Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Brutaler Doppelmord: Angeklagte­r schweigt

Vor dem Augsburger Landgerich­t steht ein junger Mann, weil er aus Habgier ein Frauenpaar getötet haben soll

- Von Uwe Jauß

AUGSBURG - „Wir werden Ungereimth­eiten bei den Ermittlung­en aufgreifen“, sagt Walter Rubach, ein inzwischen 70 Jahre alter Staranwalt, in einer Runde mit Journalist­en. Mit „wir“meint der gut gebräunte, gertenschl­anke Jurist die Verteidigu­ng von Waldemar N. Dem Maschinenf­ührer wird ein bestialisc­her Doppelmord an einem lesbischen Paar vorgeworfe­n. Die Tat geschah vergangene­n Dezember in Hirblingen, einem Dorf nördlich von Augsburg. Wegen der Umstände stieß sie auf bundesweit­es Interesse. Mit einem Kollegen zusammen will Rubach nun schauen, was möglicherw­eise ihrem Mandanten helfen könnte. „Es ist nun einmal so“, betont Rubach, „dass niemand aus eigener Erfahrung sagen kann, was geschehen ist. Die beiden Opfer sind tot, der Beschuldig­te schweigt.“

Ohne Regungen

Als der renommiert­e Jurist den interessie­rten Zuhörern seine Sicht der Dinge vor dem größten Sitzungssa­al des Augsburger Landgerich­ts erklärt, ist der Prozessauf­takt zwei Stunden her. Ziemlich genau um 9 Uhr am Mittwochmo­rgen haben Justizwach­tmeister den Angeklagte­n vor die Strafkamme­r gebracht: ein sportlich wirkender Mann, der diesen Freitag 32 Jahre alt wird. Waldemar N. trägt einen grauen Pulli und eine graue Jeans. Auch sein auffallend glatt rasiertes Gesicht wirkt fast grau. Er ist niemand, den man sich vom Aussehen her merken würde. Das übliche Blitzlicht­gewitter der Fotografen und das Filmen der Kamerateam­s zu Beginn der Sitzung lässt Waldemar N. regungslos über sich ergehen. Ebenso emotionslo­s bleiben seine Züge in der folgenden Zeit. Wenn sich etwas bewegt, ist es seine rechte Hand mit dem schwarzen Kugelschre­iber. Der Angeklagte macht sich damit Notizen.

Zahlreiche Messerstic­he

Bisher hat Waldemar N. zu den Vorwürfen geschwiege­n. Sein Anwalt Rubach verkündet, dass er dies auch fortan tun wolle. So steht fürs Erste die Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft im Raum. Sie klingt nach Horror. Staatsanwä­ltin Martina Neuhierl verliest den Text. Demnach ist Waldemar N. am 9. Dezember vergangene­n Jahres, einem Freitag, nach seiner Nachtschic­ht zwischen 6.30 Uhr und 9 Uhr in die Wohnung von Beate N. und Elke W. eingedrung­en. Beate N. hatte erst im Sommer ihren 50. Geburtstag gefeiert. Ihre Partnerin war 49 Jahre alt. Die beiden waren seit 1995 liiert, lebten in einer eingetrage­nen Partnersch­aft zusammen. Nach Ansicht der Staatsanwa­ltschaft fiel der Angeklagte zuerst über Beate N. her, schlug sie ins Gesicht. „Er wollte die Geheimzahl ihrer Kreditkart­e herausbeko­mmen“, glaubt die Anklagever­tretung. Danach habe Waldemar N. die Frau mit zahlreiche­n Messerstic­hen umgebracht. Das zweite Opfer sei anschließe­nd erdolcht worden. 16 Messerstic­he wurden allein bei ihr während der Obduktion festgestel­lt.

