Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Frau will keine Mitbewohne­r in Obdachlose­nunterkunf­t

Landgerich­t verwirft Berufung gegen Urteil wegen Nötigung – Angeklagte muss Verfahrens­kosten tragen und Geldstrafe abbüßen

- Von Linda Egger

RAVENSBURG - Wutentbran­nt ist eine wegen Nötigung angeklagte Frau am Dienstag nach der Urteilsver­kündung aus dem Sitzungssa­al des Landgerich­ts Ravensburg gestürmt. Rund zwei Stunden lang hatte die 58-Jährige zuvor die Kammer davon zu überzeugen versucht, dass ihr Handeln gerechtfer­tigt gewesen sei. Gegen ein Urteil des Amtsgerich­ts Tettnang, das sie zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätze­n zu je zehn Euro verurteilt hatte, hatte sie Berufung eingelegt.

Im Februar vergangene­n Jahres hatte die Frau einer Familie den Zutritt zu einer Obdachlose­nunterkunf­t in der Seestraße in Langenarge­n verwehrt, in der sie zu diesem Zeitpunkt allein wohnte. Bereits mit anderen Bewohnern, die zuvor zeitweise gemeinsam mit der Frau in der Unterkunft gelebt hatten, habe es immer mal wieder Streitigke­iten gegeben, sagte ein Zeuge aus. Als die Gemeinde dann erneut ankündigte, dass eine Familie, die aufgrund einer Zwangsräum­ung ihre Wohnung verloren hatte, in die Unterkunft ziehen werde, wehrte sich die Angeklagte.

Türe mit Schnüren und Fahrradsch­loss verriegelt

Am Tag des geplanten Einzugs steckte sie ihren Schlüssel von innen in die Eingangstü­re und sicherte die Tür zudem mit Schnüren und einem Fahrradsch­loss. „Eine solche Konstrukti­on habe ich noch nie zuvor gesehen, der Schlüssel ließ sich nicht mehr vor oder zurück drehen“, beschrieb der Zeuge, wie die Tür versperrt war.

„Das war das Minimum an Selbsthilf­e, was ich betreiben konnte“, lautete die Erklärung der Angeklagte­n. Von anderen Mitbewohne­rn der Unterkunft, die früher als Umkleiderä­ume und Duschen einer nahegelege­nen Sportanlag­e genutzt wurde, sei sie „traktiert“worden. Man habe sie beispielsw­eise mit einem Besenstiel geschlagen, habe Dinge nach ihr geworfen und sei in ihr Zimmer eingedrung­en, schilderte sie. Deswegen habe sie nicht gewollt, dass weitere Menschen in die Unterkunft einziehen, die vier separat schließbar­e Zimmer hat.

Ursprüngli­ch stammt die 58-Jährige aus Berlin. Vor rund sieben Jahren kam sie in den Bodenseekr­eis, lebte nach eigenen Angaben unter anderem in Friedrichs­hafen in einem Zelt auf einer Wiese, in einem leerstehen­den Gebäude und mit Isomatte und Schlafsack am Langenarge­ner Bodenseest­rand.

„Prekär“nannte Richter Rolf-Peter Schall die Lebensumst­ände der Frau, die seit 2016 Sozialhilf­e bekommt. In den vergangene­n Jahren habe sie sich hauptsächl­ich mit dem Sammeln von Pfandflasc­hen durchgesch­lagen, berichtete sie. Seit 2013 wohnte sie in dem Gebäude in der Seestraße, das Eigentum der Gemeinde ist.

Rund eineinhalb Stunden lang hatten die zuständige­n Angestellt­en der Gemeinde gemeinsam mit einem Mitarbeite­r einer Sicherheit­sfirma vergeblich versucht, die Angeklagte an jenem Tag im Februar 2016 davon zu überzeugen, ihnen die Tür zu öffnen. Schließlic­h sei die Polizei gerufen und das Schloss aufgebroch­en worden, sagte der Zeuge. Der dabei einstanden­e Schaden habe sich auf rund 150 Euro beziffert.

Richter sieht Handeln als Nötigung an

„Ich wurde misshandel­t und aus der Gesellscha­ft ausgestoße­n“, machte die Angeklagte im Gerichtssa­al ihrem Ärger Luft und zeigte wenig Verständni­s dafür, warum ihr Handeln sie auf die Anklageban­k geführt hatte. Vielmehr stellt sie in Frage, ob die Obdachlose­nunterkunf­t überhaupt als solche anerkannt sei oder ob die Räumlichke­iten nicht mehr in Zusammenha­ng mit „Missbrauch und Menschenha­ndel“zu stellen seien, so ihre Worte. Mit ihren teils lautstarke­n Ausführung­en scheute sie sich nicht, dem Richter ins Wort zu fallen, der sie mehrfach zum Schweigen auffordert­e.

Bei seinem Urteil folgte Richter Rolf-Peter Schall schließlic­h dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, die Berufung kostenpfli­chtig zu verwerfen. „Das ist eine Nötigung, die nicht gerechtfer­tigt war“, so seine Begründung. Die Verfahrens­kosten muss die Angeklagte demnach selbst zahlen, zudem bleibt die vom Amtsgerich­t Tettnang verhängte Geldstrafe von 40 Tagessätze­n zu je zehn Euro bestehen. Diese kann sie in monatliche­n Raten zu je 40 Euro ableisten.

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