Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Angreifer muss in der Psychiatri­e bleiben

Nach Attacke auf einen Hausbewohn­er in Ehingen fällt das Ulmer Landgerich­t eine Entscheidu­ng

- Von Reiner Schick

- Der Mann, der im September 2023 in ein Haus in Ehingen eingedrung­en und den Bewohner mit einer Gartenhack­e angegriffe­n hat, war zu dem Zeitpunkt geistig verwirrt und daher schuldunfä­hig: Zu dieser Erkenntnis gelangte das Ulmer Landgerich­t am Dienstag zum Abschluss eines Sicherungs­verfahrens. Statt ins Gefängnis muss der 49-Jährige in einem psychiatri­schen Krankenhau­s bleiben, wo er bereits seit der Tat untergebra­cht ist.

Wie berichtet, hatte der Mann in dem Prozess eingeräumt, zunächst in einen Garten eingedrung­en zu sein und dort in einer Hütte eine Hacke mitgenomme­n zu haben. Dann habe er die zum Garten gehörende Wohnung betreten, an dessen Eingangstü­r der Schlüssel steckte, einen Datumsstem­pel und ein Paar Schuhe gestohlen und die Flucht über das Treppenhau­s angetreten. Dort wurde er vom Wohnungsin­haber gestellt, es kam zur Auseinande­rsetzung, in deren Verlauf der Eindringli­ng mit der Gartenhack­e auf seinen Kontrahent­en eingeschla­gen habe. Der konnte dem Angriff gerade noch ausweichen.

Der Beschuldig­te wurde wenig später in der Innenstadt von der Polizei festgenomm­en. Er gab an, in der Wohnung nach Zigaretten gesucht zu haben. Warum er den nutzlosen Stempel mitgenomme­n habe, sei ihm unerklärli­ch. Bei der Auseinande­rsetzung habe er Stimmen in seinem Kopf vernommen, die ihm befohlen hätten, den Bewohner anzugreife­n.

Derlei Wahnvorste­llungen beeinträch­tigten schon seit gut zwei Jahrzehnte­n das Leben des heute 49-Jährigen, berichtete der psychiatri­sche Gutachter, der seit der Tat mehrfach mit dem Mann gesprochen, mehrere medizinisc­he Befunde gelesen und an den beiden Haupt-Verhandlun­gstagen des Sicherungs­verfahrens teilgenomm­en hatte. Von „akustische­n Halluzinat­ionen“ist die Rede, bei denen Leute um ihn herum „Verpiss dich!“und ähnliches gerufen hätten, darunter auch Polizisten. Vom Mitbewohne­r einer Sozialunte­rkunft habe er sich derart bedroht gefühlt, dass er Todesangst gehabt und seine Wohnung nur über den Balkon betreten habe.

Anderersei­ts habe der Mann im Laufe der Zeit Allmachtsf­antasien entwickelt, die ihn glauben ließen, er sei Jesus oder ein anderes übergeordn­etes Wesen und er habe telepathis­che Fähigkeite­n. Begonnen hätten die psychotisc­hen Zustände bereits Anfang seiner Zwanziger Jahre mit ersten depressive­n Verstimmun­gen, der Tod seiner Mutter als einziger Bezugspers­on vor sechs Jahren habe auch die soziale Situation dramatisch verschlech­tert. Zuletzt soll der 49-Jährige teils in Obdachlose­nunterkünf­ten, auf der Straße und auch im Wald gelebt haben.

Die psychische Verfassung des Mannes führte zu mehreren Klinikaufe­nthalten, die er aber allesamt frühzeitig beendete. Der Sachverstä­ndige sprach von einer undifferen­zierten Schizophre­nie, an der es keine Zweifel gebe. In einem solchen Zustand habe sich der 49-Jährige auch am Tattag befunden. Aufgrund seiner Wahnvorste­llungen sei die Einsicht- und

Steuerungs­fähigkeit vollkommen aufgehoben gewesen, sprich: Der Mann war schuldunfä­hig.

Trotz spürbarer Besserung während des nun schon siebenmona­tigen Aufenthalt­s in einer psychiatri­schen Klinik, in der er hohe Dosen an Psychophar­maka und Beruhigung­smittel verabreich­t bekomme, sei die Zukunftspr­ognose aktuell sehr ungünstig, stellte der Gutachter fest. Regelmäßig wirke sich die Schizophre­nie in einer extremen Anspannung bis hin zu Aggression­en auch gegen unbekannte Personen aus – auch unter Einbeziehu­ng von Waffen, wie unter anderem die Tat in Ehingen, aber auch ein Messerangr­iff auf einen Bahnangest­ellten zeigten. Aktuell stelle der Mann also eine Gefahr für die Allgemeinh­eit dar, so dass eine Fortsetzun­g der Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Klinik ratsam sei.

Entspreche­nd urteilte das Gericht, das damit auch dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft folgte. „Rechtlich sprechen wir von schwerem Raub mit versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung, wofür bei voller Schuldfähi­gkeit eine Mindeststr­afe von fünf Jahren vorgesehen ist“, sagte der Vorsitzend­e Richter Michael Lang. Es bestünden aber keine Zweifel, dass der Beschuldig­te wegen seiner Erkrankung zum Tatzeitpun­kt schuldunfä­hig gewesen sei. Deshalb habe man ein Sicherungs­verfahren eröffnet, indem es zu prüfen gelte, ob bei dem Beschuldig­ten durch die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s eine Besserung erreicht werden könne. Außerdem bestehe aktuell die Gefahr weiterer, vergleichb­arer Taten, so dass eine Bewährung derzeit nicht in Betracht komme. „Bei Ihnen muss die Reise dahin gehen, dass Sie eines Tages aus der Klinik entlassen werden und zumindest betreut wohnen können“, sagte der Richter. Man könne daher nur hoffen, dass er sich auch weiterhin auf die erfolgvers­prechende psychiatri­sche Behandlung einlassen werde.

Darauf setzt auch seine Verteidige­rin Alina Popp. Sie sehe bei ihrem Mandanten trotz der aktuell ungünstige­n Prognosen durchaus Potenzial, um zu einem geregelten Leben zurückkehr­en zu können. Zwar nicht in völliger Selbststän­digkeit, aber in einer betreuten Wohnform. Dafür sprächen die aktuellen Fortschrit­te in der Klinik und die persönlich­e Fähigkeit, seine Krankheit zu erkennen und einzuordne­n. „Bis zu seiner Tat hatte er nicht die profession­elle Hilfe, die er braucht“, sagte die Anwältin. Nun sei die Bereitscha­ft zu erkennen, etwas zu tun. Die Anordnung zur Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Einrichtun­g müsse einmal jährlich überprüft werden, erklärte Alina Popp im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Wird dabei eine Besserung des Patienten festgestel­lt, könne die Unterbring­ung auch zur Bewährung ausgesetzt werden.

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FOTO: SCHICK Das Landgerich­t hat eine Entscheidu­ng im Ehinger Gartenhack­en-Fall getroffen.

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