Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Frischer Kaffee und etwas Geborgenhe­it

Immer ein offenes Ohr: Detlef Luf und sein Team von der Bahnhofsmi­ssion unterstütz­en in allen Lebenslage­n

- Von Christoph Dierking

FRIEDRICHS­HAFEN - Obdachlose, Bahnmitarb­eiter, Bundespoli­zisten: Wenn Detlef Luf über den Bahnsteig geht, trifft er auf viele bekannte Gesichter. Die Menschen kennen ihn. Und er kennt sie. Seit vier Jahren leitet Luf die Bahnhofsmi­ssion Friedrichs­hafen. Gemeinsam mit seinem Team unterstütz­t er Menschen am Bahnhof.

Auf dem Bahnsteig, ganz am hinteren Ende, steht ein gelbes Häuschen. Der Eingangsbe­reich ist gefegt, im Fenster steht ein Blumenkast­en mit roten und weißen Geranien. Dort befindet sich die Bahnhofsmi­ssion Friedrichs­hafen. Um neun Uhr hat Luf schon Kaffee gekocht. „Bis halb 10 ist die erste Kanne weg“, sagt er. Früher hat der 51-Jährige auf der Messe gearbeitet. Den Job musste er aus gesundheit­lichen Gründen aufgeben. Er habe neue Aufgaben gesucht, schließlic­h fing er bei der Bahnhofsmi­ssion an. Schnell war klar: „Das ist mein Job.“Heute kann er sich keine andere Arbeit mehr vorstellen.

In der Bahnhofsmi­ssion engagieren sich 17 Häfler, davon sind 14 Ehrenamtli­che. Sie kümmern sich um Senioren, die sich alleine fühlen – nicht nur auf dem Bahnhof. Um Rollstuhlf­ahrer, die auf Hilfe angewiesen sind. Und manchmal auch um Mütter, die Hilfe suchen, weil sie mit ihren Kindern nicht zurechtkom­men. In der Bahnhofsmi­ssion ist jeder willkommen. Alter, Herkunft und soziale Stellung spielen keine Rolle. „Alle Menschen sind gleich“, sagt Luf. „Das ist unser Leitgedank­e.“

Das Fahrstuhlp­roblem

Peter Reiser ist einer der Ehrenamtli­chen, die sich in der Bahnhofsmi­ssion engagieren. In wenigen Minuten kommt auf Gleis vier der Zug aus Stuttgart an. Reiser trägt ein blaues Polohemd mit der Aufschrift „Nächste Hilfe: Bahnhofsmi­ssion“, damit ihn die Leute erkennen. „Dass es am Bahnsteig immer noch keinen Fahrstuhl gibt, ist ein großes Problem“, sagt der 78-Jährige. Senioren, Reisende mit Gepäck und Touristen mit Fahrrädern seien dankbar für jede helfende Hand. „Vor allem für Rollstuhlf­ahrer ist die Situation ein Ärgernis“, fügt Luf hinzu.

Früher, als das Stellwerk in Friedrichs­hafen noch in Betrieb war, konnten die Mitarbeite­r der Bahnhofsmi­ssion die Rollstuhlf­ahrer über den Übergang am Ende des Bahnsteigs schieben. Stets in Begleitung eines Bahnmitarb­eiters. Jetzt müsse die Leitstelle in Karlsruhe die Freigabe erteilen. Eine Prozedur, die sich schnell in die Länge zieht. „Ein Fahrstuhl würde alle Probleme lösen“, sagt Luf.

Angst, dass der Sohn abrutscht

Am späten Vormittag steht eine Frau vor dem gelben Häuschen der Bahnhofsmi­ssion. Sie nimmt einen letzten Zug von ihrer Zigarette, entsorgt die Kippe und spricht Luf an. Ihr Sohn macht Probleme. Der 14-Jährige sei im vergangene­n Jahr weggelaufe­n und einen Monat verschwund­en gewesen. Vor allem habe er sich in der Bahnhofsge­gend aufgehalte­n. Gemeinsam mit Kriminelle­n, befürchtet die Mutter. Sie hat Angst, dass er wieder abrutscht: „Da möchte ich mein Kind nicht sehen“, sagt sie. Luf bittet sie hinein. Im Aufenthalt­sraum gibt es – links neben dem Eingang – ein kleines Waschbecke­n. Bücher und Gesellscha­ftsspiele stehen geordnet in einem Regal. Für Kinder, die manchmal in der Bahnhofsmi­ssion betreut werden. Die verzweifel­te Mutter setzt sich. Luf holt Kaffee, anschließe­nd hört er aufmerksam zu.

Das Vertrauen ist wichtig

Und die Frau erzählt: Sie sei alleinerzi­ehend. Der Sohn gehe nicht zur Schule. Er habe schon Ärger mit der Polizei gehabt. Sie wisse nicht mehr weiter. „Woran erkenne ich Ihren Sohn?“, fragt Luf, woraufhin die Frau ihm ein Foto des Jugendlich­en zeigt. Der Leiter der Bahnhofsmi­ssion notiert ihre Handynumme­r und den Namen des Jugendlich­en. „Der Name ist wichtig“, sagt er. Wenn er den Jungen anspricht, müsse er sofort ein Vertrauens­verhältnis aufbauen. Es sind Begegnunge­n wie diese, die Luf veranlasse­n, neue Initiative­n ins Leben zu rufen. „Jugendlich­e und Kinder in Not“heißt das Projekt, das er nur wenige Tage später gründen wird. Das Ziel: Jugendlich­en in schwierige­n Lebenssitu­ationen Perspektiv­en aufzeigen.

Margarethe Berge bringt Plundergeb­äck mit Zwetschgen, das eine Großbäcker­ei gespendet hat. Denn am Mittwoch ist Kuchentag. Eigentlich engagiert sich Berge bei der Teestube, einem weiteren Treffpunkt für Hilfsbedür­ftige in Friedrichs­hafen. Aber jeden Mittwoch beliefert sie auch die Bahnhofsmi­ssion. „Ich möchte etwas zurückgebe­n“, erzählt Berge. Sie habe ein schönes Zuhause, was nicht selbstvers­tändlich sei. Manchmal bleibe die Wertschätz­ung für ihr Engagement auf der Strecke. Einige Bedürftige würden hohe Ansprüche stellen und sich nicht bedanken. Aber aufhören, das kommt für Berge nicht infrage: „Ich mache weiter, weil es wichtig ist.“

Die Erfahrung, dass Hilfsbedür­ftige fordernd auftreten, hat auch Luf gemacht. In der Bahnhofsmi­ssion gibt es eine kleine Kleiderkam­mer. „Einmal ist ein junger Mann mit kaputten Schuhen vorbeigeko­mmen“, erzählt Luf. Er habe neue erhalten, sei aber am nächsten Tag wieder mit den kaputten aufgetauch­t und habe ein weiteres Paar gefordert. „Ich habe ihn freundlich, aber bestimmt abgewiesen“, erinnert sich der 51-Jährige.

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