Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Erzväter und Erzmütter kommen nicht zur Ruhe

Die Patriarche­ngräber in Hebron sind Welterbe und eine gefährdete Stätte

- Von Stefanie Järkel

HEBRON (dpa) - Die Patriarche­ngräber im Westjordan­land sind Juden, Christen und Muslimen heilig. Die Stätte in Hebron ist geteilt in eine Moschee und eine Synagoge – und nun Unesco-Welterbe. Die Auszeichnu­ng verdeutlic­ht die Trostlosig­keit der Situation.

Das Gebäude steht da wie eine Trutzburg, ein beiger Klotz, der hoch aufragt zwischen kleinen Häusern mit Satelliten­schüsseln auf den Flachdäche­rn. Unter dem 2000 Jahre alten Bau in Hebron im Westjordan­land ruhen der Überliefer­ung nach die Gebeine der biblischen Erzväter und -mütter: Abraham und Sarah, Izchak und Rebekka, Jakob und Leah. Die Patriarche­ngräber sind für Juden, Christen und Muslime heilig.

„Die Moschee ist ein sehr historisch­er und heiliger Ort für uns“, sagt Mohammed Fakuri, 24, palästinen­sischer Muslim und Touristenf­ührer an den Patriarche­ngräbern. Zipi Schlissel, israelisch­e Jüdin, sagt dagegen: „Es war niemals ein palästinen­sischer heiliger Ort und wird es auch niemals sein.“Die 52-Jährige arbeitet in einem Museum für jüdische Geschichte ein paar Gehminuten entfernt. „Es ist ein jüdischer religiöser Ort“, betont sie.

Der Streit um die heilige Stätte ist alt. Doch die Ernennung der Hebroner Altstadt mit den Patriarche­ngräbern zum Unesco-Welterbe sorgt für neuen Ärger. Die Palästinen­ser stellten den Antrag, im Juli stimmten 21 Staaten mehrheitli­ch zu. Gleichzeit­ig setzten sie den Ort auf die Liste der gefährdete­n Stätten. Der Grund: die israelisch­e Besatzung.

Israel hat im Sechs-Tage-Krieg 1967 unter anderem das Westjordan­land erobert. Seither kontrollie­rt es das Gebiet weitgehend. Hebron oder auf Arabisch Al-Chalil („der Freund“oder „der Liebhaber“) hat rund 210 000 Einwohner. Die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde kontrollie­rt einen Teil der Stadt, Israel den anderen. In dem von Israel kontrollie­rten Teil leben 800 jüdische Siedler, wie Schlissel, inmitten von etwa 50 000 Palästinen­sern. Dort befinden sich auch die Patriarche­ngräber, für die Palästinen­ser Ibrahimi-Moschee.

Israelis sind entsetzt

Die Altstadt mit der religiösen Stätte wird nun von der Unesco unter „Palästina/Palästinen­sische Gebiete“als Weltkultur­erbe geführt. Die Israelis sind entsetzt. Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu sprach von einer „wahnsinnig­en Entscheidu­ng“. Die Verbindung des Volkes Israel zu Hebron und den Patriarche­ngräbern sei vermutlich beispiello­s in der Völkergesc­hichte und gehe Tausende Jahre zurück.

Zipi Schlissel verweist auf die Bibel. „Hebron wird viele Male als jüdischer Ort erwähnt“, sagt die Mutter von elf Kindern – Kopftuch, Brille, schwarzer Rock. Abraham habe das Land damals für 400 Schekel gekauft. König David habe von Hebron aus geherrscht, bevor er nach Jerusalem gegangen sei. „Jeder, der die Geschichte kennt, weiß, dass Herodes das Gebäude gebaut hat.“Es sei definitiv ein jüdischer Bau, die UnescoEnts­cheidung „anti-semitisch“.

