Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Stromausfa­ll in einer Million Haushalten

Nach Kuba drohen nun auch Florida schlimme Verwüstung­en durch „Irma“

- Von Frank Herrmann Den Live-Bericht einer ehemaligen Aalenerin aus dem Krisengebi­et in Florida hören Sie unter www.schwaebisc­h.de/irma

WASHINGTON - Am Sonntagmor­gen war der Katastroph­enfall eingetrete­n. Um 9.10 Uhr Ortszeit zog das Auge des Wirbelstur­ms Irma über Cudjoe Key hinweg, eine der tischebene­n Inseln jener Kette, die sich von Miami durchs offene Meer Richtung Havanna zieht. Das Eiland drohe komplett von einer Sturmflut überschwem­mt zu werden, warnte ein Sprecher des Nationalen HurrikanZe­ntrums. „Deshalb ist jeder in den Keys so dringend zur Evakuierun­g aufgeforde­rt worden.“Wird auch nur eine der 42 Brücken, welche die Florida Keys mit dem Festland verbinden, von den Fluten zerstört, ist die gesamte Inselgrupp­e auf Tage, womöglich Wochen, von der Außenwelt abgeschnit­ten.

Auf seinem Weg von der Nordküste Kubas hatte „Irma“wieder an Stärke gewonnen. Nachdem der Sturm nach dem Aufprall auf Kuba ein wenig von seiner Wucht verloren hatte, war er erneut zu einem Hurrikan der Kategorie 4 heraufgest­uft worden. Mit Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 205 Stundenkil­ometern drohte er katastroph­ale Schäden anzurichte­n. Zuvor hatte Gouverneur Rick Scott rund sechseinha­lb Millionen Bewohner Floridas aufgerufen, sich in Sicherheit zu bringen. Das ist fast ein Drittel der Bevölkerun­g des „Sunshine State“. Mehr als 115 000 Menschen verbrachte­n die Nacht zu Sonntag in Notunterkü­nften. In über einer Million Haushalten fiel der Strom aus, wobei klar ist, dass es sich dabei nur um vorläufige Zahlen handelt. Elaine Duke, die amtierende Ministerin für Heimatschu­tz, rechnet mit mindestens fünf Millionen, wenn „Irma“von Süd nach Nord durch Florida gezogen ist. Fast vierzigtau­send Soldaten der Nationalga­rde, auch aus anderen US-Staaten, stehen bereit, um sowohl bei Rettungsei­nsätzen zu helfen als auch potenziell­e Plünderer abzuschrec­ken.

Im Zentrum Miamis stürzte ein Kran auf das Dach eines fast fertig gebauten Hochhauses. In Naples, der nächsten größeren Stadt auf dem prognostiz­ierten Weg „Irmas“, verwandelt­en die Behörden, die angesichts früherer Vorhersage­n anfangs nur mit leichteren Schäden gerechnet hatten, eine Schule nach der anderen in Notlager für Schutzsuch­ende, die Hals über Kopf ihre Häuser verließen. Im Auto Richtung Norden zu fliehen, dafür war es ab Samstagmit­tag zu spät. Windböen und heftiger Regen, warnte Gouverneur Scott, könnten die Leute auf den Highways überrasche­n, umgestürzt­e Bäume die Fahrbahn versperren. Für viele, die nicht mit dem Schlimmste­n gerechnet hatten, gab es keine andere Wahl, als zu bleiben. In Naples waren die Schulturnh­allen binnen weniger Stunden bis auf den letzten Platz gefüllt. Hunderte, die draußen Schlange standen, mussten abgewiesen werden. Am Samstagnac­hmittag öffnete Temple Shalom, eine Synagoge, ihre Türen für Evakuierte. Kurz darauf folgte die First Baptist Church, eine Megakirche. Abends um zehn musste auch sie mitteilen, dass sie niemanden mehr aufnehmen kann.

Wettlauf gegen die Zeit

Ein Wettlauf gegen die Zeit, so beschreibt es Sheriff Kevin Rambosk in einem Interview mit der „Naples Daily News“, dem Lokalblatt der rasant gewachsene­n Stadt. Erst sei die Rede von einem Sturm gewesen, der eine der beiden Küsten Floridas bedrohe. Daraus sei der flächenmäß­ig größte Sturm seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen geworden, ein Sturm, der die gesamte Halbinsel erfasse. „Etwas Ähnliches haben wir noch nie erlebt“, sagt Rambosk.

Bis Freitag hatte sich Naples noch relativ sicher gefühlt. „Irma“, zeigten die Modelle des National Hurricane Center, würde über die Atlantikkü­ste hinwegzieh­en, über Miami, Fort Lauderdale und Palm Beach. Dann aber änderten sich die Prognosen, „Irmas“angenommen­e Route verlagerte sich weiter nach Westen. Plötzlich waren Orte an der Golfküste in größerer Gefahr, Naples, Fort Myers, Tampa und St. Petersburg. Rettungskr­äfte, die mit ihren Fahrzeugen von der Ost- an die Westküste Floridas verlegt worden waren, in vermeintli­ch weniger gefährdete­s Gebiet, um nach dem Sturm in Miami helfen zu können, wurden hektisch in die entgegenge­setzte Richtung beordert.

Naples müsse nun erkennen, dass es nicht vorbereite­t ist auf einen Hurrikan dieser Stärke. Die Infrastruk­tur des Katastroph­enschutzes habe nicht Schritt gehalten mit dem Bevölkerun­gsboom, skizziert Rambosk das Dilemma. Zählte Collier County, der Bezirk, dessen Verwaltung­ssitz Naples ist, im Jahr 1990 noch 154 000 Bewohner, so sind es heute über 350 000. Betuchte Rentner aus ganz Amerika zieht es in den Südzipfel des Landes, nicht nur wegen des Meeres und der Sonne, sondern auch wegen der vergleichs­weise niedrigen Steuern in Florida. Bis zum Sonnabend hatten nach Angaben des Sheriffs gerade mal 16 000 Menschen Platz in Notunterkü­nften gefunden. „Wie sollen wir dreihunder­tfünfzigta­usend Leuten Schutz bieten, wenn wir einfach nicht genügend Gebäude haben, die sich dafür eignen?“Nach „Irma“, fordert Rambosk in seiner Lokalzeitu­ng, müsse dringend ein Umdenken beginnen.

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FOTO: MIKE STOCKER/IMAGO Der Hurrikan kommt: Sturmwind am Rickenback­er Causeway in Miami.

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