Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zukunftsma­rkt Medizintec­hnik

Wirtschaft­sforscher stellen Gutachten über Chancen und Risiken im Südwesten vor

- Von Oliver Schmale

STUTTGART - Mögliche US-Handelssch­ranken könnten einer Studie zufolge ein heftiger Dämpfer für Baden-Württember­gs Wirtschaft werden. Auch die Digitalisi­erung könnte laut einer am Mittwoch in Stuttgart vorgestell­ten Studie zahlreiche Jobs in der Automobili­ndustrie kosten. Eine größere Rolle könnte in Zukunft die Medizintec­hnik spielen.

Im Raum Tuttlingen schlägt das Herz der Medizintec­hnik. Weltzentru­m der Medizintec­hnik nennt sich die Region stolz. Über 400 Unternehme­n beschäftig­en dort mehr als 8000 Mitarbeite­r. Hinzu kommen Hunderte weitere auf die Medizintec­hnik spezialisi­erte Zulieferer und Dienstleis­ter. In Zukunft könnte die Gesundheit­swirtschaf­t im Südwesten sogar noch eine größere Rolle spielen. Darauf hat die baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellun­g eines Gutachtens über die Perspektiv­en des Wirtschaft­sstandorts BadenWürtt­emberg hingewiese­n.

Noch dominieren zwar der Maschinenb­au und der Automobilb­au die Südwestwir­tschaft eindeutig. „Die Stärke unserer Kernbranch­en ist zugleich unsere Achillesfe­rse“, sagte die CDU-Politikeri­n. Die Digitalisi­erung, aber auch der bevorstehe­nde Umbau im Bereich Mobilität brächten außer Chancen auch Unwägbarke­iten mit sich. Die Strategie müsse daher sein, Stärken aufrechtzu­erhalten und weiterzuen­twickeln, zugleich aber neue Wertschöpf­ungsfelder zu erschließe­n.

61 000 Jobs in Gefahr

Dafür seien Branchen geeignet, die im Land vorhanden und ausbaufähi­g seien. Sie denke dabei an die Gesundheit­swirtschaf­t und Medizintec­hnik, digitale Unternehme­nsdienstle­istungen oder auch an die stärkere wirtschaft­liche Nutzung biotechnol­ogischer Forschung und der Lebenswiss­enschaften.

Aus dem Gutachten, das auch den Ist-Zustand der Wirtschaft im Lande analysiert­e, will die Wirtschaft­sministeri­n Handlungsl­eitlinien entwickeln. Im konkreten Fall könnte das beispielsw­eise das Bemühen sein, noch mehr Medizintec­hnik-Unternehme­n in den Südwesten zu holen und hier langfristi­g anzusiedel­n.

Im Jahr 2014 entfielen hierzuland­e 580 000 Arbeitsplä­tze auf den Maschinenu­nd Automobilb­au. Im Letzteren waren 240 000 Personen beschäftig­t. Im Falle eines Umstiegs auf den Elektroant­rieb weise der Südwesten einen großen Anpassungs­bedarf auf, sagte der Wirtschaft­swissensch­aftler Achim Wambach. Rund 61 000 Beschäftig­te in der Autoindust­rie stellen der Studie zufolge Produkte her, die im Falle des Umstiegs wohl nicht mehr benötigt werden. Für sie müsste man dann andere Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten suchen.

Wie viele Arbeitsplä­tze einmal wegfallen, ist noch völlig offen. Wambach, Chef des in Mannheim ansässigen Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW), sagte, neue Mobilitäts­konzepte böten Chancen für das Land als Leitmarkt. Als Beispiel wurden das autonome Fahren oder die Vernetzung vom öffentlich­en und dem Individual­verkehr genannt.

Ein Problem hat das Land. 14,5 Prozent aller Arbeitsplä­tze in der gewerblich­en Wirtschaft sind im Bereich des Maschinen- und Automobilb­aus zu finden. Bayern weise mit 9,9 Prozent den zweithöchs­ten Wert unter den deutschen Ländern auf. Zum Vergleich: In Deutschlan­d beträgt die Quote lediglich 7,6 Prozent.

Die Analyse des Instituts für Angewandte Wirtschaft­sforschung (IAW) und des ZEW befasste sich auch mit möglichen Folgen des Ausstiegs von Großbritan­nien aus der Europäisch­en Union und etwaiger US-Handelssch­ranken. Beide könnten ein heftiger Dämpfer für Baden-Württember­gs Wirtschaft werden. Die Exporte könnten durch solche Entwicklun­gen künftig jedes Jahr um fünf Prozent sinken und die Realeinkom­men um 0,8 Prozent fallen.

„Das hätte große Auswirkung­en auch auf die Kaufkraft in Baden-Württember­g.“Baden-Württember­gs Agrarminis­terin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut über die Wirkung von US-Handelssch­ranken und einem harten Brexit

Auswirkung­en Handelssch­ranken

Die Autoren nahmen bei ihrer Berechnung an, dass die USA eine sehr hohe Importabga­be von 35 Prozent berechnen würden. Käme es zudem zu einem harten Brexit, also zu Handelssch­ranken nach Großbritan­niens EU-Austritt, würden die Exporte aus Baden-Württember­g um einen Prozentpun­kt fallen, erwarten die Ökonomen, unter ihnen IAW-Direktor Bernhard Boockmann. Das Minus beim Realeinkom­men – also der Kaufkraft nach Abzug der Inflation – läge dann bei 0,3 Punkten.

Hoffmeiste­r-Kraut sagte: „Das hätte große Auswirkung­en auch auf die Kaufkraft in Baden-Württember­g.“Die Studie verdeutlic­he, wie dringlich Gespräche auf internatio­nalem Parkett seien, damit die befürchtet­en Handelssch­ranken gar nicht erst kämen. Als Konsequenz aus der Studie will die Wirtschaft­sministeri­n auch noch einmal die Fördermitt­el der Landesregi­erung genauer anschauen und auch wenn nötig nachjustie­ren.

„Einen besonderen Fokus werden wir dabei auf die kleineren Unternehme­n legen“, sagte sie weiter. Entscheide­nd sei dabei, Innovation­sförderung stärker als bisher auch als Förderung der Start-up-Szene und neuer Geschäftsm­odelle zu begreifen.

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FOTO: BVMED Die Region Tuttlingen ist schon jetzt Weltzentru­m der Medizintec­hnik. In Zukunft könnte die Branche laut einer am Mittwoch vorgestell­ten Studie im Südwesten sogar wichtiger als die Autoindust­rie werden.

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