Immer mehr Gewalt auf offener Straße
Kriminalitätsrate steigt in Ulm um fünf Prozent an – Viele psychisch auffällige Straftäter
- Mehr psychisch auffällige Straftäter, mehr Gewalt auf offener Straße und mehr ausländische Täter: Die Kriminalitätsfälle in Ulm sind im vergangenen Jahr um rund fünf Prozent gestiegen. Dazu zählen aber nicht nur die Gewalttaten, die in Ulm und der Region 2023 für große Betroffenheit sorgten. Auch die Staatsanwaltschaft Ulm beschäftigt der Anstieg. An manchen Punkten spricht sie gar von einer Trendwende.
Seit Jahren war die Kriminalität in ganz Deutschland, aber auch speziell in Ulm, gesunken. Doch laut den neuesten Statistiken der Staatsanwaltschaft Ulm dreht sich dieses Bild aktuell um. „Für den Zeitraum 2022/2023 müssen wir hier feststellen, dass eine Trendwende eingesetzt hat“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Christof Lehr im Rahmen der Jahrespressekonferenz. „Ein Anstieg von fünf Prozent in einem Jahr ist eine Zahl, die uns zu denken gibt“, so Lehr später weiter.
Bei den Gewalttaten beobachtete die Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr eine Auffälligkeit. „Die Gewaltkriminalität verlagert sich aus dem sozialen Nahbereich in den öffentlichen Bereich“, erklärte Lehr. Also weg von zu Hause, raus auf die Straße.
Immer häufiger kommen bei Auseinandersetzungen Gegenstände wie Messer oder gar abgebrochene Glasflaschen zum Einsatz. Lehr erinnerte zudem an einen Fall in Ulm, bei dem ein unbeteiligter 17-Jähriger von einem anderen Mann mit einer abgebrochenen Glasflasche in den Hals gestochen wurde. Seine Halsschlagader wurde dabei vollständig durchtrennt. Der junge Mann erlitt nach der Attacke einen Schlaganfall und trug schwere, bleibende Gehirnschäden davon. Dass wie hier Unbeteiligte zu Schaden kommen, ist laut Lehr nach wie vor die Ausnahme. Die Fälle aus dem Vorjahr haben allerdings gezeigt, dass die Gefahr auch in Ulm bestehe.
Vor allem der Bereich rund um den Ulmer Hauptbahnhof sei in jüngster Vergangenheit immer mehr zu einem Kriminalitätsschwerpunkt geworden. Dort komme es zudem nach wie vor regelmäßig zu Raub- und Betäubungsmitteldelikten. Laut Lehr kommen die Täter häufig von außerhalb nach Ulm, halten sich in Bahnhofsnähe auf und begehen auch hier Straftaten. Danach reisen sie wieder ab.
„Wir müssen aber auch feststellen, dass die Kriminalität unter Ausländern deutlich zugenommen hat“– gerade im Bereich der Gewaltkriminalität, erklärte Lehr. „Ich will das gar nicht bewerten, aber das müssen wir einfach feststellen.“Die Statistik zeigt: Auch die Zahl der illegalen Einwanderungen ist jüngst stark angestiegen. Im vergangenen Jahr handelte es sich um 828 Fälle, zwei Jahre zuvor waren es weniger als halb so viele (401). 2023 bleibt damit knapp hinter dem Höchststand von 2015 (910 Fälle). Ukrainische Gef lüchtete zählen nicht in diese Statistik hinein, betonte Lehr. Diese reisen in der Regel legal nach Deutschland ein.
Den Großteil der knapp 25.000 im Vorjahr registrierten Straftaten in Ulm und Umgebung machen derweil Betrug und Untreue (20,5 Prozent), Verkehrsstrafsachen (18,7 Prozent) und vorsätzliche Körperverletzung (10,8 Prozent) aus.
Fälle von Körperverletzung seien in den vergangenen 20 Jahren aber stark angestiegen, gar um 50 Prozent, wie Christof Lehr erklärte. 2023 verzeichnete die Staatsanwaltschaft Ulm hierbei 2693 Fälle – ein Höchstwert der vergangenen zwei Jahrzehnte. „Der Trend ist eindeutig. Die Gewaltbereitschaft nimmt zu“, so Lehr weiter.
„Gerade im Gewaltbereich sehen wir eine deutliche Zunahme von Tätern mit psychischer Vorbelastung“, erklärte Lehr. Das zeigte auch sein Kollege Michael Bischofberger auf, der einige „besondere Fälle“der Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr vorstellte.
Er erinnerte unter anderem an den 40-jährigen Mann, der an Ostern vor einem Jahr seine siebenjährige Tochter im Ulmer Stadtteil Wiblingen beim vermeintlichen „Indianerspielen“tötete. Aufgrund einer schizophrenen Psychose galt der Mann später als schuldunfähig. In Staig (Alb-Donau-Kreis) war im Juni 2023 ein 44-jähriger Mann davon überzeugt, dass seine pflegebedürftige Mutter vom Teufel besessen gewesen sei. Im Wahn schlug der Sohn brutal auf die Seniorin ein – „um sie zu befreien“, wie er damals vor Gericht betonte. Die Frau trug dabei mehrere Knochenbrüche im Gesicht davon. Auch dieser Täter galt wegen seiner Erkrankung als schuldunfähig. Für beide Männer ordnete das Gericht die Unterbringung in einer Psychiatrie an.
Auch Drogen und Alkohol spielen laut Lehr immer häufiger eine Rolle. So auch im September vergangenen Jahres, als ein 44Jähriger nach einem „Trinkgelage“in einer Ulmer Schrebergartensiedlung unter massivem Alkoholeinfluss derart auf einen anderen Mann einprügelte, dass dieser an seinen Verletzungen starb.
„Für eine Staatsanwaltschaft der Größe und des Regionalcharakters wie Ulm sind sechs vollendete Tötungsdelikte ein Jahr, in dem zu viel passiert ist“, fasste auch Michael Bischofberger zusammen.