Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
IGR: Arbeitszeit soll flexibler werden
Interregionaler Gewerkschaftsrat warnt vor Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes
FRIEDRICHSHAFEN -Der Interregionale Gewerkschaftsrat Bodensee (IGR) hat sich am Mittwochmorgen im Zeppelin-Restaurant zu einem Pressegespräch getroffen. Im Fokus stand das Thema Flexibilisierung der Arbeitszeit, vor allem im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt. Die im IGR zusammengeschlossenen Gewerkschaftsverbände DGB, ÖGB, SGB/ Travail.Suisse und LANV berichteten über die konkreten Situationen in den Ländern Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein.
Jens Liedtke vom DGB Südwürttemberg stellte drei Ziele des IGR vor: „Erstens: Wir sagen Ja zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Zweitens: Die Arbeitnehmer müssen mit einbezogen werden. Und drittens darf es nicht auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten gehen.“Allen Ländern gemeinsam ist die unterschiedliche Auffassung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit. So gehe es den Beschäftigten oft darum, die Lebensarbeitszeit flexibler zu gestalten und beispielsweise während Zeiten der Kindererziehung weniger zu arbeiten. Die Wirtschaftsverbände wollten dagegen eine Ausweitung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, um flexibel reagieren zu können, aber auch um auf die Bezahlung von Überstundenzuschlägen verzichten zu können.
Bereits heute würden in Deutschland 1,8 Milliarden Überstunden geleistet, die Hälfte davon unbezahlt. „Wir müssen aufpassen, dass bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen das Arbeitszeitgesetz nicht aufgeweicht wird“, warnte Liedtke. Das Arbeitszeitgesetz ermögliche bereits jetzt viele Abweichungen und in Tarifverträgen werden Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeitmodelle definiert, die die Betriebe dann flächendeckend umsetzen könnten. Auch die österreichischen Wirtschaftsverbände fordern eine Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes und eine Senkung der Lohnnebenkosten. „Konkret reden wir dabei von einer Anhebung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden, einer 60-Stunden-Woche, einem zweijährigen Durchrechnungszeitraum und mehr Spielraum auf Betriebsebene“, stellte Wolfgang Fritz vom ÖGB Vorarlberg klar. Das sei nicht im Sinne der Arbeitnehmer. Er verwies auf das Zukunftsmodell „Freizeitoption“. Dabei bewirke der einmalige Verzicht auf eine Lohnerhöhung etwa eine Woche mehr bezahlte Freizeit im Jahr. Diese Option gebe es seit 2013 in mehreren Branchen, das Interesse daran sei riesig.
Stress, Überarbeitung, Burnout
Einen Großangriff auf das Arbeitszeitgesetz gab es letztes Jahr in der Schweiz. „Ziel war es, im Dienstleistungssektor die gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung sowie für Nacht- und Sonntagsarbeit, zur Arbeitsdauer und den Pausen kurzerhand zu streichen“, erklärt Felix Birchler vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Als negative Folgen befürchtet er mehr Stress, Überarbeitung und steigende Burnout-Zahlen. Er hofft, dass diese Fehlentscheidung korrigiert wird und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer die nötige Achtung erwiesen wird. Sigi Langenbehn vom Liechtensteinischen Arbeitnehmerinnenverband (LANV) bedauerte, dass es in Liechtenstein keine systematische Arbeitszeiterfassungspflicht gebe. „Die Vertrauensarbeitszeit bringt auch Nachteile mit sich, denn wir beobachten immer mehr die Gefahr der Selbstausbeutung“, sagte er. Überhaupt sei Liechtenstein das Land mit den höchsten Arbeitszeiten und dem niedrigsten Urlaubsanspruch.
Der IGR besteht seit 15 Jahren und ist eine grenzüberschreitende Gewerkschaftsinitiative, die sich unter anderem gegen Lohndumping und Sozialabbau einsetzt.