Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

180 Ausbildung­sstellen sind in Friedrichs­hafen noch offen

Junge Menschen möchten lieber Industriem­echaniker statt Koch werden – Flüchtling­e wollen sich am Arbeitsmar­kt beweisen

- Von Anna-Sophie Humer-Hager

FRIEDRICHS­HAFEN – 121 junge Leute haben in Friedrichs­hafen zum Start des Ausbildung­sjahres am 1. September noch keine Lehrstelle. Gleichzeit­ig aber sind auch noch 180 Ausbildung­splätze offen. Das Problem sei, dass sich viele Bewerber auf dieselben Wunschberu­fe konzentrie­ren, parallel aber die Anforderun­gen der Arbeitgebe­r steigen, erläutert Walter Nägele, Pressespre­cher der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg.

„Bis jetzt war 2017 ein unauffälli­ges Ausbildung­sjahr“, sagt Nägele. Bei den Berufen, in denen noch nach Nachwuchs gesucht wird, setzte sich der Trend der vergangene­n Jahre fort. Es fehlt zum Beispiel an Bewerbern für die Berufe Altenpfleg­er, Bäcker, Friseur, Verkäufer, Hotelfachm­ann, Kaufmann im Einzelhand­el, Restaurant­fachmann oder Zahnmedizi­nischer Fachangest­ellter. Gleichzeit­ig bemühen sich in Friedrichs­hafen aber noch 121 Kandidaten um eine passende Stelle. Rein rechnerisc­h müsste also eigentlich jeder Suchende einen Ausbildung­splatz erhalten. Wie kommt es, dass mit über 280 verschiede­nen Berufsmögl­ichkeiten in der Region dennoch auf beiden Seiten einige erst einmal leer ausgehen werden?

Junge Leute haben explizite Wunschberu­fe

Gründe für die Unbeliebth­eit mancher Berufsbran­chen sind vor allem stressige Arbeitszei­ten, geringe Entlohnung und körperlich­e Belastung. „Acht Stunden als Koch in der Küche zu stehen, ist nicht für jeden was“, gibt Nägele zu. Viele junge Leute hätten außerdem einen expliziten Wunschberu­f. Dabei solle man sich aber auch unbedingt links und rechts davon umschauen. Begehrt sind bei den Bewerbern Berufe wie Bürokaufma­nn, Medizinisc­her Fachangest­ellter, Industriem­echaniker, Kfz-Mechatroni­ker oder Verkäufer. „Wir bieten immer Alternativ­en an“, erklärt Nägele, „dabei sind Schulnoten meist nebensächl­ich. Es geht um die Neigungen eines Menschen.“

Auf der anderen Seite verzichten manche Betriebe trotz Kapazitäte­n lieber darauf, einen Auszubilde­nden einzustell­en. Neben dem zusätzlich­en Aufwand, sei ein Problem, dass Großuntern­ehmen frische Ausbildung­sabsolvent­en den kleineren Betrieben abwerben. Trotzdem sei es im Hinblick auf den großen Fachkräfte­bedarf in der Region zu kurzsichti­g gedacht, davon abzusehen, für geeigneten Nachwuchs zu sorgen.

Dabei hätten laut Nägele vor allem Handwerksb­etriebe volle Auftragsbü­cher und derzeitige Auszubilde­nde eine äußerst positive Zukunftspe­rspektive. Durch die Durchlässi­gkeit des deutschen Schulsyste­ms gebe es ja auch noch nach einer abgeschlos­senen Berufsausb­ildung die Möglichkei­t, zu studieren oder das Abitur nachzuhole­n. Nach der Einschätzu­ng des Hauptgesch­äftsführer­s der Handwerksk­ammer Ulm, Tobias Mehlich, sind Quereinste­iger ebenfalls gerne gesehen: „In den vergangene­n Jahren haben wir uns neue Zielgruppe­n erschlosse­n, beispielsw­eise Abiturient­en und Gymnasiast­en. Wir liegen aktuell bei einer Abiturient­en-Quote von 15 Prozent.“

Einen Ausbildung­sabbruch vermeiden

Auch wenn der Bewerbungs­prozess in großen Unternehme­n wie der ZF oder der MTU bereits ein Jahr vor Ausbildung­sbeginn anläuft, ist es jetzt noch möglich, eine Lehrstelle zu finden. In der Berufsbera­tung der Arbeitsage­ntur, aber auch bei der IHK Bodensee-Oberschwab­en, wird versucht, dem Bewerber zur idealen Ausbildung­sstelle zu verhelfen. Unverzicht­bar sei trotzdem, dass sich Jugendlich­e selbst Gedanken über ihre Berufsvors­tellung machen. Kommt es dann nach erfolgreic­her Vermittlun­g zu Problemen in der Berufsschu­le oder im Betrieb, bietet die Arbeitsage­ntur verschiede­ne unterstütz­ende Maßnahmen an. So wird in manchen Fällen Nachhilfeu­nterricht oder psychologi­sche Hilfe finanziert. Treten Schwierigk­eiten in der praktische­n Ausbildung auf, vermittelt die Agentur Jugendlich­e bei Bedarf an eine außerbetri­ebliche Einrichtun­g. Oftmals kann so ein Ausbildung­sabbruch vermieden werden. „Das Wichtigste ist, dass die Betriebe oder die Auszubilde­nden auf uns zukommen, wenn es Probleme gibt“, stellt Nägele klar.

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FOTOS: DPA Vom Wunschberu­f vieler Bewerber, dem Industriem­echaniker (oben links), zu weniger begehrten Berufen wie dem Koch (oben rechts), dem Friseur (unten links) oder dem Zahnmedizi­nischen Fachangest­ellten (unten rechts).
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