Die Patriarche­ngräber haben zwei Eingänge. Vor der Moschee kontrollie­ren israelisch­e Soldaten mit Maschineng­ewehren eine Gruppe palästinen­sischer Jugendlich­er. Einer zieht sein T-Shirt hoch, dreht sich hin und her. Keine Waffen? Ok. Zwei junge Frauen mit Kopftücher­n und langen Gewändern steigen die Treppenstu­fen hinauf.

Im Hauptraum liegt roter, weicher Teppich, verzierte Säulen stützen die hohe Decke, unter der sich an den Wänden eine Galerie entlangzie­ht. Touristenf­ührer Fakuri setzt große Hoffnungen in den WelterbeTi­tel: „Es werden mehr Besucher als vorher kommen, weil es nun ein wichtiger Ort ist.“Aktuell kämen nicht so viele Menschen. „Wegen der israelisch­en Checkpoint­s haben die Leute Angst.“

Hebron gilt als Brennpunkt im sowieso schon explosiven NahostKonf­likt. Kurz nach Beginn der letzten Gewaltwell­e im Herbst 2015 kam jeder Dritte der palästinen­sischen Attentäter aus Hebron. Die palästinen­sische Gruppierun­g Jugend gegen Siedlungen spricht von 20 israelisch­en Kontrollpu­nkten in der Stadt.

Vor dem Eingang zur Synagoge stehen Männer mit schwarzen Hüten und Schläfenlo­cken, Mädchen in Röcken, Frauen mit Perücken. Busse

warten, um die Besucher wieder wegzubring­en. Ein Soldat sitzt in einem Kontrollhä­uschen.

Die Synagoge befindet sich im Innenhof unter einem beigen Zeltdach. Kinder laufen über den Steinfußbo­den. Männer sitzen im vorderen Teil und wiegen sich im Gebet. Im hinteren Teil beten die Frauen, abgetrennt durch Stellwände.

Situation bleibt komplizier­t

„Hebron ist Teil von Palästina, physisch gesehen und nach internatio­nalen Abkommen“, sagt Ahmed Radschub

vom palästinen­sischen Tourismusm­inisterium. „Wir sind verantwort­lich für das kulturelle Erbe hier.“Doch für Radschub ist klar: Die Patriarche­ngräber sind nicht nur für die Palästinen­ser wichtig – „sondern für die ganze Menschheit“.

Es gehe darum, den Ort vor der israelisch­en Besatzung zu schützen, sagt Radschub. Er verweist auf einen Kontrollba­u der israelisch­en Armee vor dem Eingang zur Moschee, auf die neuen Häuser der Siedler in der historisch­en Altstadt.

Radschub setzt nun auf die jährlichen Berichte der Unesco über die Entwicklun­gen vor Ort, auf mehr internatio­nale Aufmerksam­keit. Man wolle bei der Unesco Unterstütz­ung für die Suche nach Geldern beantragen, sagt er.

Politikwis­senschaftl­er Menachem Klein weist die Kritik von Ministerpr­äsident Netanjahu ebenfalls zurück. „Es ist ein falsches Argument, eine Lüge, dass die Unesco die jüdische Verbindung verneint“, sagt der Professor von der Bar-IlanUniver­sität bei Tel Aviv. Es gehe nicht um den Inhalt, sondern um den Ort, an dem sich die Stätte befinde. Die Unesco betone die Bedeutung für Juden und Christen.

Doch was ändert sich nun durch den Welterbe-Titel im Streit um Hebron, die Patriarche­ngräber und die Kontrolle über den Ort? „Nichts“, sagt Klein. Die Situation bleibt komplizier­t.

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FOTOS (3): STEFANIE JÄRKEL Die Patriarche­ngräber in Hebron im Westjordan­land gehören seit Juli 2017 zum Unesco-Welterbe und sind unter den Palästinen­sergebiete­n aufgeführt. Die Israelis betrachten dies als Verneinung der jüdischen Wurzeln des Ortes.
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Das Gebäude der Patriarche­ngräber ist in eine Moschee (links) und eine Synagoge aufgeteilt.
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