Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Für den großen und den kleinen Geldbeutel

Seit 2021 gibt es die Schiene 1 in Erbach – Was momentan besonders nachgefrag­t ist

- Von Verena Pauer ●

- Es sind Tassen und Gläser, Teller und Töpfe, Bettwäsche und Tischdecke­n, Kinderspie­lzeuge und Fahrräder, die es beim Sozialkauf­haus Schiene 1 in Erbach zu kaufen gibt. „Wir richten unser Augenmerk verstärkt auf Haushaltsw­aren und Kinderspie­lzeug“, sagt Verena Knöpfle. Sie ist Vorstandsm­itglied des Helferkrei­ses Erbach, der das Sozialkauf haus betreibt. Kleidung und Schuhe nimmt die Schiene 1 nicht entgegen. Auch bei Plastik ziehen die ehrenamtli­chen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r eine Grenze. „Das soll hier kein Krustellad­en sein.“

Es ist ein Mittwoch, an dem Verena Knöpf le und Anneliese Ziegler am Tisch in dem alten Bahnhofsge­bäude sitzen. Denn immer mittwochna­chmittags von 14 bis 18 Uhr hat das Sozialkauf­haus im ersten Obergescho­ss des Gebäudes geöffnet. Besonders um 14 Uhr sei der Andrang sehr hoch. Die Leute würden praktisch Schlange stehen. Jetzt, etwa eine Stunde später, ist Ruhe eingekehrt, auch wenn immer wieder kaufwillig­e Kundschaft durch die Räume streift. Manche suchen etwas Bestimmtes, andere schauen sich nur um. Beraten werden sie dabei an dem Tag nicht nur von Verena Knöpfle und Anneliese Ziegler, auch Inge Raith und Katja Eberle sind im Laden unterwegs und immer ansprechba­r. Insgesamt zwölf Ehrenamtli­che seien es, die sich hier engagieren, sagt Anneliese Ziegler. Immer mindestens drei von ihnen haben am gleichen Tag Dienst.

Den Ursprung hat das Sozialkauf­haus in der Kleiderkam­mer des Helferkrei­ses genommen, den dieser anlässlich der vielen Flüchtling­e 2016 ins Leben gerufen hatte – damals angedockt an die Gemeinscha­ftsunterku­nft in der Stadt. Als das Areal 2020 an den Besitzer zurückging, schloss auch die Kleiderkam­mer. „Die Ersthilfe mit Kleidung und so weiter war sowieso nicht mehr nötig“, erinnert sich Verena Knöpfle. Die Geflüchtet­en hätte das alles vorhanden gehabt. Doch es fehlte an Töpfen und Geschirr. Und so entstand die Idee des Sozialkauf hauses. Die Stadt stellte die Räumlichke­iten, und am 1. Dezember 2021 waren die Türen der Schiene 1 erstmals geöffnet – passend zur Vorweihnac­htszeit und kurz bevor ab Ende Februar 2022 vor allem ukrainisch­e Geflüchtet­e ins Land kamen.

Zwei ukrainisch­e Frauen stehen auch an diesem Nachmittag vor einem Regal, das bis unter die Decke reicht, über und über gefüllt mit Tischdecke­n, Kissen- und Bettbezüge­n. Die Kommunikat­ion zwischen den Kundinnen und den Verkäuferi­nnen funktionie­rt mit Händen und Füßen – und mit Übersetzun­gsprogramm­en auf dem Handy. Eine der beiden Ukrainieri­nnen nimmt einen Kissenbezu­g in die Hand, deutet in das Innere und fragt etwas auf Ukrainisch. Fragende Gesichter bei den Ehrenamtli­chen. So geht das einige Male hin und her, bis schließlic­h Verena Knöpf le ausruft: „Eine Bettdecke!“Dann fügt sie an: „Das haben wir leider nicht.“

Vor allem Töpfe seien aktuell sehr gefragt, sagt sie – zumindest bei den Gef lüchteten. Das Angebot der Schiene 1 richtet sich jedoch nicht nur an diese Gruppe. Grundsätzl­ich könnten allen vorbeikomm­en, egal wie sie finanziell dastehen, sagt Anneliese Ziegler. So besteht der Kundenstam­m des Kauf hauses auch etwa zur Hälfte aus Gef lüchteten, die andere Hälfte komme aus der Mittelschi­cht. Ein großes Verkaufsar­gument sei natürlich, dass es im Erbacher Bahnhof Geschirr zu niedrigen Preisen gibt. „Aber auch der Nachhaltig­keitsgedan­ke ist sehr wichtig“, sagt Verena Knöpf le.

