Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Literaturnobelpreis: Steigende Nachfrage bei Buchhändlern in Friedrichshafen
Werke von Kazuo Ishiguro nach Verleihung auch in der Region beliebt
FRIEDRICHSHAFEN - Der Nobelpreis für Literatur geht dieses Jahr an Kazuo Ishiguro. Buchhändler in Friedrichshafen müssen für die kommenden Wochen die Bücher des japanischen Schriftstellers nachbestellen, da die Nachfrage nach dessen Werken seit der Verleihung des Nobelpreises offenbar gestiegen ist.
Monika Haller, Filialleiterin der Buchhandlung Gessler, Martina Kraus, Filialleiterin von Ravensbuch in Friedrichshafen und Thomas Fiederer, Inhaber der Buchhandlung Fiederer, äußerten auf Anfrage der Schwäbischen Zeitung zur Vergabe des Nobelpreises an den Japaner.
Für Monika Haller ist die Entscheidung für Ishiguro überraschend gefallen, da sie eher mit der Vergabe des Preises an die amerikanischen Autoren Philip Roth, Cormac McCarthy, Thomas Pynchon oder Don DeLillo gerechnet habe. Sie kannte Ishiguro schon vor der Preisvergabe und schätzt an ihm vor allem seinen Stil und die Beschreibung der in den Romanen handelnden Personen.
Aus dem Leben eines Butlers
Das Buch „Was vom Tage übrigblieb“schätzt sie am meisten. Der Roman gehört nach einer Umfrage des britischen Fernsehsenders BBC aus dem Jahr 2015 unter 85 nicht-britischen Literaturkritikern zu den 100 bedeutendsten Romanen der britischen Literaturgeschichte. Der Roman erzählt in Rückblenden das Leben eines Butlers, der bei einem englischen Lord angestellt ist. Dieser Lord hatte vor dem zweiten Weltkrieg Beziehungen zu den Politikern des Dritten Reiches und setzte sich für die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain ein. Haller sagt von Ishiguro, dass er eine größere Nähe zu europäischen Schriftstellern als zu klassischen japanischen Autoren habe.
Martina Kraus ist sehr glücklich über die Nobelpreisvergabe. Neben „Was vom Tage übrigblieb“hält sie „Alles, was wir geben mussten“für einen seiner gelungensten Romane. In dem Buch geht es um eine Schule, deren Schüler Klone sind. Diese Klone dienen als Organlieferanten für die Bevölkerung. Der Roman wurde im Jahr 2010 von Mark Romanek verfilmt. Für Martina Kraus ist Ishiguro durchaus ein Autor für ein breiteres Publikum, der auch vor der Verleihung des Nobelpreises an ihn eine größere Leserschaft hatte.
Der Nobelpreis hat laut Monika Haller eine größere Nachwirkung auf Kaufentscheidungen der Leser als andere Literaturpreise wie der Deutsche Buchpreis oder der Georg Büchner Preis. Die Verkaufszahlen von Büchern der Literaturnobelpreisträger stiegen demnach in den vergangenen Jahren bis zur Weihnachtszeit.
„Ishiguro ist ein Autor, der eine feste Größe im Buchhandel ist“, sagt auch Thomas Fiedler. Er beschreibt das neueste Werk Ishiguros mit dem Titel „Der begrabene Riese“als einen historischen Roman, der die Kriegserinnerungen seiner zwei Protagonisten im fünften nachchristlichen Jahrhundert zeigt. Ishiguro sei ein Autor, der noch den klassischen Erzählstil pflege.
Seine im europäischen Raum angesiedelten Werke hätten im deutschsprachigen Raum eine größere Wirkung als die meisten anderen japanischen Autoren.
Ishiguro ist nach Yasunari Kawabata (Auszeichnung 1968) und Kenzaburo Oe (1994) der dritte japanische Literaturnobelpreisträger. Anders als die beiden älteren Preisträger ist Ishiguro aber in einem anderen Land aufgewachsen. Seine Bücher verfasst er auf Englisch, da er schon mit fünf Jahren mit seinen Eltern nach Großbritannien gezogen ist, dort zur Schule ging und Englisch, Philosophie und Literatur in Canterbury und Norwich studiert hat. 1989 erhielt Ishiguro den Man Booker Prize, den renommiertesten britischen Buchpreis, für sein Werk „Was vom Tage übrigblieb“.
Mit Ishiguro ist ein neben Haruki Murakami bekannter Schriftsteller aus Japan dieses Jahr ausgezeichnet worden. Murakami hat im deutschsprachigen Raum vor allem für sein Werk „Gefährliche Geliebte“Bekanntheit erlangt. In der Fernsehsendung „Das Literarische Quartett“gerieten Marcel Reich-Ranicki und die österreichische Literaturkritikerin Sigrid Löffler wegen der Beurteilung des Buches im Jahr 2000 aneinander. Daraufhin beendete Sigrid Löffler die Zusammenarbeit mit der Fernsehsendung des ZDF.