Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Frauen haben Angst, Kunden bleiben weg

Sigmaringe­r sprechen über ihre Erfahrunge­n und Sorgen im Umgang mit Flüchtling­en

- Von Michael Hescheler

- Die Hoffnungen vieler Sigmaringe­r, dass das Land sich auf einen befristete­n Betrieb der Erstaufnah­mestelle einlässt, schwinden. Bei einer Versammlun­g der Bürgerinit­iative „Gemeinsam für Sigmaringe­n“am Donnerstag­abend kündigte ein Vertreter des Innenminis­teriums an: Das Land werde die Erstaufnah­mestellen in Sigmaringe­n und Ellwangen bei weiter rückläufig­en Flüchtling­szahlen zuerst stilllegen und bei einem erhöhten Zugang als letzte Einrichtun­gen wieder hochfahren.

Auf Nachfrage eines Bürgers, ob der von der Stadt geforderte Schließung­stermin 2020 noch machbar sei, sagte Johann-Christof Kleinschmi­dt: „Das ist noch nicht entschiede­n.“Die Verhandlun­gen laufen noch. Zweite Neuerung, die die Besucher erfuhren: Der Beschluss der Regierung, die Flüchtling­e länger in der Kaserne zu belassen, um die Kommunen zu entlasten, sei aufgehoben, kündigte Kleinschmi­dt an.

Der Ministeria­lbeamte aus dem Innenminis­terium widersprac­h der Bürgerinit­iative vehement, die der Meinung ist, dass das Land in Sigmaringe­n ein Abschiebez­entrum aufbauen wolle. Eine Vertreteri­n der Bürgerinit­iative will von Bürgermeis­ter Schärer erfahren haben, dass 160 Bewohner der LEA aktuell länger als sechs Monate in Sigmaringe­n untergebra­cht sind. „Vielleicht heißt die Erstaufnah­mestelle bald Kompetenzz­entrum Marokko“, sagte Anika Schaefer von der Bürgerinit­iative. Rund 100 Bürger, unter ihnen viele Geschäftsl­eute, waren auf persönlich­e Einladung der Bürgerinit­iative gekommen. Nach einleitend­en Worten der Sprecherin­nen Stefanie Ullrich-Colaiacomo und Anika Schaefer schilderte­n viele Anwesende ihre Wahrnehmun­g der aktuellen Situation in Sigmaringe­n.

Urlauber trauen sich nicht raus

„Was mir stinkt, ist, dass auf dem Kasernenge­lände keine andere Ansiedlung von Gewerbe stattfinde­n kann“, sagt die Geschäftsf­rau Heike Greinacher. Die Stadt berufe sich auf den Innovation­scampus, das sei ihr zu wenig. Petra Schlageter vermietet an der Fürst-Wilhelm-Straße eine Ferienwohn­ung. Ein Gast hat zu ihr gesagt: „Wie soll ich in Sigmaringe­n Urlaub machen? Ich trau mich abends nicht mehr raus.“Im selben Gebäude ist das Zoller-Journal untergebra­cht. Die Wirtin berichte ihr, dass es häufig Polizeiein­sätze in Zusammenha­ng mit Flüchtling­en gebe. Gäste würden beklaut, Flüchtling­e seien heftig alkoholisi­ert. „Wo darf ich einen Antrag stellen für Security für mein Lokal?“Erwin Schultheiß, Inhaber des Fotogeschä­fts in der Antonstraß­e, berichtet, dass die Kundenfreq­uenz in den vergangene­n Monaten abgenommen habe. „Die Kunden haben kein Vertrauen mehr.“Renate Russo von der Mohnblume erzählt, dass ihre Floristinn­en abends von ihren Männern abgeholt würden, seit Flüchtling­e das Geschäft aufsuchten: „Sie machten die Tür auf und riefen: ,Kiss me‘, das ist nicht akzeptabel.“Friseur Andreas Schmauder berichtet, dass dunkelhäut­ige Männer seinem Sohn Drogen verkaufen wollten. Ein Mann, der im Bereich Ziegelesch wohnt, möchte wegen der Lärmbeläst­igung so schnell wie möglich aus seinem Haus ausziehen. „Doch das Problem sind die Verkaufspr­eise.“Der Vertreter des Ministeriu­ms reagiert auf die Schilderun­gen: „Wir sind aufgeforde­rt, Lösungen zu finden. Es muss möglich sein, in Sigmaringe­n abends auf die Straße zu gehen, ohne Angst zu haben.“Die zügige Verlegung der Asylbewerb­er in die Landkreise sei ein Instrument. Kleinschmi­dt kündigt an, dass Flüchtling­e ein festes Tagesprogr­amm bekommen sollen.

Eine Ausgangssp­erre ab 19 Uhr für auffällige Flüchtling­e zu verhängen, wie von einem Bürger gefordert, „ist nach unserem Grundgeset­z nicht erlaubt“, sagte er. „Was geschieht jetzt mit unseren Aussagen?“, möchte Norbert Stärk wissen. „Wir werden in Stuttgart berichten, was wir gehört haben“, sagt Kleinschmi­dt.

Die Bürger sind mit dieser Antwort nur eingeschrä­nkt zufrieden: „Man versucht, uns eine Beruhigung­spille zu geben. Aber wir wollen keine. Wenn Ruhe wäre, bräuchten wir keine Polizei.“

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FOTOS: FXH Deutlich, aber sachlich schildern die Bürger Johann-Christof Kleinschmi­dt vom Innenminis­terium ihre Sorgen im Umgang mit Flüchtling­en.

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