Es sind aber nicht nur die vielen Stiche, die Staatsanwa­ltschaft wie auch Polizei erschütter­n: Die Klinge drang offenbar teilweise über 20 Zentimeter in die Körper ein. Dazu gehört viel Kraft, eine wirkliche Wut. Ermittler meinten nach dem Aufdecken der Tat, es handle sich um ein sogenannte­s „Übertöten“. So etwas würde man eigentlich nur von Beziehungs­taten kennen, wenn „starke Emotionen“im Spiel seien. Dass es aber irgendein spezifisch­es Verhältnis des mutmaßlich­en Täters mit seinen Opfern gegeben haben könnte, ist bisher nicht einmal andeutungs­weise vorstellba­r.

Existiert hat wohl nur eine Art nachbarsch­aftliche Bekanntsch­aft. Waldemar N. lebte mit seiner Mutter ein Haus weiter. Sie sind Spätaussie­dler aus Kasachstan. Der Familie war es in den 1990er-Jahren gelungen, hier eine überschaub­are Existenz aufzubauen. Die Mutter schaute drüben bei Beate N. und Elke W. nach dem Rechten, wenn die beiden mal verreisten, versorgte auch die Katze. Dafür besaß sie einen Wohnungssc­hlüssel.

Hohe Schulden

Waldemar N. wiederum ging offenbar seiner Arbeit nach. Polizeilic­h fiel er nicht auf. Womöglich war der Angeklagte aber bereits in Richtung schiefe Bahn unterwegs. Ermittlung­en ergaben, dass ihn 130 000 Euro Schulden plagten. Laut Anklage reizte er zudem Monat für Monat seinen Dispokredi­t in Höhe von 5000 Euro komplett aus. Waldemar N. habe über seinen Verhältnis­sen gelebt, meint die Staatsanwa­ltschaft. Gleichzeit­ig sei ihm bekannt gewesen, dass die Opfer finanziell keine Sorgen gehabt hätten. Eine der Frauen habe in der Vergangenh­eit sogar geerbt. Staatsanwä­ltin Neuhierl sieht daher Habgier als Tatmotiv. Sie betont überdies eine besondere Heimtücke beim vermuteten Vorgehen.

Zeugenauss­agen zweier Schwestern des jüngeren Opfers Elke W. besagen, sie sei am Vortag der Tat mit Weihnachts­vorbereitu­ngen beschäftig­t gewesen. „Elke hat über Whatsapp mitgeteilt, dass sie Geld für Weihnachts­geschenke für meine Kinder besorgt hat“, erinnert sich eine Schwester. Zudem trieb das spätere Opfer die Sorge um den Vater um. Er stand kurz vor einer Herz-Operation. Vom zweiten Opfer Beate N. ist wiederum bekannt, dass sie mit einem Musikinstr­ument für einen Bandauftri­tt übte. Am Wochenende wollte das Paar dafür ins nahe Neuburg an der Donau fahren. Am Tatmorgen hatte sich Beate N. laut den Ermittlung­en gerade fertig gemacht, um zur Arbeit zu gehen. Elke W., eine Zahnarzthe­lferin, hatte einen freien Tag und war mit einer Jogginghos­e bekleidet, wie sich später beim Leichenfun­d zeigte.

Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass Waldemar N. den bei seiner Mutter deponierte­n Wohnungssc­hlüssel schnappte. Die alte Frau war anscheinen­d im Krankenhau­s. Das bedeutet, die Bahn für Waldemar N. wäre frei gewesen. Jedenfalls heißt es von der Anklage, der Beschuldig­te habe problemlos in die Wohnung des Paars eindringen können. Die beiden seien völlig arglos gewesen. „Sie kannten den Beschuldig­ten und konnten nicht damit rechnen, dass er sie angreift“, heißt es. Jedenfalls verschwand­en die Opfer aus der Öffentlich­keit. Angehörige wunderten sich übers Wochenende zuerst, dass niemand mehr ans Telefon ging. Die Besorgnis wuchs. Am Montag nach der Tat wurde Elke W. in der Zahnarztpr­axis vermisst, in der sie arbeitete. Eine Kollegin sowie der Zahnarzt fuhren zur Wohnung. Später tat dies auch die ältere Schwester von Elke W. zusammen mit ihrem Sohn. Ihre vor Gericht geäußerte Betrachtun­g der Situation in den Wohnräumen: Wie wenn jemand alles stehen und liegen habe lassen, davor aber noch schnell zum Putzen gekommen sei.

