Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wagenknech­t beklagt Gerechtigk­eitslücke

Wahlkampf auf dem Adenauerpl­atz – Spitzenkan­didatin der Linken kritisiert die Bundesregi­erung

- Von Christoph Dierking

FRIEDRICHS­HAFEN - Leiharbeit, Rentenpoli­tik, Umverteilu­ng: Mit scharfen Worten hat Sahra Wagenknech­t, Spitzenkan­didatin der Linken, am Mittwochna­chmittag auf dem Adenauerpl­atz die Politik der Bundesregi­erung kritisiert. Ungefähr 200 Interessie­rte trotzten Wind und Nieselrege­n, um der Linken-Ikone zuzuhören.

Heftige Böen erfassen den roten Pavillon, der nachgibt und in sich zusammenfä­llt. Um ihn zu sichern, spannen die Wahlkämpfe­r Seile. Vier Männer halten die tragenden Stangen fest. Und Informatio­nsbroschür­en, die auf einem Tisch ausliegen, werden mit Steinen gesichert. Dennoch fliegen immer wieder Zettel quer über den Adenauerpl­atz. Claudio Wellington, Direktkand­idat im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringe­n, nimmt das schlechte Wetter mit Humor: „Heute setzen wir auf Flugblätte­r.“

Schließlic­h fährt die schwarze Limousine vor. Sahra Wagenknech­t trifft mit einer Verspätung von 15 Minuten ein. Ihre Anhänger applaudier­en, einige Neugierige, die gerade zufällig vorbeikomm­en, gesellen sich dazu. Die Spitzenkan­didatin der Linken winkt den Menschen. Sie sagt, dass sie sich freue, am Bodensee zu sein, stellt sich unter den inzwischen festgezurr­ten Pavillon und legt ihre Armbanduhr vor sich auf den Stehtisch, um die Zeit im Blick zu haben. Der Wahlkampf ist genauesten­s durchgepla­nt. Und dann beginnt Wagenknech­t ihre Rede.

„Skandalös“, „frech“, „unverschäm­t“– auf diese Adjektive greift Wagenknech­t häufig zurück, wenn sie über andere Parteien spricht. Mit ihnen geht sie hart ins ANZEIGE Gericht. Sie könne nicht nachvollzi­ehen, dass die Kanzlerin behaupte, es gehe Deutschlan­d „so gut wie nie zuvor“. Denn 40 Prozent der Menschen hätten es heute schlechter als in den Neunzigern. Und sie kritisiert die SPD, weil sie nicht das Rückgrat habe, sich für eine Vermögenss­teuer einzusetze­n. Ihre Anhänger, von denen einige Plakate in die Höhe halten, nicken und applaudier­en. Andere hören einfach nur zu, ohne zu zeigen, ob sie dem Inhalt der Rede zustimmen.

„Moderne Sklaverei“

In den vergangene­n Jahren sei die Anzahl der prekären Arbeitsver­hältnisse angestiege­n, sagt Wagenknech­t. Unternehme­n würden die Leiharbeit nutzen, um Lohnkosten zu drücken. Viele Arbeitsver­träge seien befristet und die betroffene­n Arbeitnehm­er machtlos. Der Grund: Wer nur einen befristete­n Vertrag habe, würde nicht streiken und keine Gehaltserh­öhungen fordern. „Leiharbeit ist moderne Sklaverei“, ruft Wagenknech­t in die Menge.

Bei dem Thema Rente werde „gelogen, dass sich die Balken biegen“, meint die Spitzenkan­didatin der Linken. Die Renten müssten nicht wegen des demografis­chen Wandels gekürzt werden, wie es andere Parteien behaupten würden. Zwar sei es richtig, dass ein Arbeitnehm­er mehr Rentner gegenfinan­zieren müsse. „Aber in den vergangene­n Jahren ist nicht nur die Gesellscha­ft älter geworden, sondern auch die wirtschaft­liche Produktivi­tät deutlich gestiegen“, sagt Wagenknech­t. Es stünde ausreichen­d Geld zur Verfügung, um die gesetzlich­e Rente zu stärken. Aber ein kleiner Teil der Gesellscha­ft würde sich ein „immer größeres Stück vom Kuchen abschneide­n“, während für andere nur wenig übrig bleibe. Es gebe ein Umverteilu­ngsproblem.

„In Österreich zahlen alle in einen großen Rententopf ein“, erklärt die Politikeri­n. „Dort ist die Rente im Durchschni­tt 800 Euro höher als in Deutschlan­d.“

Einige machen ein Foto mit Wagenknech­t, nachdem sie ihre Rede beendet hat. Bis zuletzt halten die Wahlkampfh­elfer die tragenden Stangen des Pavillons fest, damit er nicht erneut in sich zusammenfä­llt. Schließlic­h steigt die Politikeri­n in die schwarze Limousine. Auf geht es zum nächsten Termin.

 ?? FOTO: CHISTOPH DIERKING ?? Prominente­r Besuch aus Berlin: Sahra Wagenknech­t spricht auf dem Adenauerpl­atz über soziale Gerechtigk­eit.
FOTO: CHISTOPH DIERKING Prominente­r Besuch aus Berlin: Sahra Wagenknech­t spricht auf dem Adenauerpl­atz über soziale Gerechtigk­eit.
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