Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kritische Blicke auf Amerika
Auf dem Literaturschiff konkurrieren die Lesenden mit der zauberhaften Seekulisse
- So ein wunderbares Sommerwetter haben die Gäste auf dem ausverkauften „Literaturschiff“, dem Salondampfer Hohentwiel, beim Bodenseefestival schon lange nicht mehr erlebt. Eva Menasse, Milena Moser und Klaus Modick boten am Freitagabend ein herausragendes Literaturerlebnis, bei dem die Begegnung mit Amerika und Amerikanern im Mittelpunkt stand und die Autoren gegen die zauberhafte Landschaftskulisse ankämpfen mussten. Wobei offen blieb, wer letztlich den Sieg davontrug.
Die seit Langem in Berlin lebende Wiener Schriftstellerin Eva Menasse, erst vor Kurzem Gast bei der SWR-Bestenliste live im Kiesel, las, ja spielte Ausschnitte aus zwei Erzählungen ihres fast noch druckfrischen Erzählbandes mit dem ungewöhnlichen Titel „Tiere für Fortgeschrittene“. Jeder der Erzählungen aus gutbürgerlichem Milieu ist eine kuriose Tiermeldung vorangestellt, die nur auf symbolische Art und Weise einen Bezug zur fiktiven Geschichte hat. Eva Menasse interpretiert beim Lesen ihren Text mit sichtlichem Spaß an der Darstellung. Da wird nicht allein das Gesicht zur Bühne, die ganze Person lebt in der Erzählung. In wenigen Sätzen erfüllt Menasse ihre Personen mit Leben und fasziniert. Eine unbestechliche Beobachterin familiärer Dramen wird sie genannt.
Opfer des Gesundheitswesens
Ein Drama ganz anderer Art beschreibt die Schweizerin Milena Moser in ihrem autobiografischen Bericht „Hinter diesen blauen Bergen“. Ihr Lebensgefährte, ein mexikanischer Indianer und in New Mexico ein bekannter Künstler, kommt nach einem schweren Schlaganfall in die
Die Autoren des Literaturschiffs 2017 – Eva Menasse, Klaus Modick und Milena Moser (von links) – im Hafen, links außen Franz Hoben vom Kulturbüro Friedrichshafen.
Notaufnahme einer Klinik in San Francisco und wird Opfer des amerikanischen Gesundheitswesens, weil das Personal ihn seiner Hautfarbe und seines Sprachverlusts wegen für einen wohnsitzlosen Trinker hält und trotz Mosers Richtigstellung nicht zu dringend gebotenem Handeln zu bringen ist: „Keine postapokalyptische Fantasie, aber unendliche Hilflosigkeit.“Ein Blick in das andere Amerika – der Kontrast zum traumhaften Ambiente auf dem Bodensee könnte nicht härter sein und ist für die Autorin nur mit Sarkasmus zu bewältigen. Offen bleibt, ob ihr in wenigen Tagen die Wiedereinreise in die USA, wo sie ein eigenes Häuschen gekauft hat, gestattet wird: „Ich hab’ komplett aufgegeben, Pläne zu machen, ich lebe von Tag zu Tag...“
Um die Begegnung eines idealtypischen Emigranten mit dem berühmten, ebenfalls emigrierten Schriftsteller Carl Zuckmayer ging es in der Passage, die Klaus Modick aus seinem Roman „Die Schatten der Ideen“las. Modick, ein großartiger Erzähler, beschreibt hier Zuckmayer, der dem Terror des Dritten Reichs entflohen ist, aber auf seiner Farm sehr darunter leidet, nicht mehr seiner Berufung als Schriftsteller nachkommen und allenfalls für die Schublade schreiben zu können. Die fiktive Episode bietet faszinierende Einblicke in den Alltag der im Exil lebenden Künstler, die nicht wissen, wie es nach dem Krieg mit Deutschland weitergehen soll.
Auch dieser Abend bot eine facettenreiche literarische Annäherung an das Phänomen Amerika.