Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Mustangstute mit der Harry-Potter-Narbe
Beim Wettbewerb „Mustang Makeover“geht es um das Vertrauen zwischen Mensch und Tier – Häflerin ist dabei
- Tanja Riedinger aus Friedrichshafen hat einen Mustang gezähmt. Dafür hatte sie 90 Tage Zeit. Am Wochenende nimmt die 18-Jährige an „Mustang Makeover“teil, einem Wettbewerb, der in Aachen stattfindet. Die Herausforderung: das Vertrauen von Mustangs gewinnen. Die Tiere kommen aus Amerika und haben in freier Wildbahn gelebt. Insgesamt treten 15 Trainer gegeneinander an.
Naira hat eine blitzförmige Narbe auf der Stirn, wie Harry Potter. Die Mustangstute ist erst seit wenigen Monaten in Deutschland. Vorher hat sie in freier Wildbahn gelebt. In Oregon, einem US-Bundesstaat an der Pazifikküste. Weil die Landwirtschaft immer größere Flächen beansprucht, wird der Lebensraum der Mustangs immer kleiner. Es gibt eine Überpopulation. Deshalb werden die Tiere eingefangen, in Auffangstationen gebracht und vermittelt. Auf diese Situation wollen die Veranstalter von „Mustang Makeover“aufmerksam machen.
Für den Wettbewerb ist Naira nach Deutschland geflogen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie keinen Namen, sondern nur eine Nummer: TAG 3195. „Das wollte ich schnell ändern“, sagt Riedinger, die dieses Jahr ihr Abitur am Graf-Zeppelin-Gymnasium gemacht hat. Naira bedeutet übersetzt „große Augen“. Der Name geht auf eine Indianersprache zurück. „Ich fand ihn passend, weil Naira viel Geschichte in sich trägt, die sich hinter ihren Augen verbirgt“, fügt Riedinger hinzu. Niemand kennt die Geschichte der Mustangstute. Niemand weiß genau, was sie in der freien Wildbahn erlebt hat.
Riedinger ist schon lange im Reitsport aktiv. Als sie elf Jahre alt war, bekam sie von ihrer Mutter eine Andalusierstute geschenkt. Ihr Name: Estella. Mit dem Pferd ist Riedinger deutschlandweit auf Dressurshows unterwegs. Auf „Mustang Makeover“ist sie über Facebook aufmerksam geworden. Gemeinsam mit Bettina Rittler, einer Schulfreundin, bereitete sie die Bewerbung vor. Die jungen Frauen scheuten keine Mühen, erstellten eine Präsentation und drehten sogar ein Vorstellungsvideo. Riedinger überzeugte und setzte sich gegen über 100 andere Bewerber durch. Mit 18 Jahren ist sie die jüngste Teilnehmerin.
Jeden Tag geht Riedinger mit Naira spazieren, reitet aus oder trainiert mit ihr in der Halle. Auf Regelmäßigkeit kommt es an, aber einen festen Trainingsplan gibt es nicht. „Es ist wichtig, keinen Druck aufzubauen“, sagt sie. „Das führt zu nichts, außer Resignation.“Die 18-Jährige schätzt die Ehrlichkeit von Pferden: „Man kann sich nicht verstellen, das merken sie sofort. Und es ist wichtig, auf die Mimik zu achten.“Das hat Riedinger am eigenen Leib erfahren müssen.
Verletzung an der Hüfte
Ende Juni hat Naira ihre Trainerin getreten und an der Hüfte verletzt. Die Wunde musste genäht werden, aber insgesamt ist die Sache glimpflich ausgegangen. Nach dem Unfall seien Selbstzweifel aufgekommen, lässt Riedinger wissen. Sie habe zu wenig auf die Mimik der Mustangstute geachtet und zu wenig auf ihr eigenes Bauchgefühl gehört. „Aber ich habe immer an mich geglaubt und an mir gearbeitet.“Schließlich sei es gelungen, ein noch stärkeres Vertrauen zu Naira aufzubauen als vor dem Unfall. Das ist, worauf es bei „Mustang Makeover“ankommt. Die Schiedsrichter bewerten nicht nur, ob die Teilnehmer die drei Gangarten – Schritt, Trab und Galopp – beherrschen. Vor allem achten sie auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier.
„Vor zwei Jahren musste ich im Englischunterricht einen Brief über meine Zukunft schreiben“, erzählt Riedinger. Damals habe sie geschrieben, dass sie einen Mustang trainieren wolle. Ihr Wunsch ist zur Realität geworden. Wenn das Turnier vorbei ist, muss sie die Mustangstute wieder hergeben. Alle Pferde werden versteigert. Traurig ist sie nicht: „Ich habe mich von Anfang an darauf eingestellt. Aber natürlich ist es mir wichtig, dass Naira ein schönes neues Zuhause bekommt.“