Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Unvergesse­ne

Heute vor 100 Jahren wurde der 1963 erschossen­e ehemalige US-Präsident John F. Kennedy geboren

- Von Frank Herrmann

- Es ist nur ein Haus, aber es ist auch eine Pilgerstät­te. Drei Stockwerke, rote Backsteinf­assade, Fensterläd­en in irischem Grün. Davor stehen Wallfahrer, die sich nicht ganz sicher sind, ob die Angaben in den Kennedy-Broschüren stimmen. Zumal die Villa nebenan, zwei steinerne Löwen vor dem Eingang, viel mehr hermacht als das von außen eher schlichte Domizil mit der Adresse 3307 N Street NW.

Stimmt alles, hier lebten John und Jacqueline Kennedy, bevor sie am 20. Januar 1961 ins Weiße Haus umzogen. Ein Stück die stille Straße im Stadtteil Georgetown hinunter liegt die Kneipe Martin’s Tavern, eine unverzicht­bare Station auf dem Weg der Kennedy-Pilger. An einem Tisch am Fenster soll Jack, wie Amerikaner Leute mit dem Vornamen John gern nennen, der gerade aus London zurückgeke­hrten Reporterin Jacqueline Lee Bouvier einen Heiratsant­rag gemacht haben, am 24. Juni 1953. Drei Wochen zuvor war Elizabeth II. zur britischen Königin gekrönt worden, Jackie hatte für den „Washington Times Herald“darüber berichtet.

Im Januar 1961, auch das gehört zum Legendensc­hatz in Martin’s Tavern, soll Jack in seinem Stammlokal den ersten Entwurf der Rede geschriebe­n haben, die er zur Amtseinfüh­rung halten wollte. Auf gelbem, liniertem Papier, wie es in den USA Anwälte verwenden, um Notizen zu machen. „Ich bin ein Idealist ohne Illusionen“, soll er der jungen Frau Bouvier übrigens, irgendwann bei einem Rendezvous, gesagt haben, als die ihn fragte, wie er sich definiere.

John F. Kennedy wäre heute hundert Jahre alt geworden. Das salomonisc­he Alter passt nicht recht zum Gedenken an einen Mann, der das Image eines jugendlich­en Energiebün­dels pflegte, obwohl er in Wahrheit an einem chronische­n Rückenleid­en litt. Als Kennedy am 22. November 1963 in Dallas ermordet wurde, war er 46 und hatte noch kein graues Haar. Damit endete sein unvollende­tes Leben, so hat man ihn bis heute in Erinnerung, als wäre das Bild festgefror­en in ewigem Eis.

Der Mythos lebt

Auch das, glaubt Robert Dallek, die Kennedy-Koryphäe unter Amerikas Historiker­n, begründet die spätere Verklärung. Jedenfalls dauert es selten lange, bis das Wort Camelot fällt, wenn von JFK die Rede ist. Camelot, der Titel eines Broadway-Musicals über das romantisch­e Reich des Sagenkönig­s Artus. Keinen anderen Präsidente­n ihrer jüngeren Geschichte haben die Vereinigte­n Staaten postum derart gefeiert; vielleicht abgesehen von Ronald Reagan, den die Konservati­ven auf einen Denkmalsso­ckel stellen. Der Mythos lebt, und die Gründe dafür hat Jacks Neffe Stephen Kennedy Smith pünktlich zum Jubiläum in einem 494 Seiten dicken Buch zu ergründen versucht, „JFK: A Vision for America“.

In der Rolle des scharfsinn­igen Zeitzeugen kommt dort der PulitzerPr­eisträger Norman Mailer zu Wort. Dass Kennedy jung und schön war und seine Frau attraktiv, schrieb Mailer in einem vor 54 Jahren gedruckten Essay, „waren keine nebensächl­ichen, zufälligen Details, sondern neue, wichtige politische Tatsachen“. Amerika sei nun mal ein Land der Individual­isten und schon deshalb auf der ständigen Suche nach Helden, die, wenn es sein müsse, das Ruder in einem Kraftakt herumreiße­n könnten. Nirgendwo sonst werde die aufkläreri­sche Erzählung der Renaissanc­e, wonach in jedem Menschen das Potential des Außergewöh­nlichen schlummert, leidenscha­ftlicher gepflegt. „Und Kennedy war ein Held, wie ihn Amerika brauchte, passend zu seiner Zeit.“

Geboren am 29. Mai 1917 in Brookline, einem Villenvoro­rt Bostons, war John Fitzgerald Kennedy der zweite Sohn einer Familie mit neun Kindern. Sein Vater Joseph scheffelte an der Börse ein großes Vermögen. Vor Ehrgeiz brennend, nutzte er Geld und Einfluss, um für seine Söhne Türen in der Politik aufzustoße­n. Joe junior, der Älteste, dem er am meisten zutraute, stürzte im Zweiten Weltkrieg in einem Militärflu­gzeug über dem Ärmelkanal ab. An seiner Stelle machte der Zweitgebor­ene Karriere, John F., lange belächelt als dandyhafte­r Schürzenjä­ger. 1960 gewann er das Präsidents­chaftsvotu­m, der erste Katholik am Schreibtis­ch des Oval Office.

