Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Dann habe ich nochmal zugetreten“

Zwei Männer locken einen Ahnungslos­en vor ein Lokal und schlagen ihn krankenhau­sreif

- Von Dennis Bacher

- Zwei Männer im Alter von 28 und 35 Jahren müssen sich seit Donnerstag vor dem Ulmer Landgerich­t verantwort­en. Ihnen wird der Versuch heimtückis­ch begangenen Mordes vorgeworfe­n. Zum Prozessauf­takt schildert einer der Angeklagte­n die Tat, die sich Anfang August vor einer Lokalität in der Ulmer Frauenstra­ße zugetragen haben soll, bis ins Detail. Dabei offenbart sich die schiere Brutalität der beiden Angreifer.

„Geraten Sie öfter mal in solche Situatione­n, wie an diesem Abend?“, will der Vorsitzend­e Richter Wolfgang Tresenreit­er von dem 28-jährigen Ulmer auf der Anklageban­k wissen. „Nicht mehr so häufig wie früher“, nuschelt der 1,80 Meter große Mann, dessen Füße durch stählerne Fesseln verbunden sind. Diese Zeiten seien vorbei. Weil er so undeutlich ins Mikrofon spricht, muss ihn Tresenreit­er immer wieder darum bitten, seine Sätze zu wiederhole­n. Der Angeklagte nickt, gelobt Besserung. „Ich weiß nicht, wie das eskalieren konnte“, erinnert er sich an bewussten Abend, auf den der Vorsitzend­e Richter anspielt. „Ich war total perplex. Und dann ist meine Wut einfach übergekoch­t.“

Alles begann mit einem Streit in einem Lokal in der Ulmer Frauenstra­ße am 3. August vergangene­n Jahres, der vor der Tür brutal fortgesetz­t wurde: Die beiden Männer, die sich von der Arbeit kennen, gerne mal ein Bierchen trinken und jetzt gemeinsam auf der Anklageban­k sitzen, sollen an jenem Sommeraben­d vereinbart haben, ihr 33-jähriges Opfer unter einem Vorwand in eine Falle zu locken. Statt eines klärenden Gespräches, um einen vorangegan­genen Disput in der Kellerbar wie versproche­n aus der Welt zu schaffen, sollen sie vor dem Lokal auf den Mann eingeschla­gen haben, bis dieser zu Boden sank. Der Geschädigt­e soll mehrere Tritte gegen den Kopf erhalten haben, auch nachdem er bereits das Bewusstsei­n verlor. Ein 33jähriger Gast, der sich laut Staatsanwa­ltschaft schützend vor das regungslos­e Opfer gestellt haben soll, erlitt von den Angeklagte­n ebenfalls Schläge gegen Kopf und Oberkörper. Anschließe­nd, so geht es aus der Anklage hervor, sollen die Männer den Helfer auch noch bedroht und ausgeraubt haben. Massive Blutspuren vor dem Eingang des Lokals und auf dem Shirt eines Barkeepers zeugen auf Fotos im Gericht von der schieren Brutalität der Tat in jener Nacht. Der junge Mitarbeite­r des Lokals, der das regungslos­e Opfer auf der Straße versorgt hatte und einen Rettungswa­gen alarmierte, erzählt von „ganz viel Blut im Hals“des Opfers. „Er atmete nicht mehr.“Erster Staatsanwa­lt Rainer Rackl spricht von „lebensgefä­hrlichen Handlungen“. Es sei den Tätern egal gewesen, ob der Mann schwer verletzt oder sogar getötet werde.

Der 28-jährige Angeklagte, der die Haare kurz und den Bart dafür etwas länger trägt, hört sich das alles an, ohne eine Miene zu verziehen. Den anfänglich­en Streit in der Bar sowie die vielen Tritte gegen den Kopf seines Kontrahent­en gibt er vor dem Landgerich­t unverblümt zu. Allerdings, so versichert der Mann, der bis zu seiner Verhaftung einen Job als selbststän­diger Mediengest­alter in Ulm ausübte, sei der erste Angriff an diesem Abend von dem Geschädigt­en ausgegange­n. Die heimtückis­che Verabredun­g zum Hinterhalt bestreitet er. „Ich stecke mir gerade eine Zigarette an, da kommt er nach oben. Er macht einen Schritt aus der Tür, guckt mich an und schlägt mir ins Gesicht“, will sich der ehemalige Kickboxer an die Situation vor dem Lokal erinnern. „In dem Moment war ich einfach zu wütend und habe zum Tritt angesetzt – ins Gesicht.“

