Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Eine blühende Stadt erhöht die Lebensqualität“
Tilmann Stottele im Interview mit der SZ über das Häfler Obstwiesenprogramm
- Bei der Fachtagung „Wie werden wir zur insektenfreundlichen Kommune“der Bodensee-Stiftung haben sich Vertreter der Umweltverbände und Gemeinden aus Baden-Württemberg, Bayern, Österreich, Schweiz und Liechtenstein im Graf-Zeppelin-Haus getroffen. Beim Informationsaustausch stellte Friedrichshafen ein Obstwiesenprogramm zur Förderung der Artenvielfalt in der Landwirtschaft vor. Janine Napirca sprach mit Tilmann Stottele, Leiter der Umweltabteilung, über das Obstwiesenprogramm, das auf die Wiesenflächen unter den Streuobstbäumen erweitert wurde.
Herr Stottele, auf der Fachtagung ging es um das Projekt „Blühendes Bodenseeland“. Damit wird die internationale Zusammenarbeit ausgebaut, um die Artenvielfalt zu erhalten und zu fördern. Welche Arten sind besonders gefährdet?
Insgesamt kann man von einem Rückgang aller Artengruppen sprechen. So hat die Insektenvielfalt stark nachgelassen, insbesondere Bienen und Wildbienen und Tagund Nachtfalter. Aber auch der Bestand an Käfern, Heuschrecken und Vögel ist zurückgegangen.
Ein Beitrag der Stadt ist das „Häfler Obstwiesenprogramm“. Was war der Anlass, vor fünf Jahren, das Programm aufzulegen?
Früher wurden Streuobstwiesen traditionell landwirtschaftlich genutzt: Die Wiesen wurden beweidet, das Obst der Bäume verarbeitet und aus dem Holz hat man Möbel hergestellt. Durch moderne Intensiv-Obstplantagen, die ertragsreicher sind, haben viele Landwirte ihre alten Bäume einfach stehen gelassen. Auch gibt es im Stadtgebiet kaum noch Viehhaltung, sodass die Obstwiesen brach fallen, da sie keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr haben. Durch die mangelnde Pflege verwachsen die Baumkronen und Mis- teln vermehren sich. Man spricht davon, dass die Bäume vergreisen. Im schlimmsten Fall sterben sie ab, die Obsthochstämme fallen um, werden abgeholzt. Sie verschwinden so nach und nach aus dem Landschaftsbild.
Wie verhindert das Programm diese Entwicklung?
Zum einen bezuschussen wir die Pflege und Pflanzung von Obsthochstämmen, zum anderen fördern wir die extensive Grünlandnutzung und Maßnahmen zur biologischen Vielfalt. Wir unterstützen Landwirte finanziell, wenn sie die Maßnahmen selbst durchführen, vermitteln aber auch Obstbaumfachwarte, die kundig beraten oder die Pflege für den Landwirt übernehmen.
Wie erfolgreich sind Sie?
Im Jahr 2000 gab es im Stadtgebiet Friedrichshafen einschließlich der Ortschaften noch 200 Hektar Hochstammwiesen, 15 Jahre später waren es 60 Hektar weniger. Mithilfe des Obstwiesenprogramms haben wir in den letzten fünf Jahren wieder 20 Hektar in die Pflege bekommen. Bei der Rettung der biologischen Vielfalt befinden wir uns jedoch noch im Anfangsstadium.
Was ist neu in dem Programm?
Neben der Obsthochstammpflege kümmern wir uns inzwischen auch um die Wiesen unter den Bäumen. Diese sind entscheidend für die Vielfalt der vorkommenden Pflanzenund Tierarten. So wollen wir Wiesenblumen wie Margeriten und Wiesensalbei erhalten oder wieder ansiedeln. Dafür stellen wir Saatgut zur Verfügung. Neben der Ansaat von Blühstreifen wird auch die Anlage von Hecken, Kleingewässern und Insektenhotels bezuschusst. Die Fördersätze für die Pflege der Obsthochstämme wurden verdoppelt. Wir geben verstärkt Anreize, nachgepflanzte Jungbäume gesund heranzuziehen und zum Beispiel vor Wühlmäusen zu schützen.
Wen unterstützt das Programm?
Privateigner von Hochstamm-Obstwiesen, Landwirte und Pächter. Aber auch Gartenbesitzer können zur Erhaltung der Natur beitragen. Der Blumenschmuckwettbewerb wird diese Jahr um das Thema Naturgärten erweitert, um die Insektenund die Vogelvielfalt zu fördern. Zum Auftakt präsentieren wir eine Häfler Blühmischung aus Wildblumensamen, die wir allen zur Verfügung stellen, die in ihren Gärten Platz für Wildbienen und Schmetterlinge anbieten. Eine blühende Stadt erhöht die Lebensqualität.
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