Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ziemlich genial

Aus dem Wunderkind ist ein Virtuose mit Tiefgang geworden: Kit Armstrong begeistert beim Bodenseefe­stival

- Von Katharina von Glasenapp

- Was für ein wacher Geist in einem kindlichen Körper! Kit Armstrong, heute 25jährig, ist einer der wenigen Schützling­e von Alfred Brendel. Dieser erfahrene Pianist hält Armstrong für „die größte Begabung, der ich in meinem ganzen Leben begegnet bin“. Armstrong ist ein Wunderkind – als Pianist, Komponist und Naturwisse­nschaftler. Er hat sich außerdem die deutsche Sprache angeeignet und moderierte seine Matinee im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichs­hafen mit ebenso philosophi­sch-musikalisc­hem Tiefgang, wie er die vorgestell­ten Werke interpreti­erte.

Schillernd­er Debussy

Für sein Programm zu „Variations on America“, dem Motto des Festivals, wählte Kit Armstrong, der 1992 in Los Angeles geborene Sohn einer Investment­bankerin aus Taiwan und eines Briten, besondere Herausford­erungen: Nichts scheint dem jungen Künstler schwer zu fallen, komplizier­te Partituren erschließe­n sich ihm auf den ersten Blick, alles erscheint wunderbar selbstvers­tändlich. Da schillern die Stücke aus Claude Debussys „Children’s Corner“in ihrem facettenre­ichen Farbenspie­l, entwickelt sich aus zarten Schleiern eine rauschhaft­e Steigerung. In tiefer Lage und aller Behaglichk­eit singt er den Elefanten ein Wiegenlied, mit höchster Anschlagsk­unst und Differenzi­erung holt er Melodiesti­mmen, Akzente, zarte Poesie und jazzige Rhythmen aus dem Flügel.

Musik verwandter Seelen

In manchem erstaunlic­h nah an der Klangwelt Debussys wirken die Klavierstü­cke „Nature Pieces“des Amerikaner­s Morton Feldman. So fein tiefgründi­g, wie Kit Armstrong über die Natur und die Stücke Morton Feldmans spricht, holt er das Publikum hinein in diese Raum für eigene Fantasie lassenden Klänge: Aus der Reduktion entsteht größte Spannung, lange Pausen erhöhen diese nochmals, und in seiner Anschlagsu­nd Pedalisier­ungskunst wird Armstrong zum Geschichte­nerzähler.

Da er kein Jazzrecita­l machen wollte, wählte er, so Kit Armstrong, die Werke zweier Pianisten und Komponiste­n, die als Interprete­n bekannt geworden waren und deren Kompositio­nen Aufschluss geben über ihr eigenes pianistisc­hes Können.

Ihre ungewöhnli­chen Biografien müssen den jungen Mann fasziniert haben: Das Leben des ungarisch-jüdischen Pianisten Ervin Nyiregyhaz­i, der 1914 nach Amerika auswandert­e, war wohl ebenso schillernd und exzentrisc­h wie das von Kit Armstrong gewählte Stück „A Soldier of Fortune“. Hier wühlt der Pianist in spätromant­ischen, vollgriffi­gen, tragischen Klängen in der Nachfolge Liszts. Er gräbt sich in die Tasten, ungemein dicht und voll im Klang und doch vollkommen unangestre­ngt.

Brendel hatte Recht

Die Sonate von Ignacy Jan Paderewski (1860 – 1941), dem polnischen Pianisten und Politiker, scheint schließlic­h alles zusammenzu­tragen, was das 19. Jahrhunder­t an Ausdruck, Emotionali­tät und Virtuositä­t hervorgebr­acht hat. Trotzdem wirkt diese Virtuositä­t bei Armstrong nie oberflächl­ich, sondern ist erfüllt von Wärme und Klanglichk­eit. Alfred Brendel hatte Recht.

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FOTO: NEDA NAVAEE Mit neun Monaten soll er schon angefangen haben zu sprechen und zu zählen. Mit fünf Jahren begann er, Klavier zu spielen: Kit Armstrong.

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