Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Als der Kanzler ein vierblättriges Kleeblatt fand
Vor 50 Jahren traf sich der „Kressbronner Kreis“- Neue SZ-Serie blickt ein halbes Jahrhundert zurück
KRESSBRONN - Ein halbes Jahrhundert blendet die SZ in einer neuen Serie zurück, stets in den jeweiligen Monat vor 50 Jahren. Im September 1967 ging für Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) ein Urlaub in Kressbronn zu Ende, den er im Wohngebiet „Im Egg“im Haus von Max Grünbeck verbrachte, des damaligen Oberbürgermeisters von Friedrichshafen. Zugleich wird dies als „Geburtsstunde“des „Kressbronner Kreises“gesehen.
Mit ihm ist die Festigung der seit Dezember 1966 existenten, großen Koalition aus CDU/CSU und SPD verknüpft – angeführt von Kurt Georg Kiesinger (bis 1969, ehe dann eine sozialliberale Koalition folgte). Später hätten die Spitzen des Bündnisses in gelockerter Atmosphäre meist dienstags in Bonn getagt, heißt es.
Sehr nah dran am Geschehen war Ende August und Anfang September 1967 die Schwäbische Zeitung, näher dran noch Bürgermeister Franz Frick. Da des Kanzlers Telefonnummer geheim blieb, habe bei ihm Tag und Nacht das Telefon geklingelt, war damals zu hören. Am Ankunftstag des 14-tägigen Urlaubs hatte Frick der prominenten Familie Blumen überreicht – und die Musikkapelle Kressbronn spielte dazu auf.
Auch in der Folge sei Kiesinger fast täglich in der Gemeinde spazieren gegangen - was Kressbronn eine Erwähnung bis in die Weltpresse bescherte. Als sein bevorzugter Badeort war schnell der Schleinsee ausgemacht, und so stellten sich auch dort auswärtige Badegäste ein, „durchschwammen das Gewässer und riefen dem Regierungschef vom Wasser aus Begrüßungsworte zu“, wie die SZ-Berichterstatter herausfanden.
Ebenfalls hin zum Schleinsee ging es für Kiesinger und SZ-Redakteur Chrysostomus Zodel nach einem einstündigen Gespräch, das der spätere Chefredakteur im Artikel so beschließt: „Auf der Wiese vor dem kleinen See findet der Kanzler ein vierblättriges Kleeblatt. Ein Kriminalbeamter verwahrt es im Autoatlas. Solches Glück war dem Bundeskanzler in Kressbronn schon zum zweiten Mal hold. Das erste Mal waren Brandt und Wehner die Zeugen. Als Herbert Wehner seinem Freunde Konrad Ahlers davon berichtete, schloss er mit dem knappen Nachsatz: ,Dem glückt auch alles.’
Ausführlich beschrieben wurde der Besuch von Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß, zu dem sich um 9 Uhr auch bereits ein Fernsehteam des ZDF angesagt hatte. Allerdings mussten die Journalisten bis 11.40 Uhr ausharren, bis Strauß eintrifft. Sein Flieger habe – von München kommend - wegen Nebels nicht zur vorgesehenen Zeit in FNLöwental (so der damalige Name des heutigen Bodensee-Airports) landen können.
Die Zwischenzeit wurde für die Presse durch den Besuch eines Fischbachers namens Georg Stärk verkürzt - des späteren „Störr Schorsch“. Bei der Seegfrörne im Februar 1963 hatte er die Eisprozession zwischen Münsterlingen und Hagnau angeführt und war dafür mit einer Ehrenurkunde bedacht worden. Der Fortgang laut SZ: „Bescheidene Bitte: Der Kanzler möge doch so lieb sein, nachträglich seine Unterschrift auf das Dokument zu setzen. Ein Sicherheitsbeamter nimmt das Schreiben entgegen und verspricht, es der Sekretärin des Kanzlers, Fräulein Franke, zur weiteren Veranlassung zu übergeben.“
Neben dem Politikerbesuch ist Kiesinger aber auch der Kirchbesuch mit Familie wichtig, der sich zu einem kleinen Volksfest auswächst – und das abschließende Abendessen mit Familie Frick in der „Kapelle“. Gänzlich inoffiziell und ohne Vorbestellung sei es über die Bühne gegangen, hieß es im SZ-Bericht vom 5. September 1967. Und weiter: „Die meisten Gäste im Lokal wurden erst aufmerksam, als das Klatschen der draußen sich schnell sammelnden menge in die Räume hallte. (...) In seiner gewinnenden Art, nach seinen Wünschen befragt, sagte der Kanzler, der von Frau Anni Ortlieb empfangen und in das gemütliche Bauernstüble geleitet wurde, er möchte ,etwas Schwäbisches’ essen. Aus der Speisekarte wählte er Jägerbraten/Hirschfilet und dazu einen einheimischen Wein, Kressbronner Sylvaner. Als Vorspeise gab es geräucherte Forelle.“
Da der Kanzler zudem hochkarätigen Besuch empfing, wurde extra ein „Ehrenbuch“angeschafft - „der Gemeinderat erteilte seine Zustimmung zu der Beschaffung“, war am 8. September 1967 der SZ zu entnehmen. In dieses trugen sich neben Kiesinger noch Willy Brandt (SPD, Vizekanzler und Außenminister), CDUGeneralsekretär Bruno Heck, FranzJosef Strauß (CSU, Finanzminister) und Herbert Wehner (SPD, gesamtdeutscher Minister) ein. Außerdem sollen auch noch Helmut Kohl, Rainer Barzel und Richard Stücklen in Kressbronn geweilt haben: Als Themen wurden Fragen der Außen- und Innenpolitik sowie der mittelfristigen Finanzplanung, genannt.
Durch Franz Frick ließ Kiesinger übrigens am Abschluss seines Besuchs Dank für die freundliche Aufnahme in der Gemeinde ausrichten samt herzlichen Grüßen an Gemeinderat und Bevölkerung.
Dem „Kressbronner Kreis“wurde nachgesagt, dass er Entscheidungen traf, die später in offiziellen Gremien ausführlich diskutiert wurden. Helmut Schmidt (SPD) und Rainer Barzel (CDU/CSU) hätten dafür gesorgt, dass die parlamentarischen Hürden reibungslos genommen wurden, dies bei Gesetzen zur Finanzplanung und Steuerpolitik.