Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ziemlich genial
Aus dem Wunderkind ist ein Virtuose mit Tiefgang geworden: Kit Armstrong begeistert beim Bodenseefestival
- Was für ein wacher Geist in einem kindlichen Körper! Kit Armstrong, heute 25jährig, ist einer der wenigen Schützlinge von Alfred Brendel. Dieser erfahrene Pianist hält Armstrong für „die größte Begabung, der ich in meinem ganzen Leben begegnet bin“. Armstrong ist ein Wunderkind – als Pianist, Komponist und Naturwissenschaftler. Er hat sich außerdem die deutsche Sprache angeeignet und moderierte seine Matinee im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen mit ebenso philosophisch-musikalischem Tiefgang, wie er die vorgestellten Werke interpretierte.
Schillernder Debussy
Für sein Programm zu „Variations on America“, dem Motto des Festivals, wählte Kit Armstrong, der 1992 in Los Angeles geborene Sohn einer Investmentbankerin aus Taiwan und eines Briten, besondere Herausforderungen: Nichts scheint dem jungen Künstler schwer zu fallen, komplizierte Partituren erschließen sich ihm auf den ersten Blick, alles erscheint wunderbar selbstverständlich. Da schillern die Stücke aus Claude Debussys „Children’s Corner“in ihrem facettenreichen Farbenspiel, entwickelt sich aus zarten Schleiern eine rauschhafte Steigerung. In tiefer Lage und aller Behaglichkeit singt er den Elefanten ein Wiegenlied, mit höchster Anschlagskunst und Differenzierung holt er Melodiestimmen, Akzente, zarte Poesie und jazzige Rhythmen aus dem Flügel.
Musik verwandter Seelen
In manchem erstaunlich nah an der Klangwelt Debussys wirken die Klavierstücke „Nature Pieces“des Amerikaners Morton Feldman. So fein tiefgründig, wie Kit Armstrong über die Natur und die Stücke Morton Feldmans spricht, holt er das Publikum hinein in diese Raum für eigene Fantasie lassenden Klänge: Aus der Reduktion entsteht größte Spannung, lange Pausen erhöhen diese nochmals, und in seiner Anschlagsund Pedalisierungskunst wird Armstrong zum Geschichtenerzähler.
Da er kein Jazzrecital machen wollte, wählte er, so Kit Armstrong, die Werke zweier Pianisten und Komponisten, die als Interpreten bekannt geworden waren und deren Kompositionen Aufschluss geben über ihr eigenes pianistisches Können.
Ihre ungewöhnlichen Biografien müssen den jungen Mann fasziniert haben: Das Leben des ungarisch-jüdischen Pianisten Ervin Nyiregyhazi, der 1914 nach Amerika auswanderte, war wohl ebenso schillernd und exzentrisch wie das von Kit Armstrong gewählte Stück „A Soldier of Fortune“. Hier wühlt der Pianist in spätromantischen, vollgriffigen, tragischen Klängen in der Nachfolge Liszts. Er gräbt sich in die Tasten, ungemein dicht und voll im Klang und doch vollkommen unangestrengt.
Brendel hatte Recht
Die Sonate von Ignacy Jan Paderewski (1860 – 1941), dem polnischen Pianisten und Politiker, scheint schließlich alles zusammenzutragen, was das 19. Jahrhundert an Ausdruck, Emotionalität und Virtuosität hervorgebracht hat. Trotzdem wirkt diese Virtuosität bei Armstrong nie oberflächlich, sondern ist erfüllt von Wärme und Klanglichkeit. Alfred Brendel hatte Recht.