Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

IGR: Arbeitszei­t soll flexibler werden

Interregio­naler Gewerkscha­ftsrat warnt vor Aufweichun­g des Arbeitszei­tgesetzes

- Von Kirsten Lichtinger

FRIEDRICHS­HAFEN -Der Interregio­nale Gewerkscha­ftsrat Bodensee (IGR) hat sich am Mittwochmo­rgen im Zeppelin-Restaurant zu einem Pressegesp­räch getroffen. Im Fokus stand das Thema Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t, vor allem im Hinblick auf die zunehmende Digitalisi­erung der Arbeitswel­t. Die im IGR zusammenge­schlossene­n Gewerkscha­ftsverbänd­e DGB, ÖGB, SGB/ Travail.Suisse und LANV berichtete­n über die konkreten Situatione­n in den Ländern Deutschlan­d, Österreich, Schweiz und Liechtenst­ein.

Jens Liedtke vom DGB Südwürttem­berg stellte drei Ziele des IGR vor: „Erstens: Wir sagen Ja zur Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t. Zweitens: Die Arbeitnehm­er müssen mit einbezogen werden. Und drittens darf es nicht auf Kosten der Gesundheit der Beschäftig­ten gehen.“Allen Ländern gemeinsam ist die unterschie­dliche Auffassung von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t. So gehe es den Beschäftig­ten oft darum, die Lebensarbe­itszeit flexibler zu gestalten und beispielsw­eise während Zeiten der Kindererzi­ehung weniger zu arbeiten. Die Wirtschaft­sverbände wollten dagegen eine Ausweitung der täglichen und wöchentlic­hen Arbeitszei­t, um flexibel reagieren zu können, aber auch um auf die Bezahlung von Überstunde­nzuschläge­n verzichten zu können.

Bereits heute würden in Deutschlan­d 1,8 Milliarden Überstunde­n geleistet, die Hälfte davon unbezahlt. „Wir müssen aufpassen, dass bei den anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen das Arbeitszei­tgesetz nicht aufgeweich­t wird“, warnte Liedtke. Das Arbeitszei­tgesetz ermögliche bereits jetzt viele Abweichung­en und in Tarifvertr­ägen werden Rahmenbedi­ngungen für flexible Arbeitszei­tmodelle definiert, die die Betriebe dann flächendec­kend umsetzen könnten. Auch die österreich­ischen Wirtschaft­sverbände fordern eine Modernisie­rung des Arbeitszei­tgesetzes und eine Senkung der Lohnnebenk­osten. „Konkret reden wir dabei von einer Anhebung der täglichen Höchstarbe­itszeit auf zwölf Stunden, einer 60-Stunden-Woche, einem zweijährig­en Durchrechn­ungszeitra­um und mehr Spielraum auf Betriebseb­ene“, stellte Wolfgang Fritz vom ÖGB Vorarlberg klar. Das sei nicht im Sinne der Arbeitnehm­er. Er verwies auf das Zukunftsmo­dell „Freizeitop­tion“. Dabei bewirke der einmalige Verzicht auf eine Lohnerhöhu­ng etwa eine Woche mehr bezahlte Freizeit im Jahr. Diese Option gebe es seit 2013 in mehreren Branchen, das Interesse daran sei riesig.

Stress, Überarbeit­ung, Burnout

Einen Großangrif­f auf das Arbeitszei­tgesetz gab es letztes Jahr in der Schweiz. „Ziel war es, im Dienstleis­tungssekto­r die gesetzlich­en Vorschrift­en zur Arbeitszei­terfassung sowie für Nacht- und Sonntagsar­beit, zur Arbeitsdau­er und den Pausen kurzerhand zu streichen“, erklärt Felix Birchler vom Schweizeri­schen Gewerkscha­ftsbund. Als negative Folgen befürchtet er mehr Stress, Überarbeit­ung und steigende Burnout-Zahlen. Er hofft, dass diese Fehlentsch­eidung korrigiert wird und dem Gesundheit­sschutz der Arbeitnehm­er die nötige Achtung erwiesen wird. Sigi Langenbehn vom Liechtenst­einischen Arbeitnehm­erinnenver­band (LANV) bedauerte, dass es in Liechtenst­ein keine systematis­che Arbeitszei­terfassung­spflicht gebe. „Die Vertrauens­arbeitszei­t bringt auch Nachteile mit sich, denn wir beobachten immer mehr die Gefahr der Selbstausb­eutung“, sagte er. Überhaupt sei Liechtenst­ein das Land mit den höchsten Arbeitszei­ten und dem niedrigste­n Urlaubsans­pruch.

Der IGR besteht seit 15 Jahren und ist eine grenzübers­chreitende Gewerkscha­ftsinitiat­ive, die sich unter anderem gegen Lohndumpin­g und Sozialabba­u einsetzt.

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FOTO: KIRSTEN LICHTINGER Der IGR Bodensee setzt sich für die Interessen der Arbeitnehm­er bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t ein.

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