Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Vermächtni­s-Spiel des Augenöffne­rs

Bayern-Trainer Tuchel will mit Sieg gegen Arsenal sein Soll erfüllen – Nagelsmann im Nacken

- Von Patrick Strasser

- Müssen? Weiterkomm­en müssen? Thomas Tuchel zögerte, nachdem der Reporter diese Formulieru­ng in seine Frage gepackt hatte. „Müssen“, sagte der Bayern-Trainer auf der Pressekonf­erenz in der Allianz Arena vor sich hin, „puh, das ist das falsche Wort. Es ignoriert den Fakt, dass wir gegen Arsenal spielen. Es ist ein 50:50-Spiel. Wir fühlen uns bereit.“Für den Showdown der Saison, das Viertelfin­al-Rückspiel (21 Uhr/DAZN) gegen den Tabellenzw­eiten der Premier League.

Nach dem starken 2:2 in London forderte Tuchel von seiner Mannschaft: „Wir brauchen wieder alles: Die gleiche Hingabe, Leidenscha­ft und taktische Disziplin wie im Hinspiel – vielleicht sogar noch einen Tick mehr.“Der 50Jährige mobilisier­te die BayernFans als 12. Mann. „Wir müssen an die Grenze gehen und brauchen jeden Zuschauer, der bereit ist mit uns zu kämpfen“, sagte Tuchel und betonte auch an anderer Stelle noch einmal: „Wir brauchen diese Unterstütz­ung, um die Extraproze­nte geben zu können, um gegen Arsenal gewinnen zu können – gerade in unserer Personalsi­tuation.“Es fehlen die verletzten Flügelstür­mer Serge Gnabry und Kingsley Coman sowie der gesperrte Alphonso Davies, der auf der linken Abwehrseit­e wohl von Raphael Guerreiro ersetzt wird. Kapitän Manuel Neuer kehrt ins Tor zurück. „Auch Leroy Sané kann spielen“, sagte Tuchel, „und muss auf die Zähne beißen so lange es nur irgendwie geht.“Beim 2:0 gegen Köln hatte Sané wegen seiner Schambeinp­robleme eine Pause bekommen.

„Am Mittwoch wird es in München knistern. Diese Abende, dieser Druck, diese besondere Stimmung in der Allianz Arena – ich freu mich drauf“, hatte Thomas Müller auf LinkedIn geschriebe­n, während Mittelstür­mer Harry Kane bekräftigt­e: „Wir haben eine große Möglichkei­t, die Saison am Leben zu erhalten.“Dabei geht es

auch um des Trainers Vermächtni­s. Denn parallel zum Saisonends­purt läuft die Trainersuc­he. Sky berichtete von „fortgeschr­ittenen Gesprächen“mit Ex-Coach Julian Nagelsmann, der einen Drei- oder Vierjahres­vertrag erhalten soll. Falls er sich nicht doch für die Fortführun­g seines Bundestrai­ner-Jobs entscheide­t. Der DFB kämpft, will Nagelsmann bis zur WM 2026 binden.

Was Tuchel einerlei sein kann. Mit einem Weiterkomm­en gegen Arsenal hätte er trotz verpatzter nationaler Ziele internatio­nal das Soll erfüllt oder sogar übererfüll­t. Denn der erste Halbfinal-Einzug seit dem Triple-Triumph 2020 wäre ein dickes Ausrufezei­chen – gewachsen auf Tuchels Mist. In einem Halbfinal-Duell mit Titelverte­idiger Manchester City oder Königsklas­sen-Rekordcham­pion Real Madrid (Hinspiel 3:3) könnte Bayern als Underdog nur gewinnen. Gelänge Tuchel tatsächlic­h der Vorstoß ins Finale, würde er

nicht als „lame duck“, sondern eher als „Dagobert Duck“in die Vereinsges­chichte eingehen. Reich, weil voller (spätem) Lob und Anerkennun­g. Zudem als derjenige, der dem Verein nicht eingeplant­e Extra-Prämien der UEFA bescheren würde.

Fliegt Bayern raus, trudeln die Saison und Tuchels Abschied recht inhaltslee­r dem Ende entgegen. Platz zwei oder nicht im Duell mit dem VfB Stuttgart? Nun ja. Interessan­ter würde dann das Miteinande­r an der Säbener Straße werden, zwischen den Bossen und dem scheidende­n Coach sowie zwischen Tuchel und der Mannschaft. Pikante Interna sowie der ein oder andere Charakterz­ug dürften sich offenbaren.

So oder so wird Tuchel, ob sein letztes Spiel am Pfingstsam­stag in Hoffenheim (34. Spieltag) oder am 1. Juni in Wembley stattfinde­t, etwas hinterlass­en. Er geht als Augenöffne­r. Als einer, der unangenehm­e Wahrheiten ausgesproc­hen

hat mit seiner ungefilter­ten Kader-Analyse. Mit der Erkenntnis, dass eine Achse fehle bzw. die bestehende (deutsche) Achse aus seiner Sicht nicht mehr konkurrenz­fähig sei auf höchstem Niveau. Das Manko des Augenöffne­rs: Er hat so manches zu radikal, zu ehrlich und unvorsicht­ig moderiert. Für manche im Verein war und ist Tuchel daher der Buhmann, womöglich jedoch dürften ihm einige Herren in der Retrospekt­ive noch dankbar sein für seine Offenheit.

Die Schlussfol­gerung daraus muss dann Tuchels Nachfolger moderieren und personell umsetzen. Ein leichtes, weil der Nachfolger mit Nagelsmann auch der Vorgänger sein wird? Mitnichten! „Aufgewärmt ist nur Gulasch gut“, sagt der Volksmund. Allerdings stehen die Beispiele der Trainer Udo Lattek, Ottmar Hitzfeld und Jupp Heynckes beim FC Bayern für ein erfolgreic­hes „Auf ein Neues!“

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FOTO: DENNIS EWERT/IMAGO Das Rückspiel gegen Arsenal dürfte über die Wahrnehmun­g der Arbeit Thomas Tuchels entscheide­n.

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