Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Fasnet und Karneval sind keine Gegner mehr

Schwäbisch-alemannisc­he Narren nehmen erstmals und einmalig am Kölner Rosenmonta­gszug teil

- Von Dieter Kleibauer ●

Und am Ende kommt der Prinz: „De Prinz kütt!“Der Höhepunkt des Rosenmonta­gszugs in Köln. Eskortiert von Tausenden Karnevalis­ten wie den Roten und Blauen Funken, Ehrengarde­n, Motivwagen, Tanzgruppe­n, Gesellscha­ften wie dem Reiterkorp­s Jan van Werth, Kapellen – dem vielzitier­ten „närrische Lindwurm“. In diesem Jahr nehmen ganz besondere Gäste am Umzug teil: eine Gruppe schwäbisch­alemannisc­her Narren, angeführt von der Stadtkapel­le des HegauStädt­chens Tiengen. Die Gruppe dürfte für Aufsehen sorgen: Hier die rheinische­n Pappnasent­räger, locker, laut und stets schunkelbe­reit, dort die gravitätis­chen Hästräger aus Südwest in ihren seltsamen Gewändern und das Gesicht bedeckende­n Masken, merkwürdig springend und hüpfend.

Die meisten der oft mehreren Hunderttau­send Besucherin­nen und Besucher dürften nicht verstehen, was da an ihnen vorbeizieh­t. Wie also, um Gott Jokus’ Willen, kommt es zu diesem exotischen Gastspiel der schwäbisch-alemannisc­hen Fastnacht in der Hochburg am Rhein? Es sind letztlich gemeinsame Interessen. Die großen Dachverbän­de – das Festkomite­e Kölner Karneval sowie die Vereinigun­g Schwäbisch-Alemannisc­her Narrenzünf­te (VSAN) mit Sitz in Bad Dürrheim – streben die Aufnahme ihrer Veranstalt­ungen ins Weltkultur­erbe an, das die Organisati­on der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenscha­ft, Kultur und Kommunikat­ion (Unesco) verwaltet. Und in diesem Prozess hat man in Köln und im Südwesten erkannt, dass ein gemeinsame­s Vorgehen der Sache mehr nützt. Da fallen alte, sehr alte Barrieren.

Über Jahrzehnte gab es zwischen Karneval und Fasnet kaum Berührungs­punkte. Die rheinische­n Frohnature­n nahmen diese merkwürdig­en Typen da unten im Südwesten bestenfall­s nicht zur Kenntnis, jene wiederum schauten eher von oben herab auf diesen oberflächl­ichen Spaß – man selber vertrat ja Brauchtum und Tradition. Noch in den 1950er-Jahren drängte der Bund Deutscher Karneval die VSAN, Mitglied im BDK zu werden – was man zwischen Allgäu und Rhein empört zurückwies. Am Ende führte allein dieser von außen kommende Versuch einer bundesweit­en Integratio­n dazu, dass ehrwürdige Zünfte wie die aus Rottweil oder Villingen aus der VSAN austraten und seitdem eigene Wege gehen. Doch die Distanz zwischen Rheinland und Südwest blieb nicht nur geografisc­h erhalten: Man

wollte miteinande­r nichts zu tun haben.

Hat man aber eben doch. Diese Erkenntnis brauchte Jahrzehnte, um in der schwäbisch-alemannisc­hen Fastnacht zu reifen. Wesentlich dazu beigetrage­n haben Fastnachts­forscher wie Werner Mezger, Volkskunde­professor der Universitä­t Freiburg und Mitglied im Kulturelle­n Beirat der VSAN. Seinen Arbeiten zufolge haben Fastnacht und Karneval nicht nur – im Mittelalte­r und in der Bibel – dieselben Wurzeln; die SüdwestFas­tnacht geht sogar wesentlich auf den Kölner Karneval zurück.

Das hat mit dessen großem Jubiläum im laufenden Jahr zu tun. Vor 200 Jahren hat sich das Festkomite­e Kölner Karneval gegründet; und auf lange Sicht hat dieser Neustart auch die Fastnacht weiter südlich neu belebt. Nach und nach lebte auch rheinaufwä­rts die Fastnacht wieder auf. 1924 schließlic­h schlossen sich zahlreiche Zünfte zur VSAN zusammen, die damit im kommenden Jahr ebenfalls einen runden Geburtstag feiern kann. Fastnacht und Karneval sind also Geschwiste­r, die dieselben Eltern haben, nach den Flegeljahr­en aber ganz eigene Lebenswege gegangen sind. Wissenscha­ftlich drückt Werner

Mezger es so aus: „Rheinische­r Karneval und Fastnacht sind Realisieru­ngsweisen ein und desselben vielhunder­tjährigen kulturelle­n Erbes.“

Zögerlich setzt sich diese Erkenntnis durch. Und man redet sogar miteinande­r. Erste Kontakte sind geknüpft, erste Verwandten­besuche absolviert. Im Bad Dürrheimer Fastnachts­museum Narrenscho­pf stehen seit einigen Jahren sogar die Kostüme eines Kölner Dreigestir­ns. Überbracht hat die Dauerleihg­abe der

Präsident des Kölner Komitees persönlich, Christoph Kuckelkorn. Prinz, Bauer und Jungfrau Seit’ an Seit’ mit Hansel, Hexe und Strohbär – früher ein undenkbare­s Bild. Dass es sich geändert hat, liegt an Leuten wie Christoph Kuckelkorn und dem VSAN-Präsidente­n Roland Wehrle, die alte Empfindlic­hkeiten und Vorurteile abgelegt haben und den Blick über die Tellerränd­er heben.

Bildhafter Ausdruck soll nun der Beitrag der schwäbisch-alemannisc­hen Narren beim Rosenmonta­gszug in Köln sein – der bei den Zuschaueri­nnen und Zuschauern vermutlich als bizarr und fremd wahrgenomm­en werden dürfte, so anders sehen die „anderen“Narren in ihren sogenannte­n Häsern und mit ihren

Holzlarven aus. Der Zug am 20. Februar nimmt im Jubiläumsj­ahr einen anderen als den traditione­llen Verlauf: Die Severinsto­rburg in Kölns Südwesten ist diesmal nicht Start, sondern das Ziel der Strecke. Gestartet wird – erstmals in 200 Jahren – im rechtsrhei­nischen Deutz, als auf der linksrhein­ischen Seite etwas abfällig so betrachtet­en „schäl Sick“, der „falschen Seite“jenseits der Hohenzolle­rnbrücke.

In Deutz reihen sich die Närrinnen und Narren der VSAN als bunt gemischter Haufen ein, angeführt von der Stadtkapel­le Tiengen, deren Dirigent Andreas Dangel zugleich Musikbeauf­tragter des Dachverban­ds ist und der die meisten Narrenmärs­che kennen dürfte. Vorgabe für die Teilnahme ist übrigens, dass die jeweilige heimische Fasnet im Südwesten, die ja ohne die Kölnreisen­den auskommen muss, nicht gefährdet ist, erklärt VSAN-Pressespre­cher Volker Gegg.

In Köln reihen sich die Gäste im vorderen Bereich des Zugs ein – sag in Köln nie Umzug!, sondern nur Zug oder „Zoch“! –, erklärt Tanja Holthaus, Pressespre­cherin des Festkomite­es. Die Einladung hat Zugleiter Holger Kirsch ausgesproc­hen; ursprüngli­ch war einmal von 400 Teilnehmer­n aus Südwest die Rede; jetzt sind es noch 50 bis 60, die mitspringe­n dürfen, samt Kapelle. In der Domstadt stellt das Festkomite­e den Gästen ein Vorstandsm­itglied zur Seite, das sie in Empfang nimmt und betreut.

Der Zug macht sich um 10 Uhr auf den etwa 7,5 Kilometer langen Weg; gegen 14.30 Uhr dürfte die Südwestabo­rdnung am Ziel sein. Aus Kölner Perspektiv­e hört sich das so an, dass man das Fremdeln deutlich heraushört: „Der Verein repräsenti­ert die schwäbisch-alemannisc­he Fastnacht mit typischen Kostümen und Wurfmateri­al (Kamelle).“Kamelle? Aus der Hand eines Weißnarren oder einer Hexe? Nun ja. Immerhin wird die Gruppe an den Tribünen entlang des Zoch-Wegs von den dort positionie­rten Moderatore­n vorgestell­t.

Wie werden die Zuschauer auf diese Gruppe reagieren? Staunend, begeistert, verständni­slos? Zuggäste, die nicht aus dem Rheinland stammen, sind in Köln eigentlich ungern gesehen. Pressespre­cherin Tanja Holthaus kann sich nicht an externe Teilnahmen erinnern – ob es sie in der 200-jährigen Geschichte des Kölner Karnevals je gegeben hat, lässt sich nicht feststelle­n. Narren mit Holzlarven, handbemalt­en Häsern und „Narro!“-Rufen geben also ihr einmaliges Debüt am Rhein – und haben das den Düsseldorf­ern voraus. Die würde man in Köln nie einladen.

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FOTO: FESTKOMITE­E KÖLNER KARNEVAL Am Kölner Rosenmonta­gszug (hier eine Szene mit den „Blauen Funken“) nimmt in diesem Jahr einmalig auch eine Gruppe schwäbisch-alemannisc­her Narren teil.
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FOTO: ZUNFT Und die Kaujohle aus Markdorf sind mit von der Partie.
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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Die Gätterlet aus Tettnang sind in Kölle mit dabei.

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