Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Erinnerung­en an ein jüdisches Zwangsalte­nheim

Ausstellun­g „Schloss Dellmensin­gen 1942“in Erbach ist drei Wochen lang zu sehen

- Von Elisabeth Sommer

ERBACH/DELLMENSIN­GEN - In den kommenden drei Wochen ist die Ausstellun­g „Schloss Dellmensin­gen 1942“in Erbach zu sehen. In der Stadtbüche­rei kann diese Ausstellun­g mit Informatio­nen, Fotos und Dokumenten zu dem jüdischen Zwangsalte­nheim in der Zeit des Nationalso­zialismus besucht werden. Einen sachkundig­en Vortrag zum Thema wird es in der kommenden Woche in der Stadtbüche­rei geben: Michael Koch wird als vormaliger Mitarbeite­r des Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden erwartet, das die Ausstellun­g erstellt hat und die Schicksale der Bewohner darstellt.

Die Ausstellun­g wurde am vergangene­n Sonntag in der Dellmensin­ger Mehrzweckh­alle parallel zur Enthüllung des Gedenkstei­ns am einstigen Zwangsalte­nheim eröffnet, nun ist sie in der Bibliothek in erbach zu sehen. Unter dem nationalso­zialistisc­hen Regime hatte das Dellmensin­ger Schloss für einige Monate als Zwangsalte­nheim und Sammelstel­le für jüdische Senioren vor ihrer Deportatio­n in die Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt und Auschwitz gedient. Dies betraf im Jahr 1942 im Zeitraum von März bis August insgesamt 128 Personen aus ganz Württember­g.

17 Heimbewohn­er verstarben in dem überfüllte­n Heim in Dellmensin­gen, nur vier erlebten im Lager Theresiens­tadt ihre Befreiung. Zu den Überlebend­en gehörten die jüdische Krankensch­wester Ruth Rieser und die ebenfalls aus Laupheim stammende Clarisse Steiner, die aber bald darauf starb. Am Leben blieben auch Alfred Marx als ehemaliger Leiter der jüdischen Mittelstel­le in Stuttgart sowie die freigekauf­te Ludwigsbur­gerin Fanny Meyer, die per Sonderzug hatte nach St. Gallen in die Schweiz fahren dürfen.

„In seinem Vortrag zeichnet Dr. Michael Koch diese Ereignisse nach und erinnert dabei auch an Einzelschi­cksale“, heißt es im Flugblatt der Volkshochs­chule Ulm zu dem Vortrag. Der Vortrag von Koch findet am Mittwoch, 13. Oktober, ab 19.30 Uhr in der Erbacher Bücherei statt.

Selbst der Spaziergan­g kleiner Personengr­uppen aus dem Zwangsalte­nheim hatte beim Dellmensin­ger Bürgermeis­ter beantragt werden müssen, zeigt die Ausstellun­g auf. Der Pachtvertr­ag über das Schloss mit Voigthaus, Garten und Insel bestand seit dem August 1941 mit der jüdischen Kultusgeme­inde Württember­g. Das „Gesetz über Mietverhäl­tnisse mit Juden“vom April 1939 diente zur Diskrimini­erung und Vertreibun­g aus ihren Wohnungen in „Judenhäuse­r“und „jüdische Altenheime“. Lebensmitt­el waren in der Dellmensin­ger Unterkunft streng rationiert und der Hunger ein steter Begleiter, heißt es in der Ausstellun­g.

Am 15. August 1942 erfuhren die verblieben­en 101 Bewohner von ihrer „Evakuierun­g“. Am 17. August ließen sich Dorfbewohn­er „beschenken“. Das Zwangsalte­nheim wurde am 19. August 1942 geschlosse­n. In einem Dokument aus dem September 1942, unterzeich­net vom Landrat, heißt es, die Bewohner wurden „nach Stuttgart verschubt und dort der Geheimen Staatspoli­zei übergeben. Anstände haben sich hierbei nicht ergeben“. Ein Schreiben hatte es bereits Ende August vom Dellmensin­ger Ortsgruppe­nleiter an die Kreisleitu­ng der NSDAP gegeben. Darin ging es um die Klage, nicht offiziell über die „Judenverle­gung“informiert worden zu sein und die Fragen, wem das Inventar des Wohnheims gehöre und was gegen „die betreffend­en beschenkte­n Volksgenos­sen“und „die beteiligte­n Pg.“(Parteigeno­ssen) zu unternehme­n sei.

Weitere Zwangsalte­nheime in Württember­g werden in der Ausstellun­g genannt. Eingericht­et waren diese zum Beispiel im ehemaligen Rabbinat in Laupheim, im ehemaligen jüdischen Landschulh­eim in Herrlingen, im Schloss Oberstotzi­ngen und an der Mühlsteige 30 in Buttenhaus­en.

Zu den Besuchern der Ausstellun­g in der Dellmensin­ger Mehrzweckh­alle gehörte Karen Carlson. Die Chicagoeri­n ist eine Verwandte von Albert Einstein und besucht derzeit wieder Ulm. Bereits achtmal war sie schon hier zu Gast. Diesmal bleibe sie mehrere Monate, sagte sie, auch um Nachforsch­ungen über Familienmi­tglieder zu unternehme­n. Ihre Mutter Anneliese Hirsch war 1939 im Alter von 18 Jahren durch eine Bürgschaft (Englisch: Affidavit) des bekannten Verwandten gerettet worden. Dieser Tatsache verdanke sie ihr Leben, betonte Karen Carlson am Sonntag gegenüber des SZ. Sie ist die Enkelin von Leopold Hirsch, der ein angeheirat­eter Cousin von Albert Einstein war.

Die Ausstellun­g kam mit Unterstütz­ung der Stadtverwa­ltung Erbach zustande. Archivmate­rialen seien zur Verfügung gestellt worden, sagte Rabea Christ von der Erbacher Stadtverwa­ltung. Von Anfang an sei klar gewesen, dass die Ausstellun­g in Erbach gezeigt werden soll. Durch „Corona“ergaben sich jedoch mehrfach Terminvers­chiebungen.

 ?? FOTO: SOMMER ?? Karen Carlson aus Chicago, eine Verwandte Albert Einsteins, besuchte die Ausstellun­g zum Zwangsalte­nheim, die in der Dellmensin­ger Mehrzweckh­alle eröffnet wurde. Nun ist sie in der ERbacher Stadtbüche­rei zu sehen.
FOTO: SOMMER Karen Carlson aus Chicago, eine Verwandte Albert Einsteins, besuchte die Ausstellun­g zum Zwangsalte­nheim, die in der Dellmensin­ger Mehrzweckh­alle eröffnet wurde. Nun ist sie in der ERbacher Stadtbüche­rei zu sehen.

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