Ihre Waren bekommen sie durch Spenden, durch Haushaltsa­uflösungen, wenn sich jemand räumlich verkleiner­t oder einfach keine Verwendung mehr für etwas hat. „Am Anfang waren wir ein bisschen die Müllentsor­ger“, erinnert sich Verena Knöpf le. Doch mittlerwei­le kontrollie­re man die Spenden stärker. „Wir sind uns ziemlich schnell einig, was wir nehmen und was wir nicht nehmen“, sagt sie über das Verhältnis unter den Ehrenamtli­chen.

„Was alle verbindet, ist das Faible für schöne Dinge.“

Eine Frau Ende 60 stellt sechs Kuchentell­er mit einem Blumenmust­er auf den Tisch, dazu mehrere Geschirrtü­cher. „Wieviel kostet das?“, fragt sie. „Machen wir 15 Euro“, sagt Verena Knöpfle. Die Frau bezahlt. „Das ist wirklich ein sehr schönes Muster“, sagt Anneliese Ziegler und lädt die Kundin und ihren Mann zum Kaffee trinken ein. Sie müssen aber weiter. „Vielleicht beim nächsten Mal“, sagen sie. Die Preise würden sie grob festlegen, aber die seien nicht in Stein gemeißelt, sagt Anneliese Ziegler. „Man muss schon handeln.“Wenn jemand vorbeikomm­e, der weniger Geld habe, würden sie den Preis auch etwas niedriger ansetzen. „Jeder zahlt das, was er kann“, sagt Verena Knöpfle. „Es geht nicht darum, Geld zu verdienen.“

Das wäre als gemeinnütz­iger Verein, der der Helferkrei­s ist, auch gar nicht möglich. „Das Geld, das wir einnehmen, kommt Menschen zugute, die gerade einen Engpass haben“, sagt Anneliese Ziegler und fügt hinzu: „Egal welcher Art.“Der Verein habe schon ausgeholfe­n, wenn im Winter das Heizöl knapp geworden sei, wenn am Wochenende kein Geld mehr für Essen übrig sei oder wenn eine Familie sich an Weihnachte­n keine Geschenke für die Kinder leisten konnte. Der Kontakt entstehe über den Helferkrei­s, den Verein Oberlin, der ebenfalls im Bahnhofsge­bäude zu Hause ist, oder weil die Leute direkt in das Sozialkauf­haus kommen würden, sagt Verena Knöpfle.

Seit ein paar Wochen komme immer wieder ein Mann vorbei, der für sich und seine Familie eine

Wohnung suche. „Er wohnt mit vier Kindern in einer sehr kleinen Wohnung“, sagt die ehrenamtli­che Helferin. „Wir veröffentl­ichen im Gemeindebl­att und sprechen im Beirat darüber und mit dem DRK und der Caritas.“Aber es gebe einfach keine Wohnungen, da sei man auch als Helferin machtlos.

Auf der anderen Seite sei es immer wieder schön zu sehen, wenn eine besonders schöne Kanne oder ein Service einen neuen Besitzer oder eine neue Besitzerin finde. Auch wenn die Frauen sich einig sind: Auch wenn es immer mehr geworden seien, kommen noch immer zu wenige Kunden. Denn mehr Kundschaft trage auch zum Nachhaltig­keitsgedan­ken bei. Und sie betonen auch: „Die Schiene 1 richtet sich auch an Jüngere, die ausziehen und einen Hausstand gründen.“Dafür sei das Sozialkauf­haus perfekt. Um die zu erreichen, hätten sie gerne noch jemand Jüngeren unter den Helferinne­n und Helfern, der sich mit den sozialen Medien auskennt und „der mal so einen InstagramA­uftritt macht“, sagt Verena Knöpf le. Damit könne man den Leuten zeigen, was es alles für Schätze zu finden gebe. Manche Kundinnen würden hier auch für Bastelproj­ekte einkaufen, andere Geburtstag­sgeschenke finden.

So auch eine Frau, die an dem Nachmittag die Fahrradwer­kstatt aufsucht und freudestra­hlend danach den Verkäuferi­nnen berichtet: „Ich hab gerade ein Fahrrad reserviert.“Das sei für ihre Tochter, die in der kommenden Woche Geburtstag habe. Sie werde an dem Tag vorbeikomm­en und es abholen. „So etwas haben wir immer wieder“, sagt Verena Knöpfle.

„Jeder zahlt das, was er kann. Es geht nicht darum, Geld zu verdienen.“Verena Knöpfle

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FOTO: PAUER Sie engagieren sich ehrenamtli­ch in der Schiene 1 (von links): Katja Eberle, Anneliese Ziegler, Verena Knöpfle und Inge Raith.

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