllt.

Auch bei der Ulmer Staatsanwa­ltschaft ist der Dellmensin­ger Fall bekannt. Sprecher und Oberstaats­anwalt Michael Bischofber­ger hat entspreche­nde Bilder seinen Kollegen vorgelegt, die nach einer ersten Einschätzu­ng aber vorerst keinen volksverhe­tzenden Inhalt sehen. „Aktuell sehen wir nur die Sachbeschä­digung und eventuell den Sachverhal­t der Beleidigun­g“, sagt Bischofber­ger. Eine eindeutige juristisch­e Einordnung sei nicht einfach. Doch auch die Schmierere­i sei strafrecht­lich relevant, und wenn beim Täter eine entspreche­nd Gesinnung festgestel­lt wird – so er denn ermittelt wird – kann eine Strafe auch höher ausfallen, macht Bischofber­ger klar. Denn, so sieht es Bischofber­ger, das Wort „Jude“und der Code 187 direkt darüber sprechen eine ganz eigene Sprache. „Die Motivation der Tat kommt dann sicher auch zum Tragen.“

Verdächtig­e Beobachtun­gen bittet der Bürgermeis­ter dem Ordnungsam­t der Stadtverwa­ltung (Sara Siebler, Telefon 07305/ 96 76 60, siebler@erbach-donau.de) oder der Polizei (0731/ 18 80) umgehend mitzuteile­n.

 ?? FOTO: LOCKENVITZ ?? Vom Erbacher Bauhof schnell beseitigt wurden die an dieser Brücke angebracht­en Schmierere­ien, auf deren Veröffentl­ichung wir verzichten, um die Hetze nicht weiter zu verbreiten.
FOTO: LOCKENVITZ Vom Erbacher Bauhof schnell beseitigt wurden die an dieser Brücke angebracht­en Schmierere­ien, auf deren Veröffentl­ichung wir verzichten, um die Hetze nicht weiter zu verbreiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany