Flutlicht an, Stadion voll – das war einmal
Bayern München darf seine Arena wieder voll besetzen – Grundsätzlich müssen aber fast alle Clubs um die Rückkehr ihrer Fans kämpfen
SINSHEIM (SID/dpa) - Der Plan klingt simpel: Die Bayern schalten am 23. Oktober die rote Beleuchtung ein – und die Arena des Rekordmeisters in Fröttmaning ist zum ersten Mal seit 594 Tagen wieder proppenvoll. Die Erlaubnis dafür haben die Münchner vom bayerischen Kabinett jedenfalls am Montag erhalten – doch ob im nächsten Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim tatsächlich wieder 75 000 Zuschauer ins Stadion pilgern, erscheint völlig offen – auch wenn es zumindest in München durchaus nicht unwahrscheinlich ist.
„Wir freuen uns sehr, insbesondere für unsere Fans, dass nun wieder die gesamte Zuschauerkapazität in unserer Allianz Arena zugelassen ist“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzender des FC Bayern,
Jan-Christian Dreesen. Doch wie schwer der Kampf um die Rückkehr der Fans nach eineinhalb Jahren Restriktionen während der Corona-Pandemie ist, weiß niemand besser als der kommende Bayern-Gegner. Obwohl die Hoffenheimer 15 000 Besucher in ihre Arena lassen dürfen, kamen in den ersten Heimspielen der neuen Saison jeweils nur etwas mehr als die Hälfte. Mit durchschnittlich 8321 Fans pro Partie liegen die Kraichgauer auf dem letzten Platz der Bundesliga-Zuschauertabelle.
„Es wird leider sicher noch eine Weile dauern, bis wir den Zuspruch erfahren, den wir uns wünschen und den wir brauchen – vor allem im emotionalen Sinn“, sagte Geschäftsführer Frank Briel. Man diskutiere selbstverständlich die Ursachen und versuche der Situation entgegenzuwirken. „Es geht doch vielen von uns gleich: Wir müssen uns erst wieder an die Nähe bei größeren Menschenzusammenkünften gewöhnen“, analysierte Briel. Auch Trainer Sebastian Hoeneß glaubt, dass sich manche Menschen „noch nicht ganz sicher fühlen“bei den Ansammlungen in Stadien und verweist auch auf die Einschränkungen. Briel sieht einen generellen Wandel im Verhalten: „Diese lange Zeit der Distanz hat viele von uns verändert, die Unbeschwertheit gerade im Freizeitverhalten leidet darunter immer noch.“In ihrem Werben um jeden Besucher hat die TSG sogar einen Slogan entwickelt: „Wir mit Euch!“
Doch wie bei den Hoffenheimern kommen solche oder ähnliche Versuche auch bei den Anhängern anderer Clubs kaum an. Die lange Zeit der Entwöhnung hat ihre Spuren auf den Haupttribünen und in den Kurven hinterlassen. „Corona und die Geisterspiele haben dafür gesorgt, dass viele Fans gemerkt haben, dass man um 15.30 Uhr auch viele andere Sachen machen kann“, sagt Thomas Kessen vom Fanbündnis „Unsere Kurve“: „Wenn man sieht, wie es derzeit in den Stadien aussieht, scheinen manche Gefallen an Alternativprogrammen gefunden zu haben.“
Genau diesen Effekt spüren zahlreiche Vereine, die von einer 100prozentigen Auslastung der behördlich erlaubten Kapazität weit entfernt sind. Dazu gehören auch Traditionsclubs mit einer großen Fanschar wie Hertha BSC oder Absteiger Schalke 04. Und obwohl es
Gegenbeispiele mit vollen Stadien wie bei Borussia Dortmund, dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach gibt, scheint die Zuschauerlage ungewiss zu bleiben.
„Bei vielen Fans ist der Automatismus, dass man natürlich ins Stadion geht, durch Corona nicht mehr da“, äußert Kessen: „Es bleibt spannend zu sehen, wie sich das entwickeln wird.“Gladbachs Sportchef Max Eberl gesteht ein, dass „die Thematik da ist und Schlüsse gezogen werden müssen“. Dennoch sagte Eberl zuletzt im Doppelpass von Sport1, dass nach dem Gemeinschaftsgefühl rund um den Fußball „gelechzt“werde.
Bei der Suche nach den Gründen für die Zurückhaltung der Fans werden zahlreiche Ursachen genannt. Die Furcht vor einer Ansteckung, die größere logistische Herausforderung
beim Erwerb eines Tickets und der Anreise sowie eine Verweigerungshaltung, weil nicht alle Fans ins Stadion dürfen, werden ins Feld geführt. Dass die Vereine selbst noch den richtigen Weg suchen, wird durch die Debatte um 2G, 3G oder 3G-Plus deutlich. Und selbst die Fans sehen volle Stadien kritisch. „So lange die Impfquote so schlecht ist, tun wir gut daran, die Stadien nicht voll auszulasten“, sagt Kessen: „Zum Schutz derer, die hingehen.“
Kritiker an der zunehmenden Kommerzialisierung des Profifußballs sehen Corona allerdings nur als „Brandbeschleuniger“mit Blick auf die zunehmende Entfremdung zwischen Clubs und Fans, die bereits vor der Pandemie eingesetzt habe. Ob das wirklich so ist, wird auch der 23. Oktober zeigen – wenn die Bayern das Licht einschalten.