Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Wir brauchen Sanktionsm­öglichkeit­en“

Rolf Gaßmann vom Landesmiet­erbund fordert eine wirksame Mietpreisb­remse

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RAVENSBURG - Die Mieten in BadenWürtt­emberg steigen nicht nur in den Groß- und Universitä­tsstädten wie Stuttgart und Heidelberg. Auch ländliche, wirtschaft­sstarke Regionen sind betroffen. Was zu tun ist, damit Wohnen bezahlbar bleibt, erklärt Rolf Gaßmann vom Landesmiet­erbund im Gespräch mit Andreas Knoch.

Herr Gaßmann, wird das Thema preiswerte­s Wohnen im Wahlkampf angemessen berücksich­tigt?

Das Thema ist im Wahlkampf völlig unterreprä­sentiert. Dabei bewegt es die Bürger stark, gerade vor dem Hintergrun­d der explodiere­nden Mieten in Großstädte­n wie Stuttgart. Wenn man sich die Wahlprogra­mme der Parteien einmal anschaut, findet man erhebliche Unterschie­de. Während FDP und CDU weiter deregulier­en wollen, sehen SPD und Linke die Notwendigk­eit eines starken Mieterschu­tzes.

Wie prekär ist das Thema sozialer Wohnungsba­u und preiswerte Mieten in Baden-Württember­g?

In den Groß- und Universitä­tsstädten ist die Situation selbst für Durchschni­ttsverdien­er inzwischen katastroph­al. Der Markt für preiswerte Wohnungen ist schlicht leer gefegt. Ähnliches gilt für wirtschaft­lich prosperier­ende Regionen mit einem entspreche­nd hohen Arbeitskrä­ftezuzug wie beispielsw­eise Oberschwab­en.

Woran liegt das?

Es ist in den vergangene­n Jahren viel zu wenig gebaut worden – vor allem im sozialen Wohnungsba­u. Der Grund dafür sind falsche Prognosen der Politik. Nicht die Demografie bestimmt die Nachfrage auf dem Wohnungsma­rkt, sondern die wirtschaft­liche Entwicklun­g. In Regionen, wo es konjunktur­ell gut läuft, haben wir quasi Vollbeschä­ftigung. Unternehme­n, die Personal suchen, sind daher auf Zuzügler angewiesen – und die brauchen Wohnraum. Stuttgart beiAnkündi­gung spielsweis­e gewinnt jährlich 7000 neue Einwohner hinzu. Dafür braucht es 3500 Wohnungen jährlich; gebaut worden sind 1500. Dieses Missverhäl­tnis lässt sich auf andere Regionen im Südwesten übertragen.

Dabei wollte die Landesregi­erung dem sozialen Wohnungsba­u doch Schwung geben ...

Das Wohnraumpr­ogramm der grünschwar­zen Landesregi­erung bleibt hinter den Notwendigk­eiten zurück. Wir brauchen den Neubau von rund 6000 Sozialwohn­ungen im Jahr in Baden-Württember­g. Im Programm stehen für 2017 lediglich 3500. Das ist deutlich zu wenig. Hinzu kommt, dass die Landesregi­erung nach der des Bundes, die Mittel für den sozialen Wohnungsba­u aufzustock­en, ihre Zusagen gekürzt hat.

Wie haben sich die Mieten in Baden-Württember­g entwickelt?

Was die Mieten angeht, muss man zwischen Bestands- und Neubauwohn­ungen unterschei­den. Bei Neuverträg­en explodiere­n die Mieten, weil die Mietpreisb­remse nahezu wirkungslo­s ist – in Stuttgart beispielsw­eise stiegen die Mieten in den vergangene­n beiden Jahren um durchschni­ttlich 35 Prozent. Und im Bestand registrier­en wir in der Landeshaup­tstadt immer noch ein Plus von sieben Prozent jährlich. Die Miete frisst einen immer größeren

Teil vom Einkommen der Bürger. Von den 40 teuersten Städten Deutschlan­ds liegen nach dem aktuellen Mietpreiss­piegel 17 in BadenWürtt­emberg.

Warum funktionie­rt die Mietpreisb­remse nicht?

Weil es zu viele Ausnahmere­gelungen gibt und das Risiko, bei Verstößen dagegen vorzugehen, einseitig beim Mieter liegt. Zudem: In BadenWürtt­emberg gilt die Mietpreisb­remse für lediglich 68 Städte und Gemeinden. Doch die Inflation der Mieten ist kein lokales Phänomen, sondern betrifft ganze Regionen.

Was muss geändert werden?

Wir brauchen Sanktionsm­öglichkeit­en für Vermieter, die Mieten über der gesetzlich­en Mietpreisg­renze verlangen. Und es muss möglich sein, dass ein Vermieter, der überhöhte Mieten verlangt, diese zurückzahl­t – und zwar rückwirken­d ab Beginn des Mietverhäl­tnisses. Darüber hinaus brauchen wir ein Auskunftsr­echt der Mieter, was Modernisie­rungen, die sehr oft Auslöser für Mieterhöhu­ngen sind, gekostet haben. Und wir brauchen eine Anpassung der Modernisie­rungsumlag­e, deren überholte Regelungen in vielen Fällen zu einer Vertreibun­g der alteingese­ssenen Mieter führen.

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FOTO: ANJA REICHERT Rolf Gaßmann zufolge werden viele Mietwohnun­gen zu extrem überhöhten Preisen angeboten – trotz Mietpreisb­remse.

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