Sachliche Darlegung von Politik statt Schenkelklopferei
Landtagsabgeordneter Martin Rivoir und Wirtschaftsprofessor Steffen Reik beim Politischen Aschermittwoch der SPD in Schelklingen
- Der Politische Aschermittwoch der SPD in Schelklingen hat mit dem Landtagsabgeordneten Martin Rivoir zum „Bericht aus dem Ländle“und dem Ulmer Wirtschaftsprofessor Steffen Reik als dem Europawahlkandidaten aufgewartet. Reik wuchs in Horb am Neckar auf, hat aber Vorfahren aus Schelklingen und Schmiechen. Im Superwahljahr mit Großdemonstrationen zur SPD-Regierungsarbeit war anzunehmen, dass die Sitzplätze im kleinen Rittersaal nicht ausreichen könnten. Für 35 Personen war bestuhlt. Zwei Drittel der Plätze waren letztlich belegt.
Bekanntlich ist der Politische Aschermittwoch in der Aachstadt stets mehr sachliche Politikdarlegung denn als Schenkelklopferei. Ein paar mehr amüsante Aussagen als bisher stellten sich aber ein. Martin Rivoir erinnerte an einen Besuch in Berlin mit zufälligem Treffen Lars Klingbeils in der Reichstagskuppel. Als der Ulmer sich vorstellte, habe sich das Gesicht des jetzigen Parteivorsitzenden, der am Mittwoch in Vilshofen redete, verfinstert – was Rivoir durch seine Erklärung zur Bürogemeinschaft mit der damaligen Ulmer Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis folgendermaßen auflöste: „Hilde hat ihr Büro links, ich rechts.“
Jemand im Rittersaal frotzelte über die leer gebliebenen Stühle, die Fehlenden könnten in Biberach zum Demonstrieren sein. Am Nachmittag hatte der Ausfall des dortigen Grünen-Treffens aufgrund von Bauernprotesten bundesweit Schlagzeilen gemacht. Martin Rivoir vermisste in Schelklingen Traktoren am Alten Spital, wo sich im dritten Stock der Rittersaal befindet. „Einzelne Protestschilder gehen nicht“, betonte der Landtagsabgeordnete mit Verweis auf Galgen. Die EU subventioniere die Landwirtschaft stark, „da geht es nicht, dass gegen die EU geschrien wird“, so Rivoir, der auch Autobahnblockaden
ablehnt. Die Querdenkerdemos in Ulm gefielen ihm zudem nicht.
Am Besuch des Ministerpräsidenten auf den Hessenhöfen (wir berichteten) nahm Rivoir teil, nachdem er vorher eine „Zusammenrottung von Bauern mit 50 Traktoren“zu umfahren hatte. Niemand erkannte ihn, und über Treffensbuch gelang die Anfahrt, erwähnte der Ulmer, weil Kreisverbandschef Dieter Baumann als Treffensbucher zu Beginn mit seiner Co-Chefin Elke Kneer vom SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Jürgen Haas begrüßt worden war, wie weitere Mandats- und Funktionsträger „bis aus Langenau“, hatte Haas betont.
„Nun zum Land – da hat sich gar nix geändert“, lautete Rivoirs Einstiegssatz zur Arbeit in Stuttgart.
Milliarden an Euro seien vorhanden, um aber nicht für verrückt erklärt zu werden, behaupte der Finanzminister, er habe kein Geld. Das Geld stecke laut Rivoir in Rücklagen, womit die Koalitionäre ihre Lieblingsprojekte finanzieren, was Streit verhindere, wobei Manuel Hagel als CDUParteivorsitzenden doch jüngst, so Rivoir, angekündigt hatte, dass 2026 nicht automatisch ein Grüner Ministerpräsident werde. Rivoir grenzte sich ebenfalls ab: „Grüne sind nicht aus einer Rippe von uns. Sie sind nicht unsere Freunde.“
Bei der Eiszeitkunst bewege sich nichts, klagte Rivoir. Wohnungsnot in Land und Bund sprach er an. Ältere würden auf barrierefreie Wohnungen warten. PV-Anlagen für 8000 landeseigene Liegenschaften seien versprochen, nur 222 geschaffen. 40 Windräder stünden großen Versprechen gegenüber. Zu Flucht und Asyl gestand er merkwürdige Aussagen aus dem Ulmer Gemeinderat: „Kollegen sprächen davon, Finanzmittel zu streichen und bei Bussen zu sagen, die nehmen wir nicht.“CDU-Gemeinderäte sähen die Schuld in Berlin, wobei Rivoir keine Schuld Berlins am Krieg in der Ukraine und der Lage in der Sahelzone sieht. Vielmehr seien Schuldige im Hintergrund zu finden: „Andere wollen, dass wir am Ratstisch streiten.“Er dagegen verbinde Asylsuche
mit Positivem und Wohlstand durch Zuwanderung. Durch den Kosovokrieg kamen Fremde, gingen auch wieder oder gründeten Handwerksfirmen, was Rivoir aus Namenszügen auf Lieferwagen schließt.
