Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Countdown im Radio
Liebe Kollegen vom Radio. Wir müssen reden. Eine Bekannte sagte mir, dass ihr das Berufsleben schlechtredet. So richtig glauben wollte ich das zunächst nicht, aber jetzt habe ich mal genau hingehört. Und mit Erstaunen festgestellt, dass meine Bekannte recht hat.
Am Montag zieht ihr in der Frühe über den „anstrengendsten Morgen der Woche“her und versichert den Hörern, dass ihr „mitfühlt“, ihnen „zur Seite steht“und sie durch diese „harten Stunden“begleitet. Am Mittwoch sprecht ihr vom „Bergfest“und ermuntert, noch „bis zum Freitag durchzuhalten“, weil dann endlich wieder Wochenende sei. Und am Freitagnachmittag erweckt ihr den Eindruck, als könntet ihr euch vor Freude kaum noch auf den Stühlen halten. Stündlich verkündet ihr, dass wir uns im „Endspurt in Richtung Wochenende“befänden und „der Countdown“laufe. Die Stunden am Arbeitsplatz seien gezählt.
Aber ist das Berufsleben wirklich so fürchterlich? Sicherlich gibt es den einen oder anderen, der seinen Job hasst. Aber Tatsache ist auch: Ohne den Berufsalltag wüssten wir Feierabend, Wochenende und Urlaub weniger zu schätzen. Letztlich ist die große Frage, wie ihr, liebe Kollegen vom Radio, mit der Beobachtung meiner Bekannten umgeht. Dass die Konsequenz nicht sein kann, am Montagmorgen in Jubelschreie auszubrechen, frei nach dem Motto „endlich wieder arbeiten“, versteht sich von selbst. Das würde sicherlich einigen Hörern negativ aufstoßen.