Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Rekordverd­ächtige Schäferstu­nden

Siebenkämp­ferin Carolin Schäfer kämpft sich in Götzis an die Weltspitze

- Von Jürgen Schattmann Der dritte Versuch saß: Carolin Schäfer beim Weitsprung während ihres Siebenkamp­fes in Götzis.

– Als Carolin Schäfer am Sonntagmit­tag in der Bruthitze Vorarlberg­s zum dritten Mal Richtung Weitsprung­grube steppte, stand der Siebenkamp­f ihres Lebens noch einmal kurz auf der Kippe. Zwei ungültige Versuche hatte die 25-jährige Polizeikom­missarin aus Bad Wildungen fabriziert, aber an einen Sicherheit­ssprung verschwend­ete sie offenbar keine Gedanken. „Da gab’s nur eins: Arsch sein oder König“, sagte sie später. Schäfer wollte die Königin sein. Beschwingt nahm sie Anlauf, traf das Brett punktgenau, landete kraftvoll bei 6,57 Metern und hatte damit auch ihren Weitsprung­rekord um 26 Zentimeter verbessert.

Es war nur eine von 31 Schäferstu­nden im österreich­ischen Mehrkampfm­ekka seit Samstagmor­gen. In gleich vier der sieben Diszipline­n steigerte die Olympiafün­fte ihre Bestleistu­ngen, am Ende kam sie auf famose 6836 Punkte, 289 mehr als vor zwei Jahren in Götzis. Es war der beste Mehrkampf einer Deutschen seit Sabine Braun, die vor 25 Jahren an gleicher Stelle 6985 Zähler, damals Europareko­rd, gesammelt hatte. Normalerwe­ise reicht das für eine Siebenkämp­ferin zum Sieg, nicht aber in Götzis, wo Athleten bei blendenden Bedingunge­n gerne mal gegenseiti­g ihre neuesten Grenzen ausloten. Und vor allem nicht, wenn ein Naturtalen­t wie Nafissatou Thiam am Start ist. Die 22 Jahre junge Olympiasie­gerin aus Belgien schaffte mit 7013 Zählern, 203 mehr als in Rio, die beste Leistung weltweit seit zehn Jahren – mit 1,98 Metern im Hochsprung stellte sie einen Weltrekord innerhalb eines Mehrkampfs auf, zudem warf sie mit 59,32 Metern Landesreko­rd im Speerwurf. Vor jener sechsten Disziplin waren Schäfer und Thiam noch exakt gleichauf gelegen, danach hatte die Belgierin 200 Zähler Vorsprung, die sie im finalen 800-Meter-Lauf natürlich nicht mehr abgab.

Thiam, die mit 1,84 Metern Größe und 68 Kilo Gewicht formidable Maße für eine Mehrkämpfe­rin hat, scheiterte nur knapp am Europareko­rd der Schwedin Carolina Klüft (7032) und könnte nach der Ära der Britin Jessica Ennis-Hill und der Kanadierin Brianne Theison-Eaton, die nach Rio ihre Karriere beendeten, gleich die nächste einläuten.

Carolin Schäfer, die mit 1,78 Metern (bei 64 Kilogramm) ebenfalls Gardemaß hat, dürfte ihre Herrschaft aber bereits im August in London wieder anfechten. Dann peilt sie ihre erste WM-Medaille an. „Ich bin jetzt auf der Landkarte, keiner kann mich mehr ignorieren“, sagte die Hessin, die unter Heimtraine­r Jürgen Sammert in Frankfurt zur Weltklasse­athletin reifte. „Wir sind ein Traumteam“, sagt Schäfer, die ihrem erkrankten Coach im Winter beistand, auf die Hallensais­on sowie auf ferne Trainingsl­ager verzichtet­e und stattdesse­n mit Sammert an ihrer Sprungkraf­t feilte. Das zahlte sich aus. Bereits beim Vierkampf in Neuwied vor 14 Tagen hatte sich Schäfers neues Level mit drei Bestleistu­ngen abgezeichn­et. In Götzis war sie dann von Beginn an „in einem Flow, den muss man nutzen, und ich hätte mir das nach dem großartige­n ersten Tag nie verziehen, wenn ich das über 800 Meter oder im Weitsprung nicht voll durchgezog­en hätte“.

Bester Wettkampf der Geschichte

Die Sätze in den Sand waren nicht zum ersten Mal eine Herausford­erung. Auch in Rio war Schäfer erst der dritte Versuch geglückt, bei der WM 2015 in Peking war sie nach drei ungültigen ausgeschie­den. Danach war Schäfer an der Werbebande zusammenge­brochen und hatte bittere Tränen vergossen, der ganze Schmerz ihres jungen Lebens kam in jenem Augenblick auf einmal hervor. Ein halbes Jahr zuvor war ihr Freund, der Volleyball-Bundesliga­spieler Dennis Hefter vom CV Mitteldeut­schland, bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er hatte eine Abkürzung über die Gleise nehmen wollen und wurde von einem Zug überfahren.

Die Trauer habe eine andere Athletin, „eine reife und starke Persönlich­keit“aus ihr gemacht, erzählte sie Sonntagabe­nd. „Ich glaube, mich kann nichts mehr umhauen. Ich habe meine Prioritäte­n im Leben neu gesetzt und weiß, es zählt nur eines: seinen Weg zu gehen und bei sich zu bleiben.“

Der Weg könnte noch lange nicht zu Ende sein, betrachtet man die Leistung von Claudia Salman-Rath. Auch Schäfers Trainingsk­ameradin glückte als Fünfter mit 6580 Punkten ein neuer Rekord – 118 mehr als bei der WM 2013 in Moskau, als sie Vierte wurde. Mit der Weltklasse­leistung von 6,86 Metern im Weitsprung und 2:05,54 Minuten über die 800 Meter verschob Salman-Rath im stolzen Alter von 31 ihre Grenzen neu – im, summiert man die Punkte der Ersten, übrigens besten Siebenkamp­f-Meeting, das die Welt je gesehen hat.

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FOTO: IMAGO

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