Das Wort „Pisa“fiel einige Mal mit Unterton im Rittersaal. Bildungsreisen hätten früher in skandinavische Länder geführt, „ohne etwas mitzubringen“, klagte Rivoir, der diesmal zur Auslandvertretung der LBBWBank nach New York mitreiste, um vom Büroleiter eines Senators die Frage zu hören, wie denn der Bundeskanzler heiße. Ein Augenöffner für Martin Rivoir, lenkten die USA ihr Augenmerk doch primär auf Asien. Die USA stünden zudem für Protektionismus, nur im eigenen Land gebaute E-Autos würden zugelassen. „Deshalb gehen so viele Firmen rüber.“Rivoir schlussfolgerte: „Wir müssen selbst stark werden und stark bleiben“, sagte er und empfahl, „im Juni, Parteien zu wählen, die das wollen“.
40 Jahre alt ist Steffen Reik, Vater eines Kleinkinds, seit 22 Jahren Mitglied bei den Sozialdemokraten. Die politische Situation habe ihn aufgefordert, jetzt aktiv zu werden. Er kandidiert für einen Posten im Europaparlament, aber auch für den Ulmer Gemeinderat. Samstags sehe er in Ulms Fußgängerzone Protestplakate, die ihm nicht nachvollziehbar erscheinen.
Es müsse mehr miteinander geredet werden. Der deutsche Fokus dürfe nicht stets auf das Negative gerichtet sein. Später sprach er sich gegen das Einstimmigkeitsprinzip in der EU aus.
Was die Rittersaalbesucher denken, wenn sie EU hören, wollte er wissen. Diese trauten sich offenbar nicht so recht, sagten zögerlich Euro, dann freie Grenzen. Er höre sonst immer Bürokratie und dann Frieden. Der Wirtschaftsprofessor wünscht sich für die Arbeitnehmer einheitliche Sozialstandards, möglichst mit einheitlichem EU-Mindestlohn. Er sprach EU-Lösungsbedarf an: bei Scheinselbstständigkeit, Kinderarbeit, Datenschutz, Recht auf Reparatur und anderes. „Wir brauchen mehr Europa“, sagt Reik, die AfD-Forderung nach Dexit sei Quatsch. Die Europäer müssten enger zusammenkommen. Auslandsaufenthalte und Städtepartnerschaften seien wichtig. Weil Valentinstag war, sprach er getreu dem Aschermittwochsredner Kevin Kühnert in Ludwigsburg eine Liebeserklärung an die EU aus, später versehen mit dem Hinweis: „Aber wie verkaufen wird das?“Er warb für die Parteimitgliedschaft. „Und bei der Kommunalwahl kandidieren“, forderte Elke Kneer sozusagen als Startpunkt der Fragenrunde.
Meistgenannte andere Partei neben den Grünen und der CDU war die AfD. Die Ehrenvorsitzende
Klara Dorner sieht diese ferngesteuert. Das „Geheimtreffen“in Potsdam, so Martin Rivoir, habe Unpolitische mobilisiert. Ein AfD-Kollege sei unlängst von einer Schulklasse beharrlich befragt worden. Statt über eine Abschaffung des Rundfunkbeitrags will Rivoir lieber über einen Grundbeitrag für die Presse reden. Meldungen über trockene Verwaltungsarbeit sollten in den Zeitungen nicht Klick-Hits unterliegen. Zur Frage, ob Scholz‘ Aussage von „Abschiebungen im großen Stil“nach den Großdemonstrationen noch gelte, sagte der Landtagsabgeordnete, dies natürlich nicht zu wissen, aber grundsätzlich gelten für nicht anerkannte Asylsuchende die rechtstaatlichen Regeln und deren Durchsetzung, was nicht Bundes-, sondern Landessache sei. Von ihm wollte der Blaubeurer Thorsten Kneer wissen, was „die freie Kita kostet“, um als Antwort zu hören: „Peanuts“.
Dieter Baumann lobte die SPDBundesminister: Modulbauidee bei Geiwitz, Strukturreform in der Bundeswehr und überhaupt Gesundheitsminister Karl Lauterbach, den er am Aschermittwoch aber versehentlich und damit zur allgemeinen Auf lockerung zuerst Heiner nannte. Was Baumann in der Politik stört, das sei das dauernde „Emotion schlägt Wissen“.
Wirtschaftsprofessor Reik sagte auf die Frage, wie er zum grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck stehe, diplomatisch, dass dieser einen Draht zu Menschen besitze, zwar kein ausgewiesener Experte sei, aber eine Person sei, mit der er sofort ein Bier trinken würde, weil Habeck das Herz am rechten Fleck habe. Bezüglich der Antifa meinte der EU-Kandidat, dass er gegen jeden Extremismus sei, ob links, rechts, religiös, wobei er Linksextremismus nicht mit Rechtsextremismus gleichsetzen wolle. Edward Snowden halte er für einen Helden, der der Welt zeigte, was Überwachung ist. Zum Dauerumzug des EU-Parlaments von Brüssel nach Straßburg und umgekehrt, haute Reik einen frechen Spruch raus: „Wenn‘s Quatsch ist, dann sind die Franzosen schuld.“Über Russlands Präsident sagte er ernst: „Wenn Putin gewusst hätte, was rauskommt, hätte er das nicht gemacht.“
Reiks Großmutter war die Schelklingerin Maria Heuschmid, die den Schmiechener Hugo Burgmaier heiratete, wodurch Steffen Reik der Cousin von Burgmaier-Geschäftsführer Karl-Hugo Schick ist. Reiks Eltern lernten sich als Lehrer an der Munderkinger Schule kennen.