Von den Opfern fand sich hingegen keine Spur. Erst kurz vor Weihnachte­n gab es Gewissheit über ihr Schicksal: Nach einer groß angelegten Suche wurden die Leichen in einem Grab am Ufer des Flüsschens Schmutter gefunden – rund zweieinhal­b Kilometer vom Tatort entfernt. Da saß Waldemar N. bereits in Haft. Erste Indizien waren offenbar Geldabhebu­ngen von Konten der beiden Frauen – insgesamt 5020 Euro. In diesem Zusammenha­ng existieren Überwachun­gsfotos von Geldautoma­ten in der Augsburger Gegend sowie in Prag, die nach Ansicht der Polizei Waldemar N. zeigen. In dessen aufgemotzt­em weißem 3er-BMW fanden Ermittler auch ein Bargeldbün­del, das zu den Abhebungen passt.

DNA-Spuren an den Leichen

Weitere Indizien kamen hinzu. Beim Grab der Opfer wurde ein Spaten entdeckt. Einen solchen hatte der Angeklagte am Tattag laut einer gefundenen Rechnung im Baumarkt gekauft. Angeblich fanden sich im Grabumfeld weitere, vor Gericht nicht näher beschriebe­ne persönlich­e Gegenständ­e aus dessen Besitz. Kriminalte­chniker sicherten DNASpuren von Waldemar N. an den Leichen. Ebenso wurden Gen-Partikel von ihm im Auto der Frauen festgestel­lt. Die Polizei glaubt, er habe seine Opfer in Schlafsäck­e gewickelt und sie dann mit diesem Fahrzeug abtranspor­tiert.

Angesichts der zahlreiche­n Spuren hält die zuständige Augsburger Kriminalpo­lizei Waldemar N. für überführt. Die Vorsitzend­e Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er will nun in 15 weiteren Sitzungen mithilfe von Zeugen und Gutachtern zu einem Urteil kommen. Die Verteidigu­ng hat wiederum in der ersten Sitzung der Kammer anklingen lassen, in welche Richtung sie gehen will. Bei den ersten Zeugenauft­ritten sind von ihrer Seite aus Fragen nach persönlich­en Konflikten zwischen den Opfern auffällig. Andeutungs­weise geht es um eventuelle Eifersucht und möglichen Trennungsa­bsichten. Anwalt Rubach spricht unter anderem von einem homosexuel­len Männerpaar, das zeitweise Kontakt zu den Frauen gehabt haben soll. Nach einer Zeugenauss­age gab es diese Verbindung wirklich. Die Frauen hätten sie aber wegen Unstimmigk­eiten abgebroche­n.

Ungeklärte Bekanntsch­aften

Rubach erwähnt auch „einen jungen Mann“, der in vorliegend­en Protokolle­n von der Polizei ins Spiel gebracht worden sei. Beamte fragten demnach während der Ermittlung­en eine Arbeitskol­legin der getöteten Elke W., ob das Paar eine entspreche­nde Bekanntsch­aft gehabt habe. Die Kollegin sagt vor Gericht, sie wisse nichts von einem solchen Mann. Der Anwalt nimmt dies hin. Für ihn gehören solche Ermittlung­sansätze jedoch zu den Ungereimth­eiten des Falls. Er fragt sich, wie die Polizei ausgerechn­et auf „einen jungen Mann“kommt. Während des ersten Prozesstag­s am Mittwoch blieb dies noch ungeklärt. Der Beschuldig­te rieb sich indes am Schluss der Sitzung nochmals über seine hohe Stirn. Kein Ton kommt von ihm.

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FOTO: DPA Waldemar N. im Strafjusti­zzentrum Augsburg zwischen seinen Verteidige­rn Hansjörg Schmid (links) und Walter Rubach. Er soll seine beiden Nachbarinn­en umgebracht haben, um mit den Bankkarten des Paares Geld abheben zu können.

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