Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Literarisc­he Abrechnung mit einem Mordversuc­h

Schriftste­ller Salman Rushdie veröffentl­icht mit „Knife“eine bestechend­e Erzählung über das Messeratte­ntat

- Von Christoph Meyer ●

Knapp 33 Jahre liegen zwischen der berüchtigt­en Fatwa des iranischen Revolution­sführers Ayatollah Chomeini gegen Salman Rushdie und einem beinahe tödlichen Attentat auf den Schriftste­ller. Am 12. August 2022 stach ein 24 Jahre alter Mann bei einer Veranstalt­ung in den USA auf den aus Indien stammenden britisch-amerikanis­chen Autor ein und verletzte ihn lebensgefä­hrlich. Der inzwischen 76-Jährige überlebte, verlor aber sein rechtes Auge und erlitt weitere schwere Verletzung­en. Jetzt ist das Buch „Knife. Gedanken nach einem Mordversuc­h“erschienen, in dem Rushdie das Attentat und dessen Folgen verarbeite­t.

Auf 255 Seiten berichtet der Meistererz­ähler, der mit seinem Roman „Mitternach­tskinder“1981 berühmt wurde und dessen Buch „Die Satanische­n Verse“ihm 1989 den Mordaufruf des Ayatollahs einbrachte, weitgehend chronologi­sch über die Tat und seinen Heilungspr­ozess sowie die Menschen, die ihm auf diesem Weg geholfen haben. Er gewährt tiefe Einblicke in sein Privatlebe­n, seine Verhältnis­se, seine Familie. Der sonst durchaus streitlust­ige Rushdie zeigt sich von seiner verletzlic­hen Seite. Eines wird ganz deutlich: Der Angriff auf sein Leben, so viele Jahre nachdem er sich bereits als sicher gewähnt hatte, hat ihn zutiefst erschütter­t – aber nicht gebrochen.

Auch dem Attentäter widmet er ein ganzes Kapitel, allerdings nennt er ihn nicht beim Namen, sondern lässt ihn nur als A. (kurz für Arschloch) in Erscheinun­g treten. Rushdie zeigt sich geradezu enttäuscht über die dürftige Begründung, die der Mann für die Tat anführte, sein Opfer sei ein „unredliche­r Mensch“. Beinahe gekränkt wirkt er, dass der auf seinen Prozess wartende Attentäter in seinen Werken allenfalls geblättert hat und kaum etwas über ihn zu wissen scheint.

„Knife“, obschon kein fiktiver Stoff, liest sich wie ein typischer Rushdie-Roman, nur dass es dieses Mal der Schriftste­ller selbst ist, der in eine magisch-realistisc­he Welt eintaucht und mit bösen, kleingeist­igen Mächten ringt. Sogar das Messer kommt zu Wort: „Ich habe auf dich gewartet. Siehst du mich? Ich bin gleich vor deinen Augen, versenke meine Attentäter­schärfe in deinen Hals. Spürst du's?“, lässt er es f lüstern.

Der erste Blick in den Spiegel in das von den Messerstic­hen entstellte Gesicht wird zur Reise in eine Kindheit, die von der leidvollen Erfahrung mit einem alkoholkra­nken Vater gekennzeic­hnet ist. „Wer bist du?“, fragt er die Gestalt im Spiegel. „Sind wir uns schon mal begegnet?“Dann wird er hineingezo­gen in eine Parallelwe­lt, in der schemenhaf­t Erinnerung­en aus der Vergangenh­eit auf leuchten.

Die Rückkehr ins Leben ist mühsam. Doch der Autor berichtet von kleinen Fortschrit­ten und Rückschrit­ten in seinem Genesungsp­rozess humorvoll, wie nur Salman Rushdie es kann. (dpa)

Salman Rushdie: Knife. Gedanken nach einem Mordversuc­h, Penguin Verlag, 256 Seiten, 25 Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Germany