Den Ausschlag gab wohl, dass er das damals noch junge Medium Fernsehen besser beherrscht­e als sein Rivale Richard Nixon. Rhetorisch setzte er Glanzpunkt­e, etwa bei seiner Inaugurati­on: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst.“Unter Kennedy entstand das Peace Corps, dessen Freiwillig­e von Belize bis Burkina Faso Entwicklun­gshilfe leisten. Und es war Kennedy, der das verwegen klingende Ziel verkündete, bis Ende der 60er-Jahre einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen.

Blamage in der Schweinebu­cht

Sein erstes weltpoliti­sches Abenteuer mündete im April 1961 in eine Blamage, als kubanische Exilanten versuchten, mit Hilfe der CIA Fidel Castro zu stürzen. Die Invasion in der Schweinebu­cht scheiterte kläglich, woraus Kennedy die Lehre zog, sich nie wieder leichtgläu­big auf seine Geheimdien­ste zu verlassen. Die hatten einen Volksaufst­and in Havanna prophezeit. Im Oktober 1962, als die Sowjetunio­n Atomrakete­n auf Kuba stationier­te und die Welt auf einen Nuklearkon­flikt zusteuerte, überstimmt­e der Präsident die Hardliner unter seinen Generälen, die für einen Angriff auf die Insel trommelten. Der Poker endete mit einem klassisch realpoliti­schen Deal: Moskau zog seine Raketen aus Kuba ab, Washington Raketenste­llungen aus der Türkei. Letzteres, darauf bestand Kennedy, musste allerdings geheim bleiben, wollte er den Falken daheim doch als Sieger des Nervenspie­ls gelten.

Gefeiert in Deutschlan­d

Im Juni 1963 hielt er vorm Rathaus Schöneberg eine umjubelte Rede, gipfelnd in den legendären Worten: „Ich bin ein Berliner.“Des Deutschen nicht mächtig, hatte Kennedy sich in Lautschrif­t auf einer Karteikart­e notiert, wie er es auszusprec­hen hatte: „Ish bin ein Bearleener.“Daraus wurde ein solcher Erfolg, dass Kennedy scherzte, er würde seinem Nachfolger jederzeit raten, in Zeiten der Entmutigun­g einfach nach Deutschlan­d zu reisen. Nach Vietnam entsandte er Tausende Militärber­ater, um die prowestlic­he Regierung des Südens zu stützen, einen Truppenein­satz in großem Stil befahl er allerdings nicht. Ob auch Kennedy, wie sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, im vietnamesi­schen Sumpf versunken wäre? Ob ihn der Krieg entzaubert hätte? Fragen, über die sich Historiker bis heute den Kopf zerbrechen.

Stephen Kennedy Smith war sechs, als sein Onkel mit einer Kinderscha­r im Golfwägelc­hen dahinraste, „so draufgänge­risch, dass er uns alle zu Tode ängstigte“. Der Neffe sitzt im Nationalar­chiv, einem jener nach römischen Vorbildern errichtete­n Säulenprac­htbauten Washington­s, die das Zentrum der Stadt wirken lassen als wäre es ein großes Freilichtm­useum. Er nimmt den Mythos unter die Lupe. Versucht die Sehnsucht zu erklären. JFK als großen Freund bissiger Ironie, bissige Selbstiron­ie inbegriffe­n. „Das Einzige, was uns überrascht­e, als wir ins Amt kamen, war, dass die Lage wirklich so schlimm ist, wie wir sie immer beschriebe­n hatten“, zitiert ihn sein Neffe.

Ein Mann mit Humor

Die Erinnerung im Auditorium des Nationalar­chivs fällt umso wehmütiger aus, weil heute einer im Weißen Haus residiert, der mit sarkastisc­hem Humor so gar nichts anzufangen weiß. Trump fühlte sich angegriffe­n von den Medien, die wahrheitsg­emäß dokumentie­rten, dass die Zuschauerz­ahl bei seiner Inaugurati­on nicht annähernd heranreich­te an jene bei Obamas Vereidigun­g im Januar 2009. Als er nicht durchkam mit seinen „alternativ­en Fakten“, wurde er wütend. Auch Kennedy hat geflunkert, wenn es um Zuschauerz­ahlen ging. Einmal, nach einer Kundgebung im Wahlkampf 1960, hat es sein Pressesekr­etär Pierre Salinger, Spitzname Plucky, diesbezügl­ich stark übertriebe­n. Kennedy schaffte die Irritation­en mit einem Witz aus der Welt. „Plucky zählt immer die Nonnen“, parierte er eine kritische Frage. „Und dann multiplizi­ert er das Ergebnis mit hundert.“

 ?? FOTO: DPA ?? Das Glück ins Gesicht geschriebe­n: US-Präsident John F. Kennedy und seine Ehefrau Jacqueline im Mai 1961 in Washington D.C. in einem Cabriolet.
FOTO: DPA Das Glück ins Gesicht geschriebe­n: US-Präsident John F. Kennedy und seine Ehefrau Jacqueline im Mai 1961 in Washington D.C. in einem Cabriolet.
 ?? FOTO: DPA ?? „Isch bin ein Berliner“: John F. Kennedy am 26. Juni 1963 während seiner legendären Rede vor dem Schöneberg­er Rathaus in Berlin.
FOTO: DPA „Isch bin ein Berliner“: John F. Kennedy am 26. Juni 1963 während seiner legendären Rede vor dem Schöneberg­er Rathaus in Berlin.
 ?? FOTO: DPA ?? Das ehemalige Wohnhaus der Kennedys in Washington.
FOTO: DPA Das ehemalige Wohnhaus der Kennedys in Washington.

Newspapers in German

Newspapers from Germany