Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ärzteinitiative macht mobil
Forderung: „Antibiotikavergabe in der Massentierhaltung muss verboten werden“
FRIEDRICHSHAFEN - Die vorübergehende Schließung der Intensivstation des Klinikums Friedrichshafen, eine geplante Massentierhaltung in Ostrach und die Weigerung von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), Antibiotika in der Massentierhaltung zu verbieten, haben den Eriskircher Arzt Helmut Beiter alarmiert. Er hat Kollegen angerufen und fordert mit ihnen in einer Anzeige das Verbot von Antibiotika in der Massentierhaltung.
„Wenn Intensivstationen wegen resistenter Keime schließen, wie jetzt in Friedrichshafen, dann versteht auch der Laie, dass die Infektion (mit schlecht oder nicht mehr behandelbaren Keimen) jetzt jeden treffen kann.“So beginnt der Anzeigentext, mit dem die „Ärzteinitiative-Bodenseekreis“ein sofortiges Verbot von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung fordert.
Diese Vergabe von Antibiotika in der Tierhaltung sei in der Tat ein großes Problem, sagt auch die HygieneVerantwortliche am Medizin-Campus Bodensee, Brigitte Rüstau. Nicht das Klinikum sei verantwortlich, wenn resistente Keime gefunden würden. Das sind Keime, gegen die durch Mutationen der Bakterien die Medizin keine Wirkung mehr hat. Diese würden immer häufiger auftreten und gerade durch solche Massentierhaltungen entstehen. „In der Tierhaltung werden bundesweit jährlich rund 1700 Tonnen Antibiotika verfüttert. Bei Hähnchen und Puten in erster Linie als Wachstumsförderer. In den deutschen Kliniken sind es vier Tonnen, die dort ausschließlich als Medikament vergeben werden“, sagt Brigitte Rüstau.
Bei Patienten, die aus Risikogruppen stammen, müssen sogenannte Screening-Verfahren gestartet werden. Diese Gruppe ist vom RobertKoch-Institut definiert und setzt sich aus Tierärzten, Landwirten und anderen Mitarbeitern in oder rund um die Massentierhaltungen sowie Patienten mit vorheriger Antibiotikabehandlung zusammen. Bei diesem Screening werden immer häufiger solche multiresistenten Keime gefunden, gegen die es keine Behandlungsmethoden gibt. Ein Screening ist ein Nasen- und Rachenabstrich sowie ein Rektalabstrich bei den Patienten, selbst wenn die nur ein Bein gebrochen haben.
„Die Keime treten auch in zwei bis drei Kilometern Entfernung von den Ställen im Abwasser auf“, sagt Rüstau. „Ihr vermehrtes Auftreten führt dazu, dass die Kliniken, die ihre Arbeit richtig machen, auch häufiger diese Keime finden.“
Die Schließung der Intensivstation in Friedrichshafen sei dabei nur eine Vorsichtsmaßnahme gewesen, damit die Keime sich nicht ausbreiten oder bei den jeweiligen Patienten für Komplikationen sorgen. Resistente Keime könnten in der Darmflora angesiedelt sein und keinerlei Schaden verursachen. Gelangen sie aber in andere Bereiche des Körpers, könne es gefährlich werden, und da sie resistent sind, seien sie nicht behandelbar, sagt die Hygienefachfrau Brigitte Rüstau.
Arzt will aufmerksam machen
Helmut Beiter hat sich seit Jahren mit dem Thema befasst. Schon im Studium begegnete ihm das Buch der Biologin Rachel Carson, „Der stumme Frühling“, das als Initialzündung für die weltweite Umweltbewegung gesehen wird. „Ich habe auf der Agrarmesse in Friedrichshafen einen Informationsstand betreut, um auf die Probleme aufmerksam zu machen“, sagt Helmut Beiter. Seit er pensioniert ist, habe er Zeit dazu. Die Nachricht über einen geplanten 1000-Tiere-Stall in Ostrach und die temporäre Schließung der Intensivstation in Friedrichshafen habe ihn dazu gebracht, rund 100 ihm bekannte Kollegen anzuschreiben, von denen 33 geantwortet hätten und sich an der Anzeige beteiligen wollten. „Möglicherweise waren viele im Urlaub, andere habe ich nicht erreicht, die können sich noch melden und teilnehmen“, sagt Beiter. Die Reserveantibiotika, die in der Tierhaltung verabreicht werden, seien für die Humanmedizin weit wichtiger, so Beiter. Man müsse auf diese Probleme vermehrt aufmerksam machen. Wie es jetzt weitergehen soll, weiß er noch nicht. Auf jeden Fall will er das Thema in die Öffentlichkeit tragen.