Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Schlagabtausch auf dem Schlemmermarkt
Bei der SZ-Podiumsdiskussion diskutieren sechs Bundestagskandidaten.
FRIEDRICHSHAFEN - Auf Einladung der „Schwäbischen Zeitung“haben sich die sechs aussichtsreichsten Bundestagskandidaten des Bodenseekreises am Samstag zum Schlagabtausch auf dem Schlemmermarkt in Friedrichshafen getroffen. Im Zentrum standen die Themen Wohnraum, Digitalisierung und natürlich Flüchtlinge. Es entwickelte sich eine lebhafte Debatte, in deren Verlauf auch das Publikum zur Räson gerufen werden musste.
Der Bundestagswahlkampf – eine langweilige Angelegenheit? Vom Gegenteil durfte sich überzeugen, wer am Samstag den Auftritt der sechs Bundestagskandidaten auf dem Schlemmermarkt verfolgte. Wie nicht anders zu erwarten, sorgte vor allem das Thema Flüchtlinge dafür, dass die Emotionen sowohl bei den Kandidaten als auch bei den rund 400 Zuschauern hochkochten. AfD-Frontfrau Alice Weidel erklärte, dass „auch im Bodenseekreis die Übergriffe zugenommen haben“. Die Anschlussunterbringung in den Kommunen habe dafür gesorgt, dass am Bodensee die Mietpreise gestiegen sind. Diese These wollte Lothar Riebsamen natürlich nicht im Raum stehen lassen. „Schon bevor die Flüchtlinge kamen, gab es Zuzug in die Region“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete. Leon Hahn von der SPD kritisierte, dass die AfD die Angst vor Überfremdung schüre und provozierte Alice Weidel mit der Frage „Wissen Sie überhaupt, wie viele Menschen im Bodenseekreis leben?“. Eine Antwort erhielt er nicht. „Sie sind nicht in der Position, mir Fragen zu stellen“, antwortete Weidel kühl. Damit hatte sie irgendwie recht, weil das Diskussionsformat vorsah, dass tatsächlich nur der Moderator Fragen stellen darf – aber richtig souverän geht anders, dürfte sich wohl so mancher gedacht haben. Claudia Haydt von der Linken rief den Menschen auf dem Adenauerplatz zu, dass „Migration die Chance für Deutschland“sei und erntete dafür laute Buh-Rufe aus dem AfD-Fanblock.
Kontrovers ging es auch zu, als ein drängendes Problem des Bodenseekreises besprochen wurde: der Wohnraummangel. Eine wichtige Maßnahme, damit auch Normalverdiener sich Wohneigentum leisten könnten, ist für Christian SteffenStiehl (FDP) der Erlass der Grunderwerbsteuer, wenn erstmalig eine Immobilie unter 500 000 Euro erworben werde. Markus Böhlen von den Grünen sprach sich dafür aus, den Wohnungsbau anzukurbeln. Ähnlich sieht’s Leon Hahn, der den Wohnungsbau als „eine öffentliche Aufgabe“bezeichnete. Alice Weidel erkennt die wahre Ursache für hohe Mieten und Immobilienpreise in der Null-Zins-Politik beziehungsweise der EuroRettungspolitik. Neben steuerlichen Vorteilen fordert sie eine Verbesserung der Infrastruktur, damit die Arbeitsstätten besser erreichbar werden.
Apropos Verbesserung der Infrastruktur: Dieses Thema nannten alle sechs Kandidaten, als der Moderator der Podiumsdiskussion, SZ-Regionalleiter Martin Hennings, nach den Top drei der jeweiligen politischen Agenda fragte – wenn es denn mit dem Sprung in den Bundestag klappen sollte. Alice Weidel will zudem eine steuerliche Entlastung des Mittelstands und der Arbeitnehmer. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie höhere Investitionen in Bildung stehen für Christian SteffenStiehl ganz weit oben. Als Gesundheitspolitiker will sich Lothar Riebsamen dafür einsetzen, dass ein Modellversuch des Häfler Klinikums – mit dem die Lücke zwischen Krankenhaus und Pflegeheim geschlossen werden soll – bundesweit übertragen wird. Außerdem will er die innere Sicherheit stärken, unter anderem mit einer besseren Ausstattung der Polizei. Für Leon Hahn bleibt der Wohnraummangel das Thema Nummer eins, daneben sieht er auch Handlungsbedarf in der Armutsbekämpfung. Ins gleiche Horn blies Claudia Haydt. „Ich kämpfe dafür, das Hartz-IV-System zu überwinden.“Sie will zudem dafür kämpfen, dass die Waffenexportpolitik überdacht wird und die Rüstungsindustrie am Bodensee auf zivile Alternativen umstellt. Nicht verwunderlich ist, dass der Grüne Markus Böhlen mehr Aufmerksamkeit für die Umwelt schaffen will. In der Bodenseeregion müsse ein nachhaltiger Tourismus her und außerdem ein besserer ÖPNV.
Im Anschluss an die Fragerunde hatten die gut 400 Zuhörer auf dem Adenauerplatz auch die Möglichkeit, den Kandidaten auf den Zahn zu fühlen. Auf die Frage von Josef Müller, ob Aquakulturen im Bodensee zugelassen werden sollten, war sich die Runde nahezu einig: ein klares Nein von Riebsamen, Hahn, Böhlen, Haydt und Steffen-Stiehl – Alice Weidel gab zu, dass sie sich mit diesem Thema noch nicht so intensiv befasst habe, um eine belastbare Aussage zu treffen. Weniger einig war sich die Runde bei der Frage von Uwe Lichtenau, ob Amts- und Mandatsträger nach zwei Wahlperioden abgelöst werden sollten. Während vor allem die Vertreter der kleineren Parteien mit dieser Idee sympathisierten, sagte CDU-Mann Riebsamen: „Ich traue dem Volk zu, dass es selbst entscheiden kann, wann es genug hat von einer Regierung.“
„Ich bin durch Mark und Bein von dem Thema Infrastruktur geprägt.“Lothar Riebsamen (CDU)
„Wir wollen uns um diejenigen kümmern, die im Moment ganz unten sind.“Leon Hahn (SPD)
„Wir sind ganz bescheiden. Wir machen eine Zweitstimmenkampagne.“Claudia Haydt (Die Linke)
„Klima, Flucht, Terrorismus“– diese Probleme werden wir als Einzelstaat in Europa nicht lösen können.“Markus Böhlen (Bündnis 90/Die Grünen)
„Die FDP steht dafür, dass sie den Menschen mehr Eigenständigkeit zutraut.“Christian Steffen-Stiehl (FDP)
„Ich wäre schon froh, wenn es im Bodenseekreis ein stabiles Telefonnetz gäbe.“Alice Weidel (AfD)
„Nicht immer haben diejenigen, die lauter schreien, auch die besseren Argumente.“Martin Hennings, SZ-Regionalleiter und Moderator
Bewegte Bilder von der Podiumsdiskussion auf dem Häfler Schlemmermarkt finden Sie im Internet unter