„Junge Menschen haben Probleme, dem Sog zu widerstehen“
Der Ulmer Psychologe Christian Sonntag kennt die Psychotricks von Facebook & Co. - Warum Fake News dort wohl nie verschwinden
- Welche psychologischen Strategien Instagram und Co. anwenden, um Nutzer an sich zu binden, beschreibt Christian Montag (Foto: E. Eberhardt) in seinem Buch „Du gehörst uns!“. Er ist Leiter der Abteilung Molekulare Psychologie an der Universität in Ulm. Was die Betreiber aus seiner Sicht ändern sollten, warum das wohl aber nie passiert – und warum soziale Medien so ein großes Problem mit Fake News haben.
Herr Montag, sind Sie selbst auf sozialen Netzwerken unterwegs?
Das bin ich, ja. Jedoch meistens nicht zu meinem Privatvergnügen, sondern eher für den beruflichen Austausch.
Was ist denn das große Problem der sozialen Netzwerke aus Ihrer Sicht?
Das Datengeschäftsmodell hinter den Anwendungen und das damit einhergehende Design der Plattformen. Wobei man hier auch ein Stück weit zwischen den Netzwerken unterscheiden muss. Eine Plattform wie TikTok etwa ist vor allem bei Jugendlichen beliebt. Das ist nicht ganz vergleichbar mit einer Plattform wie LinkedIn, auf der ich als Erwachsener aus beruflichen Gründen unterwegs bin.
Plattformen wie Instagram oder Facebook ziehen aber nicht nur Jugendliche in ihren Bann. Warum? Die Tech Industrie hat sich lange überlegt, wie man mit den Plattformen Geld verdient. Sie hat es am liebsten, wenn wir uns dort in jeder freien Minute aufhalten und damit beschäftigen. Mehr Zeit auf sozialen Netzwerken bedeutet ein größerer Datenfußabdruck der Nutzenden. Die Tech Industrie kann uns damit besser ausleuchten – und das Wissen gewinnbringend an die Werbeindustrie verkaufen.
Mit welchen Tricks arbeiten Facebook und Co., um mich länger „an der Stange“zu halten?
Die Entwickler wissen, dass die Nutzenden länger auf der Plattform bleiben, wenn die Nachrichten personalisiert sind. Die Lesebestätigung bei WhatsApp, der Like-Button und die Tatsache, dass die Webseite kein natürliches Ende mehr hat, sind weitere Tricks.
Was machen diese Psychotricks mit mir?
Erst einmal wird die Zeit, die ich online auf den Plattformen verbringe, verlängert. An sich ist aus der reinen
Verweildauer noch nicht unbedingt ein negativer Effekt auf das eigene Wohlbefinden ableitbar. Nicht jeder Nutzer, welcher lang auf Social Media unterwegs ist, hat ein Problem. Manche verdienen dort ihr Geld. Aber umgekehrt zeigt jede Person mit suchtähnlicher Nutzung zumeist lange Verweilzeiten.
Trotzdem wird vor zu hohem Social-Media-Konsum gewarnt.
Ja, denn wir wissen, dass es für manche Nutzenden die mentale Gesundheit beeinträchtigen kann. Darüber hinaus legen Forschungsarbeiten nah, dass die sozialen Netzwerke stark ablenken können – manchen Nutzenden fällt es deswegen schwerer, sich zu konzentrieren. Und: Je mehr Zeit wir mit den Apps verbringen, desto mehr wird unsere Privatsphäre verletzt.
Die Konsequenzen dieser Psychotricks – ist das den Entwicklern dieser Apps bewusst?
Natürlich. Die haben viele schlaue Leute, die an Funktionen arbeiten, um Nutzer bewusst an die Apps zu fesseln. Um von der eigenen Verantwortung abzulenken, werden Narrative in die Welt gesetzt, dass Individuen es doch selbst in der Hand haben, ihr Nutzungsverhalten zu ändern.
Von den Firmen kann man also nicht erwarten, dass sie die Plattform „zum Besseren“ändern.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass hier aus Eigeninitiative nicht viel zu erwarten ist. Nun gilt es den Druck von außen zu erhöhen und die Plattformen in die Pflicht zu nehmen.
Was könnten die Entwickler tun?
Warum zum Beispiel ist die Lesebestätigung bei WhatsApp-Erstinstallation automatisch aktiviert? Dies schubst manche Nutzende via sozialen Druck zu schnellerem Antwortverhalten und kann stressen. Zum Wohle der Nutzer könnte die App so ausgeliefert werden, dass man diese Funktion selbst aktiv einstellen muss.
Warum haben soziale Netzwerke so ein großes Problem mit Fake News?
Nachrichten, die mich emotional aufwühlen, lassen mich länger auf der Plattform bleiben. Dass die Plattformen die Verbreitung von Missinformationen scheinbar so schwer in den Griff bekommen, mag daran liegen, dass die Tech Industrie gar nicht viel dagegen hat. Durch aufwühlende Nachrichten, die eben häufig auch
Fake News sind, interagieren die Nutzenden mehr mit der Plattform – und der digitale Fußabdruck vergrößert sich.
Wie gefährlich ist der unkontrollierte Social-Media-Konsum für Jugendliche?
Da sind wir schnell bei Meinungen, das Feld ist noch nicht ausreichend erforscht. Zu der Frage, ab welchem Alter ein eigener Social-Media-Account sinnvoll ist, erstellen Kollegen und ich gerade eine Art „White Paper“.
Und in welche Richtung geht dabei Ihr Fazit?
Erst einmal stellt sich die Frage, ob wir den Jugendschutz hier nicht stärker auf den Plan rufen müssen. Die vorgegebenen Altersrichtlinien müssen meines Erachtens viel stärker eingehalten werden. Besonders junge Menschen haben Probleme, dem Sog der Plattformen zu widerstehen.
Was raten Sie Eltern?
Die Heranwachsenden brauchen unbedingt das Wissen über die Funktionsweise der Plattformen, ein Verständnis dafür, wie Plattformen funktionieren und ihr Geld verdienen. Weiterhin müssen Eltern mit ihrer eigenen Digitalnutzung Vorbild sein, denn ausufernder Konsum kann sonst schnell auf die Kinder abfärben. Entsprechende Regeln, an die sich auch die Eltern halten, sollten gemeinsam ausgehandelt werden. Am besten hängt man diese dann an die Kühlschranktür.
Wie schaffe ich es als Erwachsener, den eigenen Konsum etwas herunterzuschrauben?
Ich will noch einmal betonen, dass zunächst die Tech Industrie in der Verantwortung steht, gesündere Online-Welten zu schaffen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass die einzelnen Nutzenden die „Schuldigen“sind. Trotzdem kann man aber schon mit wenigen Tricks etwas ändern: Pushnachrichten ausschalten, eine Armbanduhr tragen und so vermeiden, dass man beim Blick aufs Handy dort hängen bleibt. Apps auf den Desktop verlagern und lieber konzentriert eine halbe Stunde am Stück alles von dort erledigen, das Handy in den Graumodus stellen, macht das Gerät und seine Anwendungen unattraktiver.
Und Ihre selbst entwickelte App hilft sicher auch, oder?
Genau. Mit der „smart@net-app“kann das eigene Handyverhalten analysiert werden. So wird man für einen ausgewogenen Umgang mit den Apps sensibilisiert. Außerdem erhält man viele Informationen zum Thema. Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit auffälligem Nutzungsverhalten bekommen zudem das Angebot einer Online-Therapie.