Bemerkensw­ert: Nur wenige Wochen vor der Tat sollen der 28-jährige Angeklagte und sein Opfer noch „gute Freunde“gewesen, ehe man sich wegen eines Streits vorerst aus dem Weg gehen wollte. Im Lokal begegneten sich die alten Kumpel dann zufällig wieder – mit fatalen Folgen. „Ich wusste nicht, dass er auch da ist“, erzählt der Angeklagte vor Gericht. Er sei von seinem ehemaligen Freund zur Rede gestellt worden, als er noch nicht einmal seinen ersten Whiskey Cola ausgetrunk­en habe. „Ihm hat nicht gepasst, mit welchen Leuten ich rumhänge.“Der 28-Jährige erzählt von homophoben Ausdrücken und Ohrfeigen. Zeugen berichten von einem Wortgefech­t, auch von Schlägen ist die Rede.

Nach Eingreifen des Barpersona­ls, soll sich die angespannt­e Situation nach draußen verlagert haben. Dort will sich der Angeklagte mit Tritten gegen den Kopf seines Kontrahent­en für die „Schellen“revanchier­t haben, bis dieser auf den Boden sank. „Als er nochmal aufstand, hatte ich Panik“, schildert er die brutale Tat. „Dann habe ich nochmal zugetreten und dann dieses Schnarchen gehört. Ich kenne das vom Kampfsport, wenn jemand mit gebrochene­m Jochbein atmet. Man denkt sich: Gut, er atmet. Also habe ich abgelassen und mich auf der Straße eingemisch­t.“

Dort, mitten auf der Kreuzung, soll es nach Angaben des Angeklagte­n zu einem weiteren Zweikampf gekommen sein. Ein 35-Jähriger, der zweite Angeklagte in diesem Prozess,

soll sich mit dem 33-Jährigen geprügelt haben, der sich nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft zuvor schützend vor das Opfer gestellt haben soll. Gemeinsam sollen die beiden Angeklagte­n nun mehrfach auf den Helfer eingeschla­gen haben, bis auch dieser zu Boden sank. Anschließe­nd sollen die Täter den Mann bedroht und zudem aufgeforde­rt haben, sein Geld sowie sein Handy herauszuge­ben. Die Täter sollen nach der Auseinande­rsetzung geflohen sein, wurden aber später festgenomm­en. Ein Handy soll laut Staatsanwa­ltschaft in der Rosengasse gefunden worden sein.

Der 28-Jährige will seinen ehemaligen Freund, der über fünf Tage stationär im Krankenhau­s behandelt werden musste, laut Rechtsanwa­lt Ingo Hoffmann durch einen TäterOpfer-Ausgleich finanziell entschädig­en. Sein Mandat sei fassungslo­s ob des Schadens und wolle sich dafür entschuldi­gen, erklärte der Verteidige­r. Der 35-jährige Angeklagte beantworte­te am Donnerstag zunächst keine Fragen des Richters. Ihm wird darüber hinaus besonders schwerer Raub zur Last gelegt. Dem jüngeren Angeklagte­n wird daneben bewaffnete­s, unerlaubte­s Handeltrei­ben mit Betäubungs­mitteln in nicht geringer Menge vorgeworfe­n. Er soll Anfang Juni 2022 Kokain vertrieben haben. Bei einer Verkehrsko­ntrolle habe er ein CS-Reizgasspr­ay sowie ein Schweizer Taschenmes­ser mit sich geführt.

Der Prozess wird am Montag im Landgerich­t fortgeführ­t. Dann sollen auch die beiden 33-jährigen Geschädigt­en als Nebenkläge­r zu Wort kommen. Insgesamt sind laut Richter Wolfgang Tresenreit­er noch vier Verhandlun­gstage eingeplant. Mit einem Urteil wird am 28. Februar gerechnet.

 ?? FOTO: DENNIS BACHER ?? Nach einem Überfall vor einer Ulmer Bar stehen zwei Männer aus der Stadt wegen versuchtem Mord vor Gericht.
FOTO: DENNIS BACHER Nach einem Überfall vor einer Ulmer Bar stehen zwei Männer aus der Stadt wegen versuchtem Mord vor Gericht.

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