Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wagenknecht beklagt Gerechtigkeitslücke
Wahlkampf auf dem Adenauerplatz – Spitzenkandidatin der Linken kritisiert die Bundesregierung
FRIEDRICHSHAFEN - Leiharbeit, Rentenpolitik, Umverteilung: Mit scharfen Worten hat Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin der Linken, am Mittwochnachmittag auf dem Adenauerplatz die Politik der Bundesregierung kritisiert. Ungefähr 200 Interessierte trotzten Wind und Nieselregen, um der Linken-Ikone zuzuhören.
Heftige Böen erfassen den roten Pavillon, der nachgibt und in sich zusammenfällt. Um ihn zu sichern, spannen die Wahlkämpfer Seile. Vier Männer halten die tragenden Stangen fest. Und Informationsbroschüren, die auf einem Tisch ausliegen, werden mit Steinen gesichert. Dennoch fliegen immer wieder Zettel quer über den Adenauerplatz. Claudio Wellington, Direktkandidat im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen, nimmt das schlechte Wetter mit Humor: „Heute setzen wir auf Flugblätter.“
Schließlich fährt die schwarze Limousine vor. Sahra Wagenknecht trifft mit einer Verspätung von 15 Minuten ein. Ihre Anhänger applaudieren, einige Neugierige, die gerade zufällig vorbeikommen, gesellen sich dazu. Die Spitzenkandidatin der Linken winkt den Menschen. Sie sagt, dass sie sich freue, am Bodensee zu sein, stellt sich unter den inzwischen festgezurrten Pavillon und legt ihre Armbanduhr vor sich auf den Stehtisch, um die Zeit im Blick zu haben. Der Wahlkampf ist genauestens durchgeplant. Und dann beginnt Wagenknecht ihre Rede.
„Skandalös“, „frech“, „unverschämt“– auf diese Adjektive greift Wagenknecht häufig zurück, wenn sie über andere Parteien spricht. Mit ihnen geht sie hart ins ANZEIGE Gericht. Sie könne nicht nachvollziehen, dass die Kanzlerin behaupte, es gehe Deutschland „so gut wie nie zuvor“. Denn 40 Prozent der Menschen hätten es heute schlechter als in den Neunzigern. Und sie kritisiert die SPD, weil sie nicht das Rückgrat habe, sich für eine Vermögenssteuer einzusetzen. Ihre Anhänger, von denen einige Plakate in die Höhe halten, nicken und applaudieren. Andere hören einfach nur zu, ohne zu zeigen, ob sie dem Inhalt der Rede zustimmen.
„Moderne Sklaverei“
In den vergangenen Jahren sei die Anzahl der prekären Arbeitsverhältnisse angestiegen, sagt Wagenknecht. Unternehmen würden die Leiharbeit nutzen, um Lohnkosten zu drücken. Viele Arbeitsverträge seien befristet und die betroffenen Arbeitnehmer machtlos. Der Grund: Wer nur einen befristeten Vertrag habe, würde nicht streiken und keine Gehaltserhöhungen fordern. „Leiharbeit ist moderne Sklaverei“, ruft Wagenknecht in die Menge.
Bei dem Thema Rente werde „gelogen, dass sich die Balken biegen“, meint die Spitzenkandidatin der Linken. Die Renten müssten nicht wegen des demografischen Wandels gekürzt werden, wie es andere Parteien behaupten würden. Zwar sei es richtig, dass ein Arbeitnehmer mehr Rentner gegenfinanzieren müsse. „Aber in den vergangenen Jahren ist nicht nur die Gesellschaft älter geworden, sondern auch die wirtschaftliche Produktivität deutlich gestiegen“, sagt Wagenknecht. Es stünde ausreichend Geld zur Verfügung, um die gesetzliche Rente zu stärken. Aber ein kleiner Teil der Gesellschaft würde sich ein „immer größeres Stück vom Kuchen abschneiden“, während für andere nur wenig übrig bleibe. Es gebe ein Umverteilungsproblem.
„In Österreich zahlen alle in einen großen Rententopf ein“, erklärt die Politikerin. „Dort ist die Rente im Durchschnitt 800 Euro höher als in Deutschland.“
Einige machen ein Foto mit Wagenknecht, nachdem sie ihre Rede beendet hat. Bis zuletzt halten die Wahlkampfhelfer die tragenden Stangen des Pavillons fest, damit er nicht erneut in sich zusammenfällt. Schließlich steigt die Politikerin in die schwarze Limousine. Auf geht es zum nächsten Termin.