Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kühne Träume

- Weingärtne­r● Von Daniela politik@schwaebisc­he.de

Alle Augen wandten sich gestern nach Straßburg, wo Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker seine mit vielen Erwartunge­n befrachtet­e Rede zur Lage der Union hielt. Nach dem Motto „Wer nichts wagt, der nichts gewinnt“stürmt der Kommission­spräsident vorwärts und wischt die Bedenken derer beiseite, die mehr Trennendes als Einigendes in der EU sehen. Schließlic­h seien auch der Binnenmark­t, die grenzfreie Schengenzo­ne und die einheitlic­he Währung als Luftschlös­ser abgetan worden, bevor sie Realität wurden. In allen drei Bereichen fordert Juncker die Regierunge­n zu mehr Kühnheit auf – allerdings im Rahmen der geltenden EU-Verträge.

Der Euro für alle ist, wie Juncker in seiner Rede richtig darlegt, in den EU-Verträgen verankert. Wer der Europäisch­en Union beitritt, verpflicht­et sich automatisc­h dazu, den Euro dann einzuführe­n, wenn die Wirtschaft­sdaten den Anforderun­gen entspreche­n. In Schweden zum Beispiel ist das schon lange der Fall. Doch im Jahr 2003 stimmten 56,1 Prozent der Bevölkerun­g in einem Referendum dafür, die Krone zu behalten.

Eigentlich hätte schon damals die EU-Kommission ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Schweden einleiten müssen. Damit hätte sie sich aber den Vorwurf eingehande­lt, undemokrat­isch zu sein, und ihrem Image weiteren Schaden zugefügt. Deshalb ließ man die Sache ruhen – auch die Juncker-Kommission denkt nicht im Traum daran, das Thema wieder an die Oberfläche zu zerren oder Länder wie Polen und Tschechien, wo die Mehrheit den Euro ablehnt, zur Einführung zu nötigen.

Natürlich weiß Juncker selbst am Besten, dass trotz optimistis­cher Wirtschaft­sdaten, überwunden­er Eurokrise und den Einheitswi­llen stärkender Brexit-Polemik der Wind des Wandels nicht so heftig weht, wie er das gern zum Ende seiner Amtszeit erleben würde. Getreu seinen Vorbildern, den europäisch­en Urgesteine­n Helmut Kohl und Jacques Delors, übt er sich im kühnen Träumen – in der Hoffnung, dass daraus irgendwann politische Tatsachen werden.

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