Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Funkstille zwischen Barcelona und Madrid

Stichtag Montag: Katalonien macht mit „Scheidung“von Spanien Ernst

- Von Ralph Schulze

MADRID - Lange schwieg er, dann haute er mit der Faust auf den Tisch. Mit ernster Miene und entschloss­enen Worten griff Spaniens König Felipe in den Katalonien­konflikt ein. Ganz Spanien saß gerade beim späten Abendessen, als der königliche Staatschef und Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te die bisher wichtigste Ansprache seiner dreijährig­en Amtszeit hielt. „Wir durchleben gerade sehr schlimme Momente für unser demokratis­ches Leben“, sagte er mit dramatisch­er Stimme. Dann beschuldig­te er die katalanisc­he Separatist­enregierun­g, eine Rebellion gegen Spanien anzuführen, „um auf illegale Weise die Unabhängig­keit zu erklären“.

Königliche Lizenz

77 Prozent der Spanier verfolgten Felipes Rede. Im zerrissene­n Katalonien, wo die Bevölkerun­g in ein antispanis­ches und ein prospanisc­hes Lager geteilt ist, saßen sogar 84 Prozent vor dem Fernseher. Rekordeins­chaltquote­n, die sonst nur bei Fußballfin­alspielen mit spanischer Beteiligun­g erreicht werden. Es gibt wenig Zweifel, dass seine Rede die indirekte königliche Lizenz dafür ist, demnächst Spaniens schwerste Gesetzeske­ule zu aktivieren: Die zwangsweis­e Entmachtun­g der katalanisc­hen Regierung.

Artikel 155 der spanischen Verfassung erlaubt diesen schweren Eingriff in die regionale Autonomie, wenn die dortige Führung fortgesetz­t gegen Gesetze sowie die Verfassung verstößt und „schwerwieg­end das allgemeine Wohl Spaniens verletzt“. Damit könnte Spaniens Regierung, nach Billigung durch den spanischen Senat (das parlamenta­rische Oberhaus), die Region befristet unter ihre Kontrolle stellen. Und möglicherw­eise sogar das katalanisc­he Parlament auflösen, auch wenn dieser Extremfall unter Verfassung­srechtlern umstritten ist.

Der Ernstfall wird vermutlich spätestens dann eintreten, wenn Katalonien­s Separatist­en die einseitige Unabhängig­keitserklä­rung verabschie­den. Dies werde, kündigte der katalanisc­he Ministerpr­äsident Carles Puigdemont in einem Interview mit dem britischen Nachrichte­nsender BBC an, nur noch „eine Frage von Tagen“sein.

Möglicherw­eise ist es schon am kommenden Montag so weit, wenn Puigdemont vor dem katalanisc­hen Parlament erscheinen will, „um die Ergebnisse des Referendum­s vom 1. Oktober zu bewerten“. In dem illegalen Referendum, das von Spaniens Verfassung­sgericht verboten worden war, hatten nach dem vorläufige­n Ergebnis 90 Prozent der Wähler für die Unabhängig­keit gestimmt, 42 Prozent der Wahlberech­tigten hatten mitgemacht; die prospanisc­hen Parteien hatten zum Boykott aufgerufen. Spaniens Regierung hatte vergeblich versucht, die verbotene Abstimmung mit einem brutalen Polizeiein­satz zu verhindern.

Das Abstimmung­sergebnis ist mehr als fragwürdig und wird wegen der irreguläre­n Wahlbeding­ungen weder von Spanien noch von der internatio­nalen Staatengem­einschaft anerkannt werden. Zumal es sicherlich auch nicht dem wahren Meinungsbi­ld in der nordostspa­nischen Region entspricht, das sich realistisc­her in den aktuellen Machtverhä­ltnissen des katalanisc­hen Parlaments in Barcelona widerspieg­elt. Dort regiert die Separatist­enfront Puigdemont­s mit einer knappen Mehrheit der Mandate , die vor zwei Jahren mit nur 47,8 Prozent der Stimmen errungen wurde.

Auch durch Zwangsmaßn­ahmen der spanischen Regierung will sich Katalonien­s Separatist­enchef nicht auf seinem Weg beirren lassen. Die drohende Suspendier­ung der katalanisc­hen Autonomie oder auch eine zunehmend wahrschein­lichere Anklage der Separatist­enregierun­g bezeichnet­e er als „definitive­n Irrtum“. Denn der wachsende Druck aus Madrid mache die Unabhängig­keitsbeweg­ung nur noch stärker. Puigdemont betonte, derzeit herrsche Funkstille zwischen Barcelona und Madrid.

Spaniens konservati­ver Regierungs­chef Mariano Rajoy, der mit König Felipe in engem Kontakt steht und dessen Krisenrede absegnete, enthüllte bisher nicht, wie er die katalanisc­he Unabhängig­keitsfahrt stoppen will. Dafür äußerte sich aber Rajoys Krisenmana­gerin, Vize-Regierungs­chefin Soraya Sáenz de Santamaría: „Die Regierung hat alles vorbereite­t, um das katalanisc­he Volk zu schützen, dessen allgemeine­s Wohl am meisten verletzt wird“, sagte sie vieldeutig, aber ohne Einzelheit­en preiszugeb­en.

 ?? FOTO: DPA ?? Gespaltene Katalonen: Auf den Straßen von Barcelona haben in den vergangene­n Tagen sowohl Gegner (li.) als auch Befürworte­r der Unabhängig­keit demonstrie­rt.
FOTO: DPA Gespaltene Katalonen: Auf den Straßen von Barcelona haben in den vergangene­n Tagen sowohl Gegner (li.) als auch Befürworte­r der Unabhängig­keit demonstrie­rt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany