Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
In der Heimat tobt das Chaos
Omaira G. hat Angst um ihre Familie in Venezuela – Die Häflerin ermöglichte Landsleuten die Teilnahme an der Volksabstimmung im Juli
FRIEDRICHSHAFEN - Vor acht Jahren ist Omaira G. das letzte Mal in ihr Heimatland gereist. Ihre Familie dort zu besuchen, traut sie sich heute nicht mehr. Denn ihre Heimatstadt Caracas, die Hauptstadt von Venezuela, zählt mittlerweile zu den gefährlichsten Städten der Welt. Das Volk stellt sich mehr und mehr gegen Präsident Nicolás Maduro, bei Demonstrationen und Ausschreitungen wurden bereits mehr als hundert Menschen getötet. Lebensmittel sind in dem südamerikanischen Land schwer zu bekommen, Gewalt und Korruption sind an der Tagesordnung. Deswegen möchte die 55-jährige Venezolanerin auch nicht, dass ihr voller Name in der Zeitung abgedruckt wird.
„Es herrscht Chaos dort momentan, die Regierung ist einfach kriminell, das ist ein Kartell.“Omaira G. ist wütend über die Situation in ihrem Land, aber vor allem macht sie sich Sorgen um ihre Familie. Die Venezolanerin ist mit einem Deutschen verheiratet, seit 25 Jahren lebt sie in der Nähe von Friedrichshafen. Bis vor Kurzem unterrichtete sie Spanisch an der Hochschule Ravensburg, derzeit arbeitet sie im Aquastaad in Immenstaad. „Ich bin froh, dass ich hier bin im Moment. Wenn ich in Venezuela wäre, weiß ich nicht, wie es mir ergangen wäre.“Immer wieder gibt es in ihrer lateinamerikanischen Heimat Demonstrationen gegen die Regierung, das Militär geht dabei nicht sehr zimperlich mit den Menschen um: Tränengas, aber auch Waffen seien bei den Ausschreitungen zum Einsatz gekommen, viele hätten die Proteste bereits das Leben gekostet, erzählt Omaira G. „Meine Schwester ist am Anfang auch immer zu den Demonstrationen gegangen, aber jetzt nicht mehr, sie hat zu große Angst“, berichtet sie.
Sechs Geschwister hat die Häflerin noch in Venezuela – doch eine ihrer Schwestern ist vor Kurzem nach Ecuador ausgewandert, sie hat es in ihrer Heimat nicht mehr ausgehalten. Auch einer ihrer Neffen hat die Flucht ergriffen und ist nach Australien gezogen. In den vergangenen Jahren hat sie ihre Geschwister nie zu Hause in Venezuela besucht. Seit drei, vier Jahren sei die Lage dort immer extremer geworden, sie wollte nicht mehr zurückkehren, sagt Omaira G. Die Familie traf sich mal in Miami, mal in Madrid. „Jeden Tag sage ich ihnen, sie sollen das Land verlassen“, so die 55-Jährige.
Einfach so verhaftet
Ein Bekannter ihrer Schwester sei umgebracht worden, als er Brot kaufen wollte und ihm währenddessen sein Motorrad gestohlen wurde. „Sich zu wehren, ist tödlich“, sagt sie. Jeden Tag sehe ihre Schwester auf dem Weg zur Arbeit, wie Menschen in den Mülltonnen nach Essen suchen, Lebensmittel gebe es kaum noch zu kaufen und wenn doch, könne sie sich kaum einer leisten. In Venezuela nennen sie es Maduro-Diät, erklärt sie – weil die Menschen unter Maduro im Durchschnitt zehn Kilogramm abgenommen haben. Auch habe ihre Schwester schon einmal miterlebt, wie Nachbarn einfach so verhaftet wurden und sich freikaufen mussten. Korruption sei allgegenwärtig, weiß die Venezolanerin.
Am 16. Juli gab es in Venezuela eine symbolische Volksabstimmung. Bei Wahlen können venezolanische Staatsbürger in Deutschland beispielsweise in München, Stuttgart oder Frankfurt auf dem Konsulat ihre Stimme abgeben. Um möglichst vielen ihrer Landsleute in der Region die Teilnahme an der Abstimmung zu ermöglichen, organisierte Omaira G., dass die Stimmabgabe auch in Friedrichshafen möglich war. Mit der Schweiz, Österreich und der Universitätsstadt Konstanz in der Nähe sei die Stadt ideal dafür und für viele gut erreichbar, erklärt sie. Rund 80 Leute kamen an diesem Tag ins Café im Rathaus, um sich gegen die Pläne von Präsident Maduro auszusprechen.
Insgesamt hatte eine überwältigende Mehrheit von 98,4 Prozent gegen die Verfassungspläne der sozialistischen Regierung von Präsident Maduro gestimmt. Bis zur Volksabstimmung habe sie noch Hoffnung gehabt, dass sich etwas verändern lässt in ihrem Heimatland. „Ich dachte, das bewirkt etwas. Aber es ist nichts passiert“, sagt Omaira G. schulterzuckend. „Ich glaube, wenn wir keine Hilfe von außen bekommen, ist es unmöglich, etwas zu ändern“, lauten ihre Worte, in denen eine Spur von Resignation